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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Jahrzehnte stand sie ihrem Bruder zur Seite. Als er von Hannover nach
England gegangen war, folgte sie ihm, und als er hier eine einträgliche
Stellung als Musiker aufgab, um sich der Erforschung des Himmels ganz
widmen zu können, machte sie ihm nicht blos durch Sparsamkeit in der
Wirthschaft dies möglich, sondern half ihm auch bei seinen wissenschaftlichen
Arbeiten, indem sie hingebend und willensstark alle Schwierigketten überwand,
die dem Laien sich beim Studium der astronomischen Berechnungsmethode
entgegenstellen. Sie wurde seine Mitarbeiterin in der Werkstätte, wo er seine
Spiegel schliff und polirte, sie stand in kalten Nächten, wo die Tinte gefror,
neben seinem Teleskop, um seine Beobachtungen aufzuschreiben, sie lebte
überhaupt nur für ihn. Leicht hätte sie allein eine berühmte Frau werden
können; denn mit dem siebenfüßigen Newton'schen Kometensucher, den sie von
ihrem Bruder erhalten, entdeckte sie acht neue Kometen, aber sie arbeitete
damit nur für ihren Bruder, und ihre Aufzeichnungen beweisen, daß er nicht
blos als Gelehrter, sondern auch als Mensch diese Liebe und Entsagung ver¬
diente. Caroline Herschels Erinnerungen gehen bis auf das große Erdbeben
in Lissabon zurück, sie erlebte den Abfall der nordamerikanischen Colonien
von England, die erste französische Revolution, die Erhebung und den Fall
Napoleons; sie war Zeugin einer Menge weltumgestaltender Verbesserungen
und Erfindungen bis auf die Eisenbahnen und elektrischen Telegraphen; denn
sie lebte bis in die Regierungszeit der Königin Victoria. Aber ihre Aufgabe,
mit dem Bruder den Himmel zu erforschen, nahm sie so in Anspruch, daß
wir in ihren Aufzeichnungen kaum ein öffentliches Ereigniß erwähnt finden.
Desto interessanter sind die Einblicke, die sie in das gewöhnliche und wissen¬
schaftliche Leben der Geschwister von ihrem Aufenthalte in Hannover an, wo
ihr Vater Musiker bei dem Garderegiment des Kurfürsten war, in welcher
Eigenschaft er den siebenjährigen Krieg mitmachte, bis zum Tode Wilhelms
und dann von ihrer Rückkehr nach Hannover bis zur Reise ihres Neffen
John Herschel nach dem Cap, ihrer Erhebung zum Mitgliede verschiedener
gelehrter Gesellschaften und Akademien und ihrem am 9. Januar 1848 er¬
folgten Tode gewähren. Wir müssen in Betreff aller dieser Mittheilungen,
unter denen sich auch eine beträchtliche Zahl Briefe von John Herschel an
Wne Tante befinden, auf das Buch selbst verweisen, welches uns zeigt, daß
Caroline nicht nur eine in ihrer Art gelehrte Dame war, sondern auch eine
recht artige humoristische Ader hatte. In einem Briefe an Lady Herschel,
der vom 10. Januar 1840 datirt ist. erzählt sie:

"Sie haben vielleicht gehört, daß, als das Rohr des Vierzigfüßigen
(des großen Teleskops, welches Wilhelm Herschel in den Jahren 1786 bis
1788 anfertigte) aufgerichtet war, die ganze Tischgesellschaft hineinkletterte
und den König segne Gott sang. Einige von den Griesbachs begleiteten


Jahrzehnte stand sie ihrem Bruder zur Seite. Als er von Hannover nach
England gegangen war, folgte sie ihm, und als er hier eine einträgliche
Stellung als Musiker aufgab, um sich der Erforschung des Himmels ganz
widmen zu können, machte sie ihm nicht blos durch Sparsamkeit in der
Wirthschaft dies möglich, sondern half ihm auch bei seinen wissenschaftlichen
Arbeiten, indem sie hingebend und willensstark alle Schwierigketten überwand,
die dem Laien sich beim Studium der astronomischen Berechnungsmethode
entgegenstellen. Sie wurde seine Mitarbeiterin in der Werkstätte, wo er seine
Spiegel schliff und polirte, sie stand in kalten Nächten, wo die Tinte gefror,
neben seinem Teleskop, um seine Beobachtungen aufzuschreiben, sie lebte
überhaupt nur für ihn. Leicht hätte sie allein eine berühmte Frau werden
können; denn mit dem siebenfüßigen Newton'schen Kometensucher, den sie von
ihrem Bruder erhalten, entdeckte sie acht neue Kometen, aber sie arbeitete
damit nur für ihren Bruder, und ihre Aufzeichnungen beweisen, daß er nicht
blos als Gelehrter, sondern auch als Mensch diese Liebe und Entsagung ver¬
diente. Caroline Herschels Erinnerungen gehen bis auf das große Erdbeben
in Lissabon zurück, sie erlebte den Abfall der nordamerikanischen Colonien
von England, die erste französische Revolution, die Erhebung und den Fall
Napoleons; sie war Zeugin einer Menge weltumgestaltender Verbesserungen
und Erfindungen bis auf die Eisenbahnen und elektrischen Telegraphen; denn
sie lebte bis in die Regierungszeit der Königin Victoria. Aber ihre Aufgabe,
mit dem Bruder den Himmel zu erforschen, nahm sie so in Anspruch, daß
wir in ihren Aufzeichnungen kaum ein öffentliches Ereigniß erwähnt finden.
Desto interessanter sind die Einblicke, die sie in das gewöhnliche und wissen¬
schaftliche Leben der Geschwister von ihrem Aufenthalte in Hannover an, wo
ihr Vater Musiker bei dem Garderegiment des Kurfürsten war, in welcher
Eigenschaft er den siebenjährigen Krieg mitmachte, bis zum Tode Wilhelms
und dann von ihrer Rückkehr nach Hannover bis zur Reise ihres Neffen
John Herschel nach dem Cap, ihrer Erhebung zum Mitgliede verschiedener
gelehrter Gesellschaften und Akademien und ihrem am 9. Januar 1848 er¬
folgten Tode gewähren. Wir müssen in Betreff aller dieser Mittheilungen,
unter denen sich auch eine beträchtliche Zahl Briefe von John Herschel an
Wne Tante befinden, auf das Buch selbst verweisen, welches uns zeigt, daß
Caroline nicht nur eine in ihrer Art gelehrte Dame war, sondern auch eine
recht artige humoristische Ader hatte. In einem Briefe an Lady Herschel,
der vom 10. Januar 1840 datirt ist. erzählt sie:

„Sie haben vielleicht gehört, daß, als das Rohr des Vierzigfüßigen
(des großen Teleskops, welches Wilhelm Herschel in den Jahren 1786 bis
1788 anfertigte) aufgerichtet war, die ganze Tischgesellschaft hineinkletterte
und den König segne Gott sang. Einige von den Griesbachs begleiteten


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[0361] Jahrzehnte stand sie ihrem Bruder zur Seite. Als er von Hannover nach England gegangen war, folgte sie ihm, und als er hier eine einträgliche Stellung als Musiker aufgab, um sich der Erforschung des Himmels ganz widmen zu können, machte sie ihm nicht blos durch Sparsamkeit in der Wirthschaft dies möglich, sondern half ihm auch bei seinen wissenschaftlichen Arbeiten, indem sie hingebend und willensstark alle Schwierigketten überwand, die dem Laien sich beim Studium der astronomischen Berechnungsmethode entgegenstellen. Sie wurde seine Mitarbeiterin in der Werkstätte, wo er seine Spiegel schliff und polirte, sie stand in kalten Nächten, wo die Tinte gefror, neben seinem Teleskop, um seine Beobachtungen aufzuschreiben, sie lebte überhaupt nur für ihn. Leicht hätte sie allein eine berühmte Frau werden können; denn mit dem siebenfüßigen Newton'schen Kometensucher, den sie von ihrem Bruder erhalten, entdeckte sie acht neue Kometen, aber sie arbeitete damit nur für ihren Bruder, und ihre Aufzeichnungen beweisen, daß er nicht blos als Gelehrter, sondern auch als Mensch diese Liebe und Entsagung ver¬ diente. Caroline Herschels Erinnerungen gehen bis auf das große Erdbeben in Lissabon zurück, sie erlebte den Abfall der nordamerikanischen Colonien von England, die erste französische Revolution, die Erhebung und den Fall Napoleons; sie war Zeugin einer Menge weltumgestaltender Verbesserungen und Erfindungen bis auf die Eisenbahnen und elektrischen Telegraphen; denn sie lebte bis in die Regierungszeit der Königin Victoria. Aber ihre Aufgabe, mit dem Bruder den Himmel zu erforschen, nahm sie so in Anspruch, daß wir in ihren Aufzeichnungen kaum ein öffentliches Ereigniß erwähnt finden. Desto interessanter sind die Einblicke, die sie in das gewöhnliche und wissen¬ schaftliche Leben der Geschwister von ihrem Aufenthalte in Hannover an, wo ihr Vater Musiker bei dem Garderegiment des Kurfürsten war, in welcher Eigenschaft er den siebenjährigen Krieg mitmachte, bis zum Tode Wilhelms und dann von ihrer Rückkehr nach Hannover bis zur Reise ihres Neffen John Herschel nach dem Cap, ihrer Erhebung zum Mitgliede verschiedener gelehrter Gesellschaften und Akademien und ihrem am 9. Januar 1848 er¬ folgten Tode gewähren. Wir müssen in Betreff aller dieser Mittheilungen, unter denen sich auch eine beträchtliche Zahl Briefe von John Herschel an Wne Tante befinden, auf das Buch selbst verweisen, welches uns zeigt, daß Caroline nicht nur eine in ihrer Art gelehrte Dame war, sondern auch eine recht artige humoristische Ader hatte. In einem Briefe an Lady Herschel, der vom 10. Januar 1840 datirt ist. erzählt sie: „Sie haben vielleicht gehört, daß, als das Rohr des Vierzigfüßigen (des großen Teleskops, welches Wilhelm Herschel in den Jahren 1786 bis 1788 anfertigte) aufgerichtet war, die ganze Tischgesellschaft hineinkletterte und den König segne Gott sang. Einige von den Griesbachs begleiteten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/361>, abgerufen am 15.05.2024.