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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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All ihre Hoffnung der Erlösung aus der entsetzlichen Noth setzten die
Livländer auf fremde Hilfe. Sehr wohl erinnerten sie sich setzt ihrer Zuge¬
hörigkeit zum Reich, die sie im Glück öfter vernachlässigt hatten, indem sie
sich der- Beitragspflicht zu den Reichssteuern entzogen. Außer dem deutschen
Reich wurde Dänemark in Anspruch genommen; lange vergebens wurde dann
mit Schweden unterhandelt, dessen greiser Heidenkönig Gustav Wasa des Reiches
Wohlfahrt nicht in seinen alten Tagen noch durch einen Krieg mit dem ge¬
waltigen moskowitischen Bären auf das Spiel setzen wollte. Erst nach seinem
Tode übernahm 1561 Erich XIV. den Schutz des nördlichsten Theiles von
Livland, seitdem Estland genannt, gegen den schrecklichen Zaren, aber unter
der Bedingung der Unterwerfung unter seine Herrschaft. Nicht so zurück¬
haltend waren die Polen und die mit ihnen damals nur noch lose verbun¬
denen Litauer; schon 1559 hatten sie einzelne Landestheile besetzt und in
Pfand genommen, gegen die Russen, mit denen sie im Waffenstillstande lebten,
aber nichts unternommen. Sie setzten sich dann immer weiter im Lande fest,
bis sie endlich mit der Forderung der vollständigen Unterwerfung heraus¬
rückten, die ihnen bekanntlich auch am 28. November 1561 -- "vorbehaltlich
der Zugehörigkeit des Landes zum römischen Reich" -- geleistet wurde und
zwar von dem jetzt vorzugsweise Livland genannten Hauptlande unmittelbar,
von dem südlich der Dura gelegenen, nunmehr Kurland genannten Theile
mittelbar, indem der bisherige Ordensmeister Kettler die Regierung desselben
als Herzog übernahm. Aus dem Vorbehalt der Rechte des römischen Reiches,
der bei allen Verhandlungen gemacht wurde, noch mehr aus der standhaften
Weigerung Riga's, dem Vertrage mit Polen beizutreten, indem es sich bis
1581 als freie Reichsstadt seine vollständige Unabhängigkeit wahrte, erhellt
freilich, mit welchem Widerstreben sich die Livländer den Fremden beugten.
Aber das tiefste Gefühl der Anhänglichkeit konnte nichts nützen, wenn es
nicht zu rechter Zeit sich durch Thaten bewährte, wenn man nicht durch
zeitige Rüstung zu dem längst vorherzusehenden Kampf, durch Opferwilligkeit
und durch einträchtiges Zusammenstehen das Glück des Verbandes mir den
Stammgenossen des Mutterlandes sich zu erhalten vermochte.

Freilich das Mutterland that auch seine Schuldigkeit nicht, besonders
ließ es die höchste Reichsgewalt daran fehlen. Ueber drei Verhandlungen
der livländischen Angelegenheit in der Zeit der Russennoth vor dem deutschen
Reichstage berichtet A. v. Richter in der "Geschichte der deutschen Ostsee¬
provinzen" (Riga, N. Kymmels Buchhandlung). Im Jahre 1553. als die
Gefahr noch von fern drohte, wandten sich der Ordensmeister v. Galen und
der Bischof von Dorpat mit ihrem Htlfegesuch an das Reich. Der in Ulm
versammelte Reichstag brachte darauf nur Beschwerden gegen die Livländer.
darüber vor, daß das Reich von ihnen niemals Geld- oder sonstige Hilfe


All ihre Hoffnung der Erlösung aus der entsetzlichen Noth setzten die
Livländer auf fremde Hilfe. Sehr wohl erinnerten sie sich setzt ihrer Zuge¬
hörigkeit zum Reich, die sie im Glück öfter vernachlässigt hatten, indem sie
sich der- Beitragspflicht zu den Reichssteuern entzogen. Außer dem deutschen
Reich wurde Dänemark in Anspruch genommen; lange vergebens wurde dann
mit Schweden unterhandelt, dessen greiser Heidenkönig Gustav Wasa des Reiches
Wohlfahrt nicht in seinen alten Tagen noch durch einen Krieg mit dem ge¬
waltigen moskowitischen Bären auf das Spiel setzen wollte. Erst nach seinem
Tode übernahm 1561 Erich XIV. den Schutz des nördlichsten Theiles von
Livland, seitdem Estland genannt, gegen den schrecklichen Zaren, aber unter
der Bedingung der Unterwerfung unter seine Herrschaft. Nicht so zurück¬
haltend waren die Polen und die mit ihnen damals nur noch lose verbun¬
denen Litauer; schon 1559 hatten sie einzelne Landestheile besetzt und in
Pfand genommen, gegen die Russen, mit denen sie im Waffenstillstande lebten,
aber nichts unternommen. Sie setzten sich dann immer weiter im Lande fest,
bis sie endlich mit der Forderung der vollständigen Unterwerfung heraus¬
rückten, die ihnen bekanntlich auch am 28. November 1561 — „vorbehaltlich
der Zugehörigkeit des Landes zum römischen Reich" — geleistet wurde und
zwar von dem jetzt vorzugsweise Livland genannten Hauptlande unmittelbar,
von dem südlich der Dura gelegenen, nunmehr Kurland genannten Theile
mittelbar, indem der bisherige Ordensmeister Kettler die Regierung desselben
als Herzog übernahm. Aus dem Vorbehalt der Rechte des römischen Reiches,
der bei allen Verhandlungen gemacht wurde, noch mehr aus der standhaften
Weigerung Riga's, dem Vertrage mit Polen beizutreten, indem es sich bis
1581 als freie Reichsstadt seine vollständige Unabhängigkeit wahrte, erhellt
freilich, mit welchem Widerstreben sich die Livländer den Fremden beugten.
Aber das tiefste Gefühl der Anhänglichkeit konnte nichts nützen, wenn es
nicht zu rechter Zeit sich durch Thaten bewährte, wenn man nicht durch
zeitige Rüstung zu dem längst vorherzusehenden Kampf, durch Opferwilligkeit
und durch einträchtiges Zusammenstehen das Glück des Verbandes mir den
Stammgenossen des Mutterlandes sich zu erhalten vermochte.

Freilich das Mutterland that auch seine Schuldigkeit nicht, besonders
ließ es die höchste Reichsgewalt daran fehlen. Ueber drei Verhandlungen
der livländischen Angelegenheit in der Zeit der Russennoth vor dem deutschen
Reichstage berichtet A. v. Richter in der „Geschichte der deutschen Ostsee¬
provinzen" (Riga, N. Kymmels Buchhandlung). Im Jahre 1553. als die
Gefahr noch von fern drohte, wandten sich der Ordensmeister v. Galen und
der Bischof von Dorpat mit ihrem Htlfegesuch an das Reich. Der in Ulm
versammelte Reichstag brachte darauf nur Beschwerden gegen die Livländer.
darüber vor, daß das Reich von ihnen niemals Geld- oder sonstige Hilfe


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/436>, abgerufen am 15.05.2024.