Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

und Moralisten gegen Nicvts Kraut waren unbegründet, aber doch erklärlich,
da zu ihrer Zeit noch keine genügende Erfahrung vorlag, welche die Harm¬
losigkeit eines mäßigen Tabaksgenusses erwies. Der Misocapnus von heute
hat für seine Uebertreibungen keine Entschuldigung. Der höfliche Raucher
hat nur ein vielsagendes "Hin, hin, so, so" für ihn, der unhöfliche lacht ihn
einfach aus und steckt sich eine frische Cigarre an. Die Obrigkeiten und Re¬
gierungen aberhaben längst schon die Strafruthe aus der Hand gelegt; denn
was vielen derselben Anfangs ein Uebel zu sein schien, erwies sich bei ge¬
nauerer Besichtigung als eine äußerst ergiebige Einnahmequelle.

Wir haben gesehen, daß schon die fromme Wuth König Jacobs des
Ersten dieser Betrachtung nicht unzugänglich war, und daß Venedig bereits
1657 die Anfertigung von Tabakspräparaten zum Monopol machte, und
seitdem sind die meisten großen Staaten Europas diesem Beispiele gefolgt,
zuerst, schon 1670, das immer an finanzieller Athemnoth leidende Oesterreich,
dann Frankreich und Spanien, später Rußland und Italien, zuletzt auch die
Türkei. Deutschland wird, wie u. A. auch Karl Mathy meinte, auf die
Dauer nicht zurückbleiben können.

In Frankreich war der Tabak seit 1639 mit 20 Sols auf das Pfund
der Einfuhr vom Auslande besteuert. Colbert aber nahm 1674 die Verar¬
beitung und den Verkauf desselben für den Staat in Anspruch, und man
verpachtete das so geschaffne Monopol anfänglich für 600,000 Livres. 1791
wurde es aufgegeben und 1798 durch eine Steuer ersetzt. Napoleon stellte
es durch die Verordnungen vom 29. December 1810 und vom 12. Januar
1811 wieder her, wodurch über sechshundert Tabaksfabriken, welche die Pri¬
vatindustrie inzwischen errichtet hatte, zu Grunde gingen. In der Zeit, wo
an die Stelle des Monopols eine einfache Tabakssteuer getreten war, nahmen
die Staatskassen durch dieselbe jährlich circa Millionen Francs ein. Nach
der Wiedereinführung des Monopols stieg diese Einnahme sofort beinahe um
das Achtfache. Im Jahre 1820 betrug sie rund 42, im Jahre 1840 etwa 72,
>in Jahre 1850 schon 122 Millionen, und 1863 war sie auf 233, sechs
Jahre später aber auf 248 Millionen Francs angewachsen. 1873 endlich
betrug die Gesamteinnahme des mittlerweile um Elsaß-Lothringen ver¬
kleinerten Staates aus den von ihm betriebnen Tabaksfabriken 294 Milli¬
onen. Der Statistiker Husson berechnete vor einigen Jahren den jährlichen
Reingewinn der Regierung aus dieser Industrie auf hundert Millionen Francs,
d- h. auf den fünfzehnten Theil sämmtlicher Revenuen Frankreichs vor Ein¬
führung der neuen Steuern seit 1871.

In Großbritannien, wo der Tabakshandel kein eigentliches Monopol,
"ohl ^,er mit sehr hohen Einfuhrzöllen belastet ist -- rohe Blätter zahlen
circa, 3, Schnupftabake über 6, zu Rauchtabak verarbeitete Blätter sowie


und Moralisten gegen Nicvts Kraut waren unbegründet, aber doch erklärlich,
da zu ihrer Zeit noch keine genügende Erfahrung vorlag, welche die Harm¬
losigkeit eines mäßigen Tabaksgenusses erwies. Der Misocapnus von heute
hat für seine Uebertreibungen keine Entschuldigung. Der höfliche Raucher
hat nur ein vielsagendes „Hin, hin, so, so" für ihn, der unhöfliche lacht ihn
einfach aus und steckt sich eine frische Cigarre an. Die Obrigkeiten und Re¬
gierungen aberhaben längst schon die Strafruthe aus der Hand gelegt; denn
was vielen derselben Anfangs ein Uebel zu sein schien, erwies sich bei ge¬
nauerer Besichtigung als eine äußerst ergiebige Einnahmequelle.

Wir haben gesehen, daß schon die fromme Wuth König Jacobs des
Ersten dieser Betrachtung nicht unzugänglich war, und daß Venedig bereits
1657 die Anfertigung von Tabakspräparaten zum Monopol machte, und
seitdem sind die meisten großen Staaten Europas diesem Beispiele gefolgt,
zuerst, schon 1670, das immer an finanzieller Athemnoth leidende Oesterreich,
dann Frankreich und Spanien, später Rußland und Italien, zuletzt auch die
Türkei. Deutschland wird, wie u. A. auch Karl Mathy meinte, auf die
Dauer nicht zurückbleiben können.

