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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Wir athmeten erleichtert aus. Aber unsere Freude war verfrüht; was
half ihr der von "Gottesmacht" herbeigeführte Unschuldsbeweis? Nur um so
ärger wurde das Schreien der Menge, und man warf uns Weißen böse
Blicke zu, denn der N-genga, schlau wie alle Priester, hatte sich zu helfen
gewußt, -- "die Macht ihres Gottes könne sich nicht offenbaren, wenn wir
Weiße dabei wären!" -- eine Ausrede eines Jesuiten würdig. Der Priester
verordnete, das Gift zum zweiten Male zu geben, und wir wünschten einen
Blitz vom heitern Himmel hernieder oder eine Schwadron Husaren zum
EinHauen in die Menge; ich glaube wir hätten kein Erbarmen gekannt. Am
meisten empörte uns, daß wir statt jener Feierlichkeit und jenes Ernstes, den
wir bei dieser Gelegenheit erwartet hatten, nichts weiter fanden, als die Lust
an den Qualen der Alten, nichts als eine Tragikomödie, schlecht gespielt von
boshaften Buben. Das Treiben ekelte uns an, retten konnten wir das
Weib, das uns bittende Blicke zuwarf, auf keine Weise, daher wendeten wir
der grauenvolle Scene den Rücken und kehrten traurig heim. --

Noch einmal sollten wir aber in Aufregung versetzt werden. Nach einer
Stunde fast hörten wir, daß das Weib das Gift auch zum zweiten und
dritten Male von sich gegeben habe, dennoch aber zum Feuertode geführt
Werde. Einer meiner College" und ich sahen die Dorfleute mit der in einer
Matte getragenen Verurtheilten die Berge hinansteigen. Dem ersten Impuls
der Empörung über dieses unmenschliche Thun folgend, griffen wir zur Waffe
und stürmten den Grausamen nach. Doch auf dem Berggipfel angelangt
sahen wir nichts mehr von den Verfolgten; in den Steppenbergen und
Thälern konnten wir die Spuren nicht mehr finden. -- Einen Tag darauf
erfuhren wir. daß die schon halbtodte Frau wirklich verbrannt worden sei. --

Man hat bisher stets das Vorhandensein der Idee einer Fortdauer der
Seele nach dem Tode bei den Negern bestritten. Jedoch mit Unrecht. Die
Neger opfern ihren Todten, wenn sie durch böse Träume beunruhigt oder
geängstigt werden, um den Geist eines Verstorbenen, dem sie im Leben Un¬
recht gethan zu haben glauben, zu versöhnen. Gerichtete Zauberer aber
gehen nach dem Glauben der M-balundu-Neger im Süden des Coanza als
eine Art Wärwolf im Jenseits um, und wie wir die Unsterblichkeitsidee in
der Beigabe von Weizenkörnern zu den Mumien bei den Aegyptern, der
Dattelkerne in den Gräbern der Altbabylonier, der Maiskörner in denen der
Caraibenvölker ausgedrückt finden, so spricht sich dieselbe bei den Massongo
in Cassandsche dadurch aus, daß sie in den Gräbern ihrer Jagas die noth¬
wendigsten Lebensbedürfnisse und sieben lebende Jünglinge, für verschiedene
Dienstleistungen bestimmt, verschütten. --




Grenzboten IV. 1876.53

Wir athmeten erleichtert aus. Aber unsere Freude war verfrüht; was
half ihr der von „Gottesmacht" herbeigeführte Unschuldsbeweis? Nur um so
ärger wurde das Schreien der Menge, und man warf uns Weißen böse
Blicke zu, denn der N-genga, schlau wie alle Priester, hatte sich zu helfen
gewußt, — „die Macht ihres Gottes könne sich nicht offenbaren, wenn wir
Weiße dabei wären!" — eine Ausrede eines Jesuiten würdig. Der Priester
verordnete, das Gift zum zweiten Male zu geben, und wir wünschten einen
Blitz vom heitern Himmel hernieder oder eine Schwadron Husaren zum
EinHauen in die Menge; ich glaube wir hätten kein Erbarmen gekannt. Am
meisten empörte uns, daß wir statt jener Feierlichkeit und jenes Ernstes, den
wir bei dieser Gelegenheit erwartet hatten, nichts weiter fanden, als die Lust
an den Qualen der Alten, nichts als eine Tragikomödie, schlecht gespielt von
boshaften Buben. Das Treiben ekelte uns an, retten konnten wir das
Weib, das uns bittende Blicke zuwarf, auf keine Weise, daher wendeten wir
der grauenvolle Scene den Rücken und kehrten traurig heim. —

