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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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kraut wissen, blos berauschend, höchstens stark betäubend wirken, und daß der
Tabak nicht gegessen wird. Warum soll ich ein Mörder sein, weil mein Vetter,
der Stechapfel, einer ist, kann der Tabak fragen, warum nicht eine Wohlthat
für die Menschheit, wie meine Muhme, die redliche Kartoffel, die mir überdieß
als amerikanische Landsmännin erheblich näher steht als jener schlimme Gesell
aus der alten Welt?

Wir meinen, das ließe sich hören. Aber der Ankläger fährt fort: "Der
Tabak hat in frischem Zustande, einen starken und sehr unangenehmen Duft.
(Wie der Knoblauch und die unschuldige Zwiebel -- "des Juden Speise",
wirft der Vertheidiger ein. Aber gemach!) Er riecht scharf, bitter, Uebelkeit
erregend, und das kommt davon, daß er in der That ein starkes Gift ent¬
hält, welches genau so plötzlich tödtet als Blausäure und Strhchnin. Die
Auslaugung. Gährung und Beizung, welcher der Tabak bei der Verarbeitung
für den Genuß unterzogen wird, läßt zwar einen großen Theil des Nicotins
sich ausscheiden und verflüchtigen, aber trotzdem bleibt in den aus der Fabrik
auf den Markt gehenden Rauch-, Schnupf- und Kautabaken ein beträchtlicher
Rest des Giftes zurück, wie wir daran gewahr werden, daß die erste Pfeife
oder Cigarre in der Regel Erscheinungen zur Folge hat, die denen einer ge¬
linden Vergiftung ähnlich sind, und die vorzüglich in Schwindel, Uebelkeit,
Erbrechen und Herzklopfen bestehen."

Das klingt plausibel und gefährlich zugleich, ist aber näher in's Auge
gefaßt, zum Theil wenigstens, Uebertreibung. Niemand hat uns bis jetzt
ganz sicher bewiesen, daß jene Erscheinungen die Folge von Nicotingenuß
sind, und zweitens wird, wie schon bemerkt, der Tabak nicht, wie das Nicotin,
wenn es tödten soll, verschluckt, sondern geraucht. Die Blätter des Tabaks
enthalten außer dem Nicotin auch das nicht giftige Nicotianin oder den
Tabakskampher, der von Vauquelin entdeckt und von Posselt und Reimann
genauer untersucht wurde, ferner Aepfel-, Citronen- und Oralsäure, der
Tabaksrauch aber außer den gewöhnlichen Verbrennungsprodueten: Kohlen¬
säure, Wasserdampf und Ammoniak, auch Producte der trocknen Destillation.
Theeröle, Kohlen-, Schwefel- und Cyanwasserstoss, vielleicht etwas Anilin,
endlich allerdings auch Nicotin, und alle oder doch einige dieser Stoffe können
zusammen wirken, um jenen Schwindel und jenes Erbrechen zu erzeugen-
Das Nicotin, von Geiger am genauesten untersucht, ist eine organische Salz¬
basis, die man erhält, wenn man den wässerigen Extract von Tabaksblättern
mit Alkohol auszieht und die hierdurch gewonnene weingeistige Lösung mit
Kali versetzt und mit Aether schüttelt. Aus der ätherischen Lösung wird das
Nicotin durch Oxalsäure und Abdestilliren ausgeschieden. Es ist eine ölige
farblose Flüssigkeit von l,^ specif. Gewicht, scharfem Geruch und brennendem
Geschmack, die bei 180" siedet, sich in Wasser, Weingeist und Aether löst und


kraut wissen, blos berauschend, höchstens stark betäubend wirken, und daß der
Tabak nicht gegessen wird. Warum soll ich ein Mörder sein, weil mein Vetter,
der Stechapfel, einer ist, kann der Tabak fragen, warum nicht eine Wohlthat
für die Menschheit, wie meine Muhme, die redliche Kartoffel, die mir überdieß
als amerikanische Landsmännin erheblich näher steht als jener schlimme Gesell
aus der alten Welt?

Wir meinen, das ließe sich hören. Aber der Ankläger fährt fort: „Der
Tabak hat in frischem Zustande, einen starken und sehr unangenehmen Duft.
(Wie der Knoblauch und die unschuldige Zwiebel — „des Juden Speise",
wirft der Vertheidiger ein. Aber gemach!) Er riecht scharf, bitter, Uebelkeit
erregend, und das kommt davon, daß er in der That ein starkes Gift ent¬
hält, welches genau so plötzlich tödtet als Blausäure und Strhchnin. Die
Auslaugung. Gährung und Beizung, welcher der Tabak bei der Verarbeitung
für den Genuß unterzogen wird, läßt zwar einen großen Theil des Nicotins
sich ausscheiden und verflüchtigen, aber trotzdem bleibt in den aus der Fabrik
auf den Markt gehenden Rauch-, Schnupf- und Kautabaken ein beträchtlicher
Rest des Giftes zurück, wie wir daran gewahr werden, daß die erste Pfeife
oder Cigarre in der Regel Erscheinungen zur Folge hat, die denen einer ge¬
linden Vergiftung ähnlich sind, und die vorzüglich in Schwindel, Uebelkeit,
Erbrechen und Herzklopfen bestehen."

Das klingt plausibel und gefährlich zugleich, ist aber näher in's Auge
gefaßt, zum Theil wenigstens, Uebertreibung. Niemand hat uns bis jetzt
ganz sicher bewiesen, daß jene Erscheinungen die Folge von Nicotingenuß
sind, und zweitens wird, wie schon bemerkt, der Tabak nicht, wie das Nicotin,
wenn es tödten soll, verschluckt, sondern geraucht. Die Blätter des Tabaks
enthalten außer dem Nicotin auch das nicht giftige Nicotianin oder den
Tabakskampher, der von Vauquelin entdeckt und von Posselt und Reimann
genauer untersucht wurde, ferner Aepfel-, Citronen- und Oralsäure, der
Tabaksrauch aber außer den gewöhnlichen Verbrennungsprodueten: Kohlen¬
säure, Wasserdampf und Ammoniak, auch Producte der trocknen Destillation.
Theeröle, Kohlen-, Schwefel- und Cyanwasserstoss, vielleicht etwas Anilin,
endlich allerdings auch Nicotin, und alle oder doch einige dieser Stoffe können
zusammen wirken, um jenen Schwindel und jenes Erbrechen zu erzeugen-
Das Nicotin, von Geiger am genauesten untersucht, ist eine organische Salz¬
basis, die man erhält, wenn man den wässerigen Extract von Tabaksblättern
mit Alkohol auszieht und die hierdurch gewonnene weingeistige Lösung mit
Kali versetzt und mit Aether schüttelt. Aus der ätherischen Lösung wird das
Nicotin durch Oxalsäure und Abdestilliren ausgeschieden. Es ist eine ölige
farblose Flüssigkeit von l,^ specif. Gewicht, scharfem Geruch und brennendem
Geschmack, die bei 180" siedet, sich in Wasser, Weingeist und Aether löst und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/406>, abgerufen am 19.05.2024.