Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Wieder vor die Augen kommen könne. Das werde ein Zauber zur Abwen¬
dung alles Unheils (ein Opfer zur Beschwichtigung des Neides der Götter,
ein Mittel zur Fernhaltung der den aus zu großem Wohlergehen entsprin¬
genden Uebermuth strafenden Nemesis) sein. Polykrates befolgte diesen Rath,
fuhr in einem Boote in die See hinaus und warf Angesichts der an Bord
befindlichen Schiffer einen kostbaren Siegelring, einen in Gold gefaßten
Smaragd, in das Wasser. Darauf kehrte er heim, um sich seinem Kummer
hinzugeben. Nun begab es sich fünf oder sechs Tage nachher, daß ein Fischer
einen Fisch so groß und so schön fing, daß er glaubte, er eigne sich zu einem
Geschenke für den König. So ging er denn mit ihm an das Thor des
Palastes und verlangte Polykrates zu sprechen. Als man ihn vorließ, gab
er den Fisch dem König mit den Worten: "Herr König, als ich diesen Fang
that, dachte ich, ich wollte ihn nicht auf den Markt bringen, obwohl ich ein
armer Mann bin, der nur von seinem Gewerbe lebt. Ich sagte, er ist des,
Polykrates und seiner Größe würdig, und so trug ich ihn hierher, um ihn
Dir zu geben." Diese Rede gefiel dem König, und er erwiderte: "Du thatest
wohl daran, Freund, und ich bin Dir doppelt verbunden, sowohl für den
Fisch als für Deine Worte. Komm jetzt und speise mit mir." Darauf ging
der Fischer heim und schätzte es sich für eine große Ehre, vom Könige zu
Tische geladen worden zu sein. Inzwischen fanden die Diener, als sie den-
Fisch aufgeschnitten, in dessen Magen den Siegelring ihres Herrn und eilten
mit großer Freude fort, um ihm denselben zurückzugeben und zu melden/wie
er sich wiedergefunden habe. Der König, der in der Sache ein göttliches
Walten sah, schrieb einen Brief an Amasis, der demselben alles berichtete, w"s
sich begeben hatte. Da merkte der weise Aegypter, daß es nicht die Sache eines
Menschen ist, seine Mitmenschen vor dem Schicksale zu bewahren, das ihnen
bestimmt ist. Zugleich aber war er jetzt überzeugt, daß es mit Polykrates
ein übles Ende nehmen werde, da ihm Alles gelänge und er selbst das
wiederfände, was er weggeworfen habe. So sandte er einen Herold an den
Tyrannen und löste den Freundschaftsbund mit ihm. Dieß that er, um,
wenn ein großes und schweres Unglück käme, dem Kummer zu entgehen, den
er empfunden haben würde, wenn der Dulder sein geliebter Freund gewesen
wäre. Polykrates starb im dritten Jahre der 64. Olympiade. Der Siegelring
(selbstverständlich so echt wie die meisten unsrer Reliquien) tauchte später in
Rom auf, wo Plinius ihn sah, und der Kaiser Augustus ihn, in ein Horn
von Gold verschlossen, im Tempel der Concordia bei andern werthvollen
Kleinodien aufbewahren ließ. Das Siegel zeigte eine Lyra, über der sich
drei Bienen befanden, während man rechts von ihr einen Delphin, links einen
Stierkopf gewahrte.