In Frankreich war der Tabak seit 1639 mit 20 Sols auf das Pfund
der Einfuhr vom Auslande besteuert. Colbert aber nahm 1674 die Verar¬
beitung und den Verkauf desselben für den Staat in Anspruch, und man
verpachtete das so geschaffne Monopol anfänglich für 600,000 Livres. 1791
wurde es aufgegeben und 1798 durch eine Steuer ersetzt. Napoleon stellte
es durch die Verordnungen vom 29. December 1810 und vom 12. Januar
1811 wieder her, wodurch über sechshundert Tabaksfabriken, welche die Pri¬
vatindustrie inzwischen errichtet hatte, zu Grunde gingen. In der Zeit, wo
an die Stelle des Monopols eine einfache Tabakssteuer getreten war, nahmen
die Staatskassen durch dieselbe jährlich circa Millionen Francs ein. Nach
der Wiedereinführung des Monopols stieg diese Einnahme sofort beinahe um
das Achtfache. Im Jahre 1820 betrug sie rund 42, im Jahre 1840 etwa 72,
>in Jahre 1850 schon 122 Millionen, und 1863 war sie auf 233, sechs
Jahre später aber auf 248 Millionen Francs angewachsen. 1873 endlich
betrug die Gesamteinnahme des mittlerweile um Elsaß-Lothringen ver¬
kleinerten Staates aus den von ihm betriebnen Tabaksfabriken 294 Milli¬
onen. Der Statistiker Husson berechnete vor einigen Jahren den jährlichen
Reingewinn der Regierung aus dieser Industrie auf hundert Millionen Francs,
d- h. auf den fünfzehnten Theil sämmtlicher Revenuen Frankreichs vor Ein¬
führung der neuen Steuern seit 1871.

In Großbritannien, wo der Tabakshandel kein eigentliches Monopol,
"ohl ^,er mit sehr hohen Einfuhrzöllen belastet ist — rohe Blätter zahlen
circa, 3, Schnupftabake über 6, zu Rauchtabak verarbeitete Blätter sowie


