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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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dort rascher, weil sie unvermittelter und unbeengter auftreten, und so bricht
auch die Katastrophe gewaltiger herein. In Neu-Frankreich steht nicht der
nach Weltbeherrschung strebende Despot vor uns, sondern der wohlwollende
König, der, von Eifer für das Aufblühen seines Landes erglühend, dieses
auch durch Colonien heben und diesen die ganze Fülle seiner Gnade zuwenden
will. Neu-Frankreich sollte das Muster einer väterlich von Oben gebildeten
Ansiedelung und aller Segnungen theilhaft sein, welche ein patriarchalisches
Regiment zu verleihen im Stande ist. Zu diesem Zwecke gründete der König
Kasernen und Kirchen, aber keine Schulen, sandte er den Colonisten sogar
ihre Frauen, setzte er Prämien auf frühe Ehen und zahlreiche Kinder, schrieb
er dem Handel seine Richtung vor und beförderte er nach seinem Gutdünken
die Industrie. Jeder Zug dieses französischen Patriarchalismus predigt ein¬
dringlich die Lehre, daß geistlicher und weltlicher Absolutismus wie Mehlthau
auf das von ihnen heimgesuchte Land fallen, daß sie ein Gemeinwesen, welches
sich ihre Einmischung in seine Angelegenheiten gefallen lassen muß, zu Stech-
thum und steter Schwäche verurtheilen. und daß sie trotz der besten Absichten
jedes natürliche Wachsthum zerstören müssen. Diese Wahrheit und noch
manche andere politische Lehre findet der Leser durch Beispiele erläutert fast
auf jeder Seite beider hier vorliegender Werke, namentlich aber im zweiten,
und zwar sind dieselben in ihrer natürlichen Entwickelung wohl geordnet, und
die sie belegenden Thatsachen werden in edler Sprache erzählt. Manchmal
allerdings schreibt Parkman unserm Geschmacke nach etwas gesucht, und
vorzüglich bei den häufig von ihm in die Erzählung der Abenteuer seiner
Helden eingestochenen Landschaftsschilderungen ergeht er sich in ungerechtfertigt
breiter dichterischer Ausmalung der Situation; indeß beeinträchtigt dies die
Gesammtwirkung nicht wesentlich. Wir verlieren die Empfindung, daß hier
etwas nicht in der Ordnung, bald und wenden uns wieder den streitbaren Männern
zu, die hier weiter streben. Die wilde Natur, in die der Verfasser uns ge¬
legentlich einführt, ist gewaltig und großartig; mit noch größerer Macht
aber öffnet sich vor uns eine wette geschichtliche Perspektive und mit ihr wächst
allmählich aus der Möglichkeit die Gewißheit hervor, daß diese Ritter und
Priester trotz aller persönlicher Tapferkeit und Hingebung doch für eine ver¬
lorene Sache kämpfen und nur für die ohne politische Zwangsjacke rüstig
arbeitenden Bauern und Bürger germanischer Abstammung den Continent
erobern helfen, dessen hundertjährige Freiheit und Unabhängigkeit man dieses
Jahr in der Union gefeiert hat.




Verantwortlicher Redakteur: or. Haus Blum in Leipzig.
Verlag von K. L. Hervig in Leipzig. -- Druck von Hiithrl Hcrrman" in Leipzig.

dort rascher, weil sie unvermittelter und unbeengter auftreten, und so bricht
auch die Katastrophe gewaltiger herein. In Neu-Frankreich steht nicht der
nach Weltbeherrschung strebende Despot vor uns, sondern der wohlwollende
König, der, von Eifer für das Aufblühen seines Landes erglühend, dieses
auch durch Colonien heben und diesen die ganze Fülle seiner Gnade zuwenden
will. Neu-Frankreich sollte das Muster einer väterlich von Oben gebildeten
Ansiedelung und aller Segnungen theilhaft sein, welche ein patriarchalisches
Regiment zu verleihen im Stande ist. Zu diesem Zwecke gründete der König
Kasernen und Kirchen, aber keine Schulen, sandte er den Colonisten sogar
ihre Frauen, setzte er Prämien auf frühe Ehen und zahlreiche Kinder, schrieb
er dem Handel seine Richtung vor und beförderte er nach seinem Gutdünken
die Industrie. Jeder Zug dieses französischen Patriarchalismus predigt ein¬
dringlich die Lehre, daß geistlicher und weltlicher Absolutismus wie Mehlthau
auf das von ihnen heimgesuchte Land fallen, daß sie ein Gemeinwesen, welches
sich ihre Einmischung in seine Angelegenheiten gefallen lassen muß, zu Stech-
thum und steter Schwäche verurtheilen. und daß sie trotz der besten Absichten
jedes natürliche Wachsthum zerstören müssen. Diese Wahrheit und noch
manche andere politische Lehre findet der Leser durch Beispiele erläutert fast
auf jeder Seite beider hier vorliegender Werke, namentlich aber im zweiten,
und zwar sind dieselben in ihrer natürlichen Entwickelung wohl geordnet, und
die sie belegenden Thatsachen werden in edler Sprache erzählt. Manchmal
allerdings schreibt Parkman unserm Geschmacke nach etwas gesucht, und
vorzüglich bei den häufig von ihm in die Erzählung der Abenteuer seiner
Helden eingestochenen Landschaftsschilderungen ergeht er sich in ungerechtfertigt
breiter dichterischer Ausmalung der Situation; indeß beeinträchtigt dies die
Gesammtwirkung nicht wesentlich. Wir verlieren die Empfindung, daß hier
etwas nicht in der Ordnung, bald und wenden uns wieder den streitbaren Männern
zu, die hier weiter streben. Die wilde Natur, in die der Verfasser uns ge¬
legentlich einführt, ist gewaltig und großartig; mit noch größerer Macht
aber öffnet sich vor uns eine wette geschichtliche Perspektive und mit ihr wächst
allmählich aus der Möglichkeit die Gewißheit hervor, daß diese Ritter und
Priester trotz aller persönlicher Tapferkeit und Hingebung doch für eine ver¬
lorene Sache kämpfen und nur für die ohne politische Zwangsjacke rüstig
arbeitenden Bauern und Bürger germanischer Abstammung den Continent
erobern helfen, dessen hundertjährige Freiheit und Unabhängigkeit man dieses
Jahr in der Union gefeiert hat.




Verantwortlicher Redakteur: or. Haus Blum in Leipzig.
Verlag von K. L. Hervig in Leipzig. — Druck von Hiithrl Hcrrman» in Leipzig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/284>, abgerufen am 15.05.2024.