Wieder vor die Augen kommen könne. Das werde ein Zauber zur Abwen¬
dung alles Unheils (ein Opfer zur Beschwichtigung des Neides der Götter,
ein Mittel zur Fernhaltung der den aus zu großem Wohlergehen entsprin¬
genden Uebermuth strafenden Nemesis) sein. Polykrates befolgte diesen Rath,
fuhr in einem Boote in die See hinaus und warf Angesichts der an Bord
befindlichen Schiffer einen kostbaren Siegelring, einen in Gold gefaßten
Smaragd, in das Wasser. Darauf kehrte er heim, um sich seinem Kummer
hinzugeben. Nun begab es sich fünf oder sechs Tage nachher, daß ein Fischer
einen Fisch so groß und so schön fing, daß er glaubte, er eigne sich zu einem
Geschenke für den König. So ging er denn mit ihm an das Thor des
Palastes und verlangte Polykrates zu sprechen. Als man ihn vorließ, gab
er den Fisch dem König mit den Worten: „Herr König, als ich diesen Fang
that, dachte ich, ich wollte ihn nicht auf den Markt bringen, obwohl ich ein
armer Mann bin, der nur von seinem Gewerbe lebt. Ich sagte, er ist des,
Polykrates und seiner Größe würdig, und so trug ich ihn hierher, um ihn
Dir zu geben." Diese Rede gefiel dem König, und er erwiderte: „Du thatest
wohl daran, Freund, und ich bin Dir doppelt verbunden, sowohl für den
Fisch als für Deine Worte. Komm jetzt und speise mit mir." Darauf ging
der Fischer heim und schätzte es sich für eine große Ehre, vom Könige zu
Tische geladen worden zu sein. Inzwischen fanden die Diener, als sie den-
Fisch aufgeschnitten, in dessen Magen den Siegelring ihres Herrn und eilten
mit großer Freude fort, um ihm denselben zurückzugeben und zu melden/wie
er sich wiedergefunden habe. Der König, der in der Sache ein göttliches
Walten sah, schrieb einen Brief an Amasis, der demselben alles berichtete, w«s
sich begeben hatte. Da merkte der weise Aegypter, daß es nicht die Sache eines
Menschen ist, seine Mitmenschen vor dem Schicksale zu bewahren, das ihnen
bestimmt ist. Zugleich aber war er jetzt überzeugt, daß es mit Polykrates
ein übles Ende nehmen werde, da ihm Alles gelänge und er selbst das
wiederfände, was er weggeworfen habe. So sandte er einen Herold an den
Tyrannen und löste den Freundschaftsbund mit ihm. Dieß that er, um,
wenn ein großes und schweres Unglück käme, dem Kummer zu entgehen, den
er empfunden haben würde, wenn der Dulder sein geliebter Freund gewesen
wäre. Polykrates starb im dritten Jahre der 64. Olympiade. Der Siegelring
(selbstverständlich so echt wie die meisten unsrer Reliquien) tauchte später in
Rom auf, wo Plinius ihn sah, und der Kaiser Augustus ihn, in ein Horn
von Gold verschlossen, im Tempel der Concordia bei andern werthvollen
Kleinodien aufbewahren ließ. Das Siegel zeigte eine Lyra, über der sich
drei Bienen befanden, während man rechts von ihr einen Delphin, links einen
Stierkopf gewahrte.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0486" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137125"/>
          <p xml:id="ID_1506" prev="#ID_1505"> Wieder vor die Augen kommen könne.  Das werde ein Zauber zur Abwen¬<lb/>
dung alles Unheils (ein Opfer zur Beschwichtigung des Neides der Götter,<lb/>
ein Mittel zur Fernhaltung der den aus zu großem Wohlergehen entsprin¬<lb/>
genden Uebermuth strafenden Nemesis) sein.  Polykrates befolgte diesen Rath,<lb/>
fuhr in einem Boote in die See hinaus und warf Angesichts der an Bord<lb/>
befindlichen Schiffer einen kostbaren Siegelring, einen in Gold gefaßten<lb/>
Smaragd, in das Wasser.  Darauf kehrte er heim, um sich seinem Kummer<lb/>
hinzugeben.  Nun begab es sich fünf oder sechs Tage nachher, daß ein Fischer<lb/>
einen Fisch so groß und so schön fing, daß er glaubte, er eigne sich zu einem<lb/>
Geschenke für den König.  So ging er denn mit ihm an das Thor des<lb/>
Palastes und verlangte Polykrates zu sprechen.  Als man ihn vorließ, gab<lb/>
er den Fisch dem König mit den Worten: &#x201E;Herr König, als ich diesen Fang<lb/>
that, dachte ich, ich wollte ihn nicht auf den Markt bringen, obwohl ich ein<lb/>
armer Mann bin, der nur von seinem Gewerbe lebt.  Ich sagte, er ist des,<lb/>
Polykrates und seiner Größe würdig, und so trug ich ihn hierher, um ihn<lb/>
Dir zu geben."  Diese Rede gefiel dem König, und er erwiderte: &#x201E;Du thatest<lb/>
wohl daran, Freund, und ich bin Dir doppelt verbunden, sowohl für den<lb/>
Fisch als für Deine Worte.  Komm jetzt und speise mit mir."  Darauf ging<lb/>
der Fischer heim und schätzte es sich für eine große Ehre, vom Könige zu<lb/>