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0383" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137022"/>
          <p xml:id="ID_1215" prev="#ID_1214"> und Moralisten gegen Nicvts Kraut waren unbegründet, aber doch erklärlich,<lb/>
da zu ihrer Zeit noch keine genügende Erfahrung vorlag, welche die Harm¬<lb/>
losigkeit eines mäßigen Tabaksgenusses erwies. Der Misocapnus von heute<lb/>
hat für seine Uebertreibungen keine Entschuldigung. Der höfliche Raucher<lb/>
hat nur ein vielsagendes &#x201E;Hin, hin, so, so" für ihn, der unhöfliche lacht ihn<lb/>
einfach aus und steckt sich eine frische Cigarre an. Die Obrigkeiten und Re¬<lb/>
gierungen aberhaben längst schon die Strafruthe aus der Hand gelegt; denn<lb/>
was vielen derselben Anfangs ein Uebel zu sein schien, erwies sich bei ge¬<lb/>
nauerer Besichtigung als eine äußerst ergiebige Einnahmequelle.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1216"> Wir haben gesehen, daß schon die fromme Wuth König Jacobs des<lb/>
Ersten dieser Betrachtung nicht unzugänglich war, und daß Venedig bereits<lb/>
1657 die Anfertigung von Tabakspräparaten zum Monopol machte, und<lb/>
seitdem sind die meisten großen Staaten Europas diesem Beispiele gefolgt,<lb/>
zuerst, schon 1670, das immer an finanzieller Athemnoth leidende Oesterreich,<lb/>
dann Frankreich und Spanien, später Rußland und Italien, zuletzt auch die<lb/>
Türkei. Deutschland wird, wie u. A. auch Karl Mathy meinte, auf die<lb/>
Dauer nicht zurückbleiben können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1217"> In Frankreich war der Tabak seit 1639 mit 20 Sols auf das Pfund<lb/>
der Einfuhr vom Auslande besteuert. Colbert aber nahm 1674 die Verar¬<lb/>
beitung und den Verkauf desselben für den Staat in Anspruch, und man<lb/>
verpachtete das so geschaffne Monopol anfänglich für 600,000 Livres. 1791<lb/>
wurde es aufgegeben und 1798 durch eine Steuer ersetzt. Napoleon stellte<lb/>
es durch die Verordnungen vom 29. December 1810 und vom 12. Januar<lb/>
1811 wieder her, wodurch über sechshundert Tabaksfabriken, welche die Pri¬<lb/>
vatindustrie inzwischen errichtet hatte, zu Grunde gingen. In der Zeit, wo<lb/>
an die Stelle des Monopols eine einfache Tabakssteuer getreten war, nahmen<lb/>
die Staatskassen durch dieselbe jährlich circa Millionen Francs ein. Nach<lb/>
der Wiedereinführung des Monopols stieg diese Einnahme sofort beinahe um<lb/>
das Achtfache. Im Jahre 1820 betrug sie rund 42, im Jahre 1840 etwa 72,<lb/>
&gt;in Jahre 1850 schon 122 Millionen, und 1863 war sie auf 233, sechs<lb/>
Jahre später aber auf 248 Millionen Francs angewachsen. 1873 endlich<lb/>
betrug die Gesamteinnahme des mittlerweile um Elsaß-Lothringen ver¬<lb/>
kleinerten Staates aus den von ihm betriebnen Tabaksfabriken 294 Milli¬<lb/>
onen. Der Statistiker Husson berechnete vor einigen Jahren den jährlichen<lb/>
Reingewinn der Regierung aus dieser Industrie auf hundert Millionen Francs,<lb/>
d- h. auf den fünfzehnten Theil sämmtlicher Revenuen Frankreichs vor Ein¬<lb/>
führung der neuen Steuern seit 1871.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1218" next="#ID_1219"> In Großbritannien, wo der Tabakshandel kein eigentliches Monopol,<lb/>
"ohl ^,er mit sehr hohen Einfuhrzöllen belastet ist &#x2014; rohe Blätter zahlen<lb/>
circa, 3, Schnupftabake über 6, zu Rauchtabak verarbeitete Blätter sowie</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0383] und Moralisten gegen Nicvts Kraut waren unbegründet, aber doch erklärlich, da zu ihrer Zeit noch keine genügende Erfahrung vorlag, welche die Harm¬ losigkeit eines mäßigen Tabaksgenusses erwies. Der Misocapnus von heute hat für seine Uebertreibungen keine Entschuldigung. Der höfliche Raucher hat nur ein vielsagendes „Hin, hin, so, so" für ihn, der unhöfliche lacht ihn einfach aus und steckt sich eine frische Cigarre an. Die Obrigkeiten und Re¬ gierungen aberhaben längst schon die Strafruthe aus der Hand gelegt; denn was vielen derselben Anfangs ein Uebel zu sein schien, erwies sich bei ge¬ nauerer Besichtigung als eine äußerst ergiebige Einnahmequelle. Wir haben gesehen, daß schon die fromme Wuth König Jacobs des Ersten dieser Betrachtung nicht unzugänglich war, und daß Venedig bereits 1657 die Anfertigung von Tabakspräparaten zum Monopol machte, und seitdem sind die meisten großen Staaten Europas diesem Beispiele gefolgt, zuerst, schon 1670, das immer an finanzieller Athemnoth leidende Oesterreich, dann Frankreich und Spanien, später Rußland und Italien, zuletzt auch die Türkei. Deutschland wird, wie u. A. auch Karl Mathy meinte, auf die Dauer nicht zurückbleiben können. In Frankreich war der Tabak seit 1639 mit 20 Sols auf das Pfund der Einfuhr vom Auslande besteuert. Colbert aber nahm 1674 die Verar¬ beitung und den Verkauf desselben für den Staat in Anspruch, und man verpachtete das so geschaffne Monopol anfänglich für 600,000 Livres. 1791 wurde es aufgegeben und 1798 durch eine Steuer ersetzt. Napoleon stellte es durch die Verordnungen vom 29. December 1810 und vom 12. Januar 1811 wieder her, wodurch über sechshundert Tabaksfabriken, welche die Pri¬ vatindustrie inzwischen errichtet hatte, zu Grunde gingen. In der Zeit, wo an die Stelle des Monopols eine einfache Tabakssteuer getreten war, nahmen die Staatskassen durch dieselbe jährlich circa Millionen Francs ein. Nach der Wiedereinführung des Monopols stieg diese Einnahme sofort beinahe um das Achtfache. Im Jahre 1820 betrug sie rund 42, im Jahre 1840 etwa 72, >in Jahre 1850 schon 122 Millionen, und 1863 war sie auf 233, sechs Jahre später aber auf 248 Millionen Francs angewachsen. 1873 endlich betrug die Gesamteinnahme des mittlerweile um Elsaß-Lothringen ver¬ kleinerten Staates aus den von ihm betriebnen Tabaksfabriken 294 Milli¬ onen. Der Statistiker Husson berechnete vor einigen Jahren den jährlichen Reingewinn der Regierung aus dieser Industrie auf hundert Millionen Francs, d- h. auf den fünfzehnten Theil sämmtlicher Revenuen Frankreichs vor Ein¬ führung der neuen Steuern seit 1871. In Großbritannien, wo der Tabakshandel kein eigentliches Monopol, "ohl ^,er mit sehr hohen Einfuhrzöllen belastet ist — rohe Blätter zahlen circa, 3, Schnupftabake über 6, zu Rauchtabak verarbeitete Blätter sowie

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/383
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/383>, abgerufen am 15.05.2024.