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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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ist eine Summe neuer Erfahrungen gemacht worden, und alte Erfahrungen
sind erst zur Kenntniß gelangt. Das Netz der Eisenbahnen hat sich seitdem
nahezu verdoppelt. Seitdem ist der Eisenbahnpolitik überall eine weit größere
Aufmerksamkeit geschenkt worden, weil in eben diesem Zeitraum erst die
Folgen der früher von verschiedenen Staaten gemachten Fehler in dieser
Beziehung zur Erscheinung kamen. Alle diese Erfahrungen spurlos an sich
vorüber gehen zu lassen, würde ein förmliches geistiges Armuthszeugniß con-
stituiren. Ueberdieß können wir uns darauf berufen, daß die in dem früheren
Artikel gegebene Darstellung kein Glaubensbekenntniß enthalten soll, sondern
eine wohl motivirte Schlußfolgerung aus Thatsachen ist, welche sich von
selbst auferlegen. Und so werden wir es auch bei dieser dritten und letzten
Abtheilung unserer Arbeit halten. Wir werden keine Behauptungen aufstellen,
sondern nur unbestrittene Thatsachen logisch gruppiren und die daraus von
selbst sich ergebenden Schlüsse ziehen. Bei einer wirthschaftlichen Einrichtung,
welche nicht viel länger als ein Menschenalter besteht und trotz dieser kurzen
Zeit den Verkehr zweier Welttheile umgewälzt hat. auf früheren vorgefaßten
Meinungen beharren zu wollen, würde sich für den Vertreter einer Wissen¬
schaft wenig schicken, die noch so im Fluß begriffen ist, wie die Wirthschafts¬
lehre und die Wirtschaftspolitik. Seit jener oben erwähnten Meinungs¬
äußerung habe ich England, Frankreich, Italien, Belgien, die Niederlande,
Rußland. Oesterreich und Ungarn durch zum Theil wiederholte Reisen kennen
gelernt, und es müßte doch sonderbar zugehen, wenn die dabei gemachten
Beobachtungen und die dadurch gewonnene Blickerweiterung nicht dazu bei¬
getragen hätten, frühere Meinungen zu modificiren.

Wir kehren zu unserem Gegenstand zurück. Wir hatten uns vorgenommen,
die Vorzüge des Privateisenbahn- und des Staatsbahnsystems unter Beseiti¬
gung aller Schlagworte nach ihrem inneren Wesen zu untersuchen, um sodann
zu erwägen, ob und wie weit das Reich die Rechte des Staats für sich in
Anspruch nehmen kann. Es giebt auch noch eine dritte hauptsächlich von
Technikern und Verwaltungsbeamten vertretene Meinung, welche sich für das
sogenannte gemischte System erklärt, wie es jetzt in Preußen und in Oester¬
reich besteht. Diese Ansicht leidet aber eigentlich an einer logischen Schwäche.
Denn wenn es sich um die Entscheidung der Frage handelt, welches System
das beste sei, so kann doch nur von Privatbahnen oder Staatsbahnen aus¬
schließlich die Rede sein, denn ein aus diesen beiden gemischtes Verhältniß
ist kein System, sondern ein Zustand, und zwar nur ein Uebergangszustand;
denn in wirthschaftlich gesunden Staaten muß zuletzt ein System siegreich
zum Durchbruch gelangen, welches sich als das vortheilhafteste bewährt hat.
Die nothwendig gebotene Rücksicht auf den zugemessenen Raum nöthigt uns,
den Schluß unserer Untersuchung nur auf die Hauptpunkte zu beschränken,


ist eine Summe neuer Erfahrungen gemacht worden, und alte Erfahrungen
sind erst zur Kenntniß gelangt. Das Netz der Eisenbahnen hat sich seitdem
nahezu verdoppelt. Seitdem ist der Eisenbahnpolitik überall eine weit größere
Aufmerksamkeit geschenkt worden, weil in eben diesem Zeitraum erst die
Folgen der früher von verschiedenen Staaten gemachten Fehler in dieser
Beziehung zur Erscheinung kamen. Alle diese Erfahrungen spurlos an sich
vorüber gehen zu lassen, würde ein förmliches geistiges Armuthszeugniß con-
stituiren. Ueberdieß können wir uns darauf berufen, daß die in dem früheren
Artikel gegebene Darstellung kein Glaubensbekenntniß enthalten soll, sondern
eine wohl motivirte Schlußfolgerung aus Thatsachen ist, welche sich von
selbst auferlegen. Und so werden wir es auch bei dieser dritten und letzten
Abtheilung unserer Arbeit halten. Wir werden keine Behauptungen aufstellen,
sondern nur unbestrittene Thatsachen logisch gruppiren und die daraus von
selbst sich ergebenden Schlüsse ziehen. Bei einer wirthschaftlichen Einrichtung,
welche nicht viel länger als ein Menschenalter besteht und trotz dieser kurzen
Zeit den Verkehr zweier Welttheile umgewälzt hat. auf früheren vorgefaßten
Meinungen beharren zu wollen, würde sich für den Vertreter einer Wissen¬
schaft wenig schicken, die noch so im Fluß begriffen ist, wie die Wirthschafts¬
lehre und die Wirtschaftspolitik. Seit jener oben erwähnten Meinungs¬
äußerung habe ich England, Frankreich, Italien, Belgien, die Niederlande,
Rußland. Oesterreich und Ungarn durch zum Theil wiederholte Reisen kennen
gelernt, und es müßte doch sonderbar zugehen, wenn die dabei gemachten
Beobachtungen und die dadurch gewonnene Blickerweiterung nicht dazu bei¬
getragen hätten, frühere Meinungen zu modificiren.

Wir kehren zu unserem Gegenstand zurück. Wir hatten uns vorgenommen,
die Vorzüge des Privateisenbahn- und des Staatsbahnsystems unter Beseiti¬
gung aller Schlagworte nach ihrem inneren Wesen zu untersuchen, um sodann
zu erwägen, ob und wie weit das Reich die Rechte des Staats für sich in
Anspruch nehmen kann. Es giebt auch noch eine dritte hauptsächlich von
Technikern und Verwaltungsbeamten vertretene Meinung, welche sich für das
sogenannte gemischte System erklärt, wie es jetzt in Preußen und in Oester¬
reich besteht. Diese Ansicht leidet aber eigentlich an einer logischen Schwäche.
Denn wenn es sich um die Entscheidung der Frage handelt, welches System
das beste sei, so kann doch nur von Privatbahnen oder Staatsbahnen aus¬
schließlich die Rede sein, denn ein aus diesen beiden gemischtes Verhältniß
ist kein System, sondern ein Zustand, und zwar nur ein Uebergangszustand;
denn in wirthschaftlich gesunden Staaten muß zuletzt ein System siegreich
zum Durchbruch gelangen, welches sich als das vortheilhafteste bewährt hat.
Die nothwendig gebotene Rücksicht auf den zugemessenen Raum nöthigt uns,
den Schluß unserer Untersuchung nur auf die Hauptpunkte zu beschränken,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/504>, abgerufen am 15.05.2024.