Tische geladen worden zu sein.  Inzwischen fanden die Diener, als sie den-<lb/>
Fisch aufgeschnitten, in dessen Magen den Siegelring ihres Herrn und eilten<lb/>
mit großer Freude fort, um ihm denselben zurückzugeben und zu melden/wie<lb/>
er sich wiedergefunden habe.  Der König, der in der Sache ein göttliches<lb/>
Walten sah, schrieb einen Brief an Amasis, der demselben alles berichtete, w«s<lb/>
sich begeben hatte. Da merkte der weise Aegypter, daß es nicht die Sache eines<lb/>
Menschen ist, seine Mitmenschen vor dem Schicksale zu bewahren, das ihnen<lb/>
bestimmt ist.  Zugleich aber war er jetzt überzeugt, daß es mit Polykrates<lb/>
ein übles Ende nehmen werde, da ihm Alles gelänge und er selbst das<lb/>
wiederfände, was er weggeworfen habe.  So sandte er einen Herold an den<lb/>
Tyrannen und löste den Freundschaftsbund mit ihm.  Dieß that er, um,<lb/>
wenn ein großes und schweres Unglück käme, dem Kummer zu entgehen, den<lb/>
er empfunden haben würde, wenn der Dulder sein geliebter Freund gewesen<lb/>
wäre.  Polykrates starb im dritten Jahre der 64. Olympiade. Der Siegelring<lb/>
(selbstverständlich so echt wie die meisten unsrer Reliquien) tauchte später in<lb/>
Rom auf, wo Plinius ihn sah, und der Kaiser Augustus ihn, in ein Horn<lb/>
von Gold verschlossen, im Tempel der Concordia bei andern werthvollen<lb/>
Kleinodien aufbewahren ließ.  Das Siegel zeigte eine Lyra, über der sich<lb/>
drei Bienen befanden, während man rechts von ihr einen Delphin, links einen<lb/>
Stierkopf gewahrte.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0486] Wieder vor die Augen kommen könne. Das werde ein Zauber zur Abwen¬ dung alles Unheils (ein Opfer zur Beschwichtigung des Neides der Götter, ein Mittel zur Fernhaltung der den aus zu großem Wohlergehen entsprin¬ genden Uebermuth strafenden Nemesis) sein. Polykrates befolgte diesen Rath, fuhr in einem Boote in die See hinaus und warf Angesichts der an Bord befindlichen Schiffer einen kostbaren Siegelring, einen in Gold gefaßten Smaragd, in das Wasser. Darauf kehrte er heim, um sich seinem Kummer hinzugeben. Nun begab es sich fünf oder sechs Tage nachher, daß ein Fischer einen Fisch so groß und so schön fing, daß er glaubte, er eigne sich zu einem Geschenke für den König. So ging er denn mit ihm an das Thor des Palastes und verlangte Polykrates zu sprechen. Als man ihn vorließ, gab er den Fisch dem König mit den Worten: „Herr König, als ich diesen Fang that, dachte ich, ich wollte ihn nicht auf den Markt bringen, obwohl ich ein armer Mann bin, der nur von seinem Gewerbe lebt. Ich sagte, er ist des, Polykrates und seiner Größe würdig, und so trug ich ihn hierher, um ihn Dir zu geben." Diese Rede gefiel dem König, und er erwiderte: „Du thatest wohl daran, Freund, und ich bin Dir doppelt verbunden, sowohl für den Fisch als für Deine Worte. Komm jetzt und speise mit mir." Darauf ging der Fischer heim und schätzte es sich für eine große Ehre, vom Könige zu Tische geladen worden zu sein. Inzwischen fanden die Diener, als sie den- Fisch aufgeschnitten, in dessen Magen den Siegelring ihres Herrn und eilten mit großer Freude fort, um ihm denselben zurückzugeben und zu melden/wie er sich wiedergefunden habe. Der König, der in der Sache ein göttliches Walten sah, schrieb einen Brief an Amasis, der demselben alles berichtete, w«s sich begeben hatte. Da merkte der weise Aegypter, daß es nicht die Sache eines Menschen ist, seine Mitmenschen vor dem Schicksale zu bewahren, das ihnen bestimmt ist. Zugleich aber war er jetzt überzeugt, daß es mit Polykrates ein übles Ende nehmen werde, da ihm Alles gelänge und er selbst das wiederfände, was er weggeworfen habe. So sandte er einen Herold an den Tyrannen und löste den Freundschaftsbund mit ihm. Dieß that er, um, wenn ein großes und schweres Unglück käme, dem Kummer zu entgehen, den er empfunden haben würde, wenn der Dulder sein geliebter Freund gewesen wäre. Polykrates starb im dritten Jahre der 64. Olympiade. Der Siegelring (selbstverständlich so echt wie die meisten unsrer Reliquien) tauchte später in Rom auf, wo Plinius ihn sah, und der Kaiser Augustus ihn, in ein Horn von Gold verschlossen, im Tempel der Concordia bei andern werthvollen Kleinodien aufbewahren ließ. Das Siegel zeigte eine Lyra, über der sich drei Bienen befanden, während man rechts von ihr einen Delphin, links einen Stierkopf gewahrte.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/486
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/486>, abgerufen am 15.05.2024.