Noch einmal sollten wir aber in Aufregung versetzt werden. Nach einer
Stunde fast hörten wir, daß das Weib das Gift auch zum zweiten und
dritten Male von sich gegeben habe, dennoch aber zum Feuertode geführt
Werde. Einer meiner College» und ich sahen die Dorfleute mit der in einer
Matte getragenen Verurtheilten die Berge hinansteigen. Dem ersten Impuls
der Empörung über dieses unmenschliche Thun folgend, griffen wir zur Waffe
und stürmten den Grausamen nach. Doch auf dem Berggipfel angelangt
sahen wir nichts mehr von den Verfolgten; in den Steppenbergen und
Thälern konnten wir die Spuren nicht mehr finden. — Einen Tag darauf
erfuhren wir. daß die schon halbtodte Frau wirklich verbrannt worden sei. —

Man hat bisher stets das Vorhandensein der Idee einer Fortdauer der
Seele nach dem Tode bei den Negern bestritten. Jedoch mit Unrecht. Die
Neger opfern ihren Todten, wenn sie durch böse Träume beunruhigt oder
geängstigt werden, um den Geist eines Verstorbenen, dem sie im Leben Un¬
recht gethan zu haben glauben, zu versöhnen. Gerichtete Zauberer aber
gehen nach dem Glauben der M-balundu-Neger im Süden des Coanza als
eine Art Wärwolf im Jenseits um, und wie wir die Unsterblichkeitsidee in
der Beigabe von Weizenkörnern zu den Mumien bei den Aegyptern, der
Dattelkerne in den Gräbern der Altbabylonier, der Maiskörner in denen der
Caraibenvölker ausgedrückt finden, so spricht sich dieselbe bei den Massongo
in Cassandsche dadurch aus, daß sie in den Gräbern ihrer Jagas die noth¬
wendigsten Lebensbedürfnisse und sieben lebende Jünglinge, für verschiedene
Dienstleistungen bestimmt, verschütten. —




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[0421] Wir athmeten erleichtert aus. Aber unsere Freude war verfrüht; was half ihr der von „Gottesmacht" herbeigeführte Unschuldsbeweis? Nur um so ärger wurde das Schreien der Menge, und man warf uns Weißen böse Blicke zu, denn der N-genga, schlau wie alle Priester, hatte sich zu helfen gewußt, — „die Macht ihres Gottes könne sich nicht offenbaren, wenn wir Weiße dabei wären!" — eine Ausrede eines Jesuiten würdig. Der Priester verordnete, das Gift zum zweiten Male zu geben, und wir wünschten einen Blitz vom heitern Himmel hernieder oder eine Schwadron Husaren zum EinHauen in die Menge; ich glaube wir hätten kein Erbarmen gekannt. Am meisten empörte uns, daß wir statt jener Feierlichkeit und jenes Ernstes, den wir bei dieser Gelegenheit erwartet hatten, nichts weiter fanden, als die Lust an den Qualen der Alten, nichts als eine Tragikomödie, schlecht gespielt von boshaften Buben. Das Treiben ekelte uns an, retten konnten wir das Weib, das uns bittende Blicke zuwarf, auf keine Weise, daher wendeten wir der grauenvolle Scene den Rücken und kehrten traurig heim. — Noch einmal sollten wir aber in Aufregung versetzt werden. Nach einer Stunde fast hörten wir, daß das Weib das Gift auch zum zweiten und dritten Male von sich gegeben habe, dennoch aber zum Feuertode geführt Werde. Einer meiner College» und ich sahen die Dorfleute mit der in einer Matte getragenen Verurtheilten die Berge hinansteigen. Dem ersten Impuls der Empörung über dieses unmenschliche Thun folgend, griffen wir zur Waffe und stürmten den Grausamen nach. Doch auf dem Berggipfel angelangt sahen wir nichts mehr von den Verfolgten; in den Steppenbergen und Thälern konnten wir die Spuren nicht mehr finden. — Einen Tag darauf erfuhren wir. daß die schon halbtodte Frau wirklich verbrannt worden sei. — Man hat bisher stets das Vorhandensein der Idee einer Fortdauer der Seele nach dem Tode bei den Negern bestritten. Jedoch mit Unrecht. Die Neger opfern ihren Todten, wenn sie durch böse Träume beunruhigt oder geängstigt werden, um den Geist eines Verstorbenen, dem sie im Leben Un¬ recht gethan zu haben glauben, zu versöhnen. Gerichtete Zauberer aber gehen nach dem Glauben der M-balundu-Neger im Süden des Coanza als eine Art Wärwolf im Jenseits um, und wie wir die Unsterblichkeitsidee in der Beigabe von Weizenkörnern zu den Mumien bei den Aegyptern, der Dattelkerne in den Gräbern der Altbabylonier, der Maiskörner in denen der Caraibenvölker ausgedrückt finden, so spricht sich dieselbe bei den Massongo in Cassandsche dadurch aus, daß sie in den Gräbern ihrer Jagas die noth¬ wendigsten Lebensbedürfnisse und sieben lebende Jünglinge, für verschiedene Dienstleistungen bestimmt, verschütten. — Grenzboten IV. 1876.53

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/421>, abgerufen am 15.05.2024.