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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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einfügen, welcher den von der preußischen Landesgesetzgebung gegen die ge¬
richtliche Verfolgung der Beamten errichteten Schutz aufhebt. Man kann
diesen Schutz für sehr überflüssig und sogar für höchst schädlich halten.
Daraus folgt noch lange nicht, daß der Reichstag competent ist, denselben
aufzuheben. Wenn dem Reichstag die Befugniß durch die Verfassung bei¬
gelegt worden, das Gerichtsverfahren zu ordnen, so kann man daraus nicht
wohl die Befugniß folgern, den Bundesstaaten zu verbieten, gewisse Aus¬
nahmen vom ordentlichen Gerichtsverfahren im Staatsinteresse festzustellen.
Eine durchgehende Regel für die Abgrenzung der Verwaltungsjustiz und der
ordentlichen oder eigentlich der Privatjustiz könnte nur die Reichsverfassung
aufstellen. Bei dieser Frage, ob die Staatsbeamten ohne Weiteres vor den
ordentlichen Gerichten belangt werden dürfen, war es nun wieder der Abge¬
ordnete Gneist, der alle Donnerkeile seiner juristisch-sittlichen und staats¬
philosophischen Ueberzeugung gegen die bedingte Ausnehmung der Beamten
vom ordentlichen Gericht schleuderte. Man kann ihm ja vollständig Recht
geben, aber die schwache Seite bei diesem bedeutenden Staatslehrer und
Staatsdenker ist immer die Anwendung auf die gerade vorliegende praktische
Frage. Die Donnerkeile treffen nie den kleinen praktischen Punkt. Es mag
zehnmal wahr sein, daß der Justizminister Simons seiner Zeit kein gutes
Werk gethan, als er die Ausnahmestellung der Beamten nach französischem
Muster in Preußen einführte. Es mag vortrefflich sein, zur alten deutschen
Rechtsgewohnheit zurückzukehren. Nun aber handelt es sich gerade darum,
ob es zulässig ist, diesen Weg durch eine beiläufige Bestimmung zu öffnen
in einem Gesetz, das mit der Grenze zwischen Justiz und Verwaltung nichts
zu thun hat, und durch die Initiative des Reichstags, dessen Competenz, die
Grenze der Verwaltung für die Einzelstaaten zu ziehen, mindestens zweifelhaft
ist. Dabei ist derselbe Abgeordnete der überzeugteste Gegner der Beengung
der Staatsbeamten in ihrem Beruf durch die Privatjustiz, und der glänzendste
Anwalt der pflichtmäßigen Freiheit der Verwaltung. Auch für diese Ueber¬
zeugung weiß er die Donnerkeile zu handhaben. Aber er meint, deutsche
Gerichte würden nie die chikanöse Verfolgung der Beamten zulassen oder sich
dazu hergeben. Zu solcher Sicherheit der Gerichte gehört aber ein klares,
materielles Recht. Ohne dieses wird man die Gerichte durch Zurückgabe
einer Befugniß, die sie allerdings lange Zeit besessen, aber nicht mehr in der
Zeit aufgeregten Parteilebens, in schwere Verlegenheit bringen. Der Reichs¬
tag aber folgte dem glänzenden Redner, der, wie ihm so oft begegnet, aus
einem ganz anderen Zusammenhang der Ueberzeugung heraus zum Führer
einer oberflächlich begründeten populären Stimmung wurde, und achtete nicht
auf die maßvollen und schlagenden Bedenken des preußischen Bundesbevoll-


einfügen, welcher den von der preußischen Landesgesetzgebung gegen die ge¬
richtliche Verfolgung der Beamten errichteten Schutz aufhebt. Man kann
diesen Schutz für sehr überflüssig und sogar für höchst schädlich halten.
Daraus folgt noch lange nicht, daß der Reichstag competent ist, denselben
aufzuheben. Wenn dem Reichstag die Befugniß durch die Verfassung bei¬
gelegt worden, das Gerichtsverfahren zu ordnen, so kann man daraus nicht
wohl die Befugniß folgern, den Bundesstaaten zu verbieten, gewisse Aus¬
nahmen vom ordentlichen Gerichtsverfahren im Staatsinteresse festzustellen.
Eine durchgehende Regel für die Abgrenzung der Verwaltungsjustiz und der
ordentlichen oder eigentlich der Privatjustiz könnte nur die Reichsverfassung
aufstellen. Bei dieser Frage, ob die Staatsbeamten ohne Weiteres vor den
ordentlichen Gerichten belangt werden dürfen, war es nun wieder der Abge¬
ordnete Gneist, der alle Donnerkeile seiner juristisch-sittlichen und staats¬
philosophischen Ueberzeugung gegen die bedingte Ausnehmung der Beamten
vom ordentlichen Gericht schleuderte. Man kann ihm ja vollständig Recht
geben, aber die schwache Seite bei diesem bedeutenden Staatslehrer und
Staatsdenker ist immer die Anwendung auf die gerade vorliegende praktische
Frage. Die Donnerkeile treffen nie den kleinen praktischen Punkt. Es mag
zehnmal wahr sein, daß der Justizminister Simons seiner Zeit kein gutes
Werk gethan, als er die Ausnahmestellung der Beamten nach französischem
Muster in Preußen einführte. Es mag vortrefflich sein, zur alten deutschen
Rechtsgewohnheit zurückzukehren. Nun aber handelt es sich gerade darum,
ob es zulässig ist, diesen Weg durch eine beiläufige Bestimmung zu öffnen
in einem Gesetz, das mit der Grenze zwischen Justiz und Verwaltung nichts
zu thun hat, und durch die Initiative des Reichstags, dessen Competenz, die
Grenze der Verwaltung für die Einzelstaaten zu ziehen, mindestens zweifelhaft
ist. Dabei ist derselbe Abgeordnete der überzeugteste Gegner der Beengung
der Staatsbeamten in ihrem Beruf durch die Privatjustiz, und der glänzendste
Anwalt der pflichtmäßigen Freiheit der Verwaltung. Auch für diese Ueber¬
zeugung weiß er die Donnerkeile zu handhaben. Aber er meint, deutsche
Gerichte würden nie die chikanöse Verfolgung der Beamten zulassen oder sich
dazu hergeben. Zu solcher Sicherheit der Gerichte gehört aber ein klares,
materielles Recht. Ohne dieses wird man die Gerichte durch Zurückgabe
einer Befugniß, die sie allerdings lange Zeit besessen, aber nicht mehr in der
Zeit aufgeregten Parteilebens, in schwere Verlegenheit bringen. Der Reichs¬
tag aber folgte dem glänzenden Redner, der, wie ihm so oft begegnet, aus
einem ganz anderen Zusammenhang der Ueberzeugung heraus zum Führer
einer oberflächlich begründeten populären Stimmung wurde, und achtete nicht
auf die maßvollen und schlagenden Bedenken des preußischen Bundesbevoll-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/434>, abgerufen am 15.05.2024.