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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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nehmens über allen Zweifel erhaben sei, so gelingt es sehr häusig gewissen¬
losen Unternehmern, die erforderlichen Kapitalzeichnungen für Bahnen zu
erlangen, welche gar keine Aussicht auf Erfolg haben. Es geht da nicht
bloß ein Privatkapital verloren, sondern auch das Nationalkapital wird um
einen Theil geschmälert, welcher in anderen Industriezweigen gute Früchte
getragen hätte.

Namentlich aber während des Baues von Privatbahnen pflegen nicht
selten gewisse Nachtheile sich einzustellen, welche mehr oder weniger in der
Natur der Dinge liegen. Die Gründer haben ein oberstes Interesse, ihre
Unternehmung überhaupt ins Leben zu führen. Sie suchen deshalb die
Kosten so gering als möglich darzustellen, um sicherer zu sein, das erforderliche
Kapital aufzubringen. In dieser Beziehung sind gerade in neuester Zeit
kolossale Irrthümer vorgekommen. Die noch dazu staatlich subventionirte
Gotthardtbahn hatte das zum Bau des ganzen projektirten Unternehmens
erforderliche Kapital um über 100 Millionen Francs zu niedrig angeschlagen.
Hätte man den ganzen Umfang des wirklich erforderlichen Kapitals von
vorneherein gekannt, so würde wahrscheinlich die Subvention ganz unter¬
blieben und das Unternehmen daher auch nie zu Stande gekommen sein, da
es wohl schwerlich einen dem aufgewendeten Kapital entsprechenden Vortheil
bringen wird. Wir wollen die Schuld dieses Irrthums nicht einmal Per¬
sonen zuschreiben, denn wenn in dem früheren Gotthardtcomite' und in der
Gotthardtdirektion auch Strohmänner sitzen, welche ihren Posten mehr aus
Rücksicht politischer Coterie als wegen Sachverständnisses einnehmen, so steht
doch an ihrer Spitze ein sehr tüchtiger Mann. Der Fehler liegt eben im
Princip. Gründer geben sich leicht sanguinischen Hoffnungen hin und unter¬
schätzen dann unbewußt die Schwierigkeiten, welche ihrem Unternehmen im
Wege stehen. Dieses Unterschätzen des Anlagekapitals einer Eisenbahn aber
hat eine noch viel bedenklichere Seite, weil die Gesellschaft dadurch verführt
oder genöthigt wird, in der Anlage der Eisenbahn Ersparungen vorzunehmen,
welche nicht bloß dem Dienst schaden, sondern sogar Gefahren für die Sicher¬
heit des Publikums herbeiführen können. Wir brauchen in dieser Beziehung
nur an das Beispiel der Lemberg - Czernowitzer Eisenbahn zu erinnern, zu
welcher so schlechtes Schwellen- und Schienenmaterial genommen wurde, daß
die Bahn sofort nach ihrer Vollendung wieder reparirt werden mußte. In
Amerika, wo, wie in England, das Privatbahnsystem besteht, pflegen die Ge¬
leise, Brücken und Viadukte in einer oft geradezu liederlichen Weise construirt
zu werden, so daß die Menschenleben oft auf ruchlose Art gefährdet sind.
Schon seit mehr als zehn Jahren haben zahlreiche Versuche erwiesen, daß
Schienen aus Bessemerstahl nicht bloß dem Eisenbahndienst eine viel größere


nehmens über allen Zweifel erhaben sei, so gelingt es sehr häusig gewissen¬
losen Unternehmern, die erforderlichen Kapitalzeichnungen für Bahnen zu
erlangen, welche gar keine Aussicht auf Erfolg haben. Es geht da nicht
bloß ein Privatkapital verloren, sondern auch das Nationalkapital wird um
einen Theil geschmälert, welcher in anderen Industriezweigen gute Früchte
getragen hätte.

Namentlich aber während des Baues von Privatbahnen pflegen nicht
selten gewisse Nachtheile sich einzustellen, welche mehr oder weniger in der
Natur der Dinge liegen. Die Gründer haben ein oberstes Interesse, ihre
Unternehmung überhaupt ins Leben zu führen. Sie suchen deshalb die
Kosten so gering als möglich darzustellen, um sicherer zu sein, das erforderliche
Kapital aufzubringen. In dieser Beziehung sind gerade in neuester Zeit
kolossale Irrthümer vorgekommen. Die noch dazu staatlich subventionirte
Gotthardtbahn hatte das zum Bau des ganzen projektirten Unternehmens
erforderliche Kapital um über 100 Millionen Francs zu niedrig angeschlagen.
Hätte man den ganzen Umfang des wirklich erforderlichen Kapitals von
vorneherein gekannt, so würde wahrscheinlich die Subvention ganz unter¬
blieben und das Unternehmen daher auch nie zu Stande gekommen sein, da
es wohl schwerlich einen dem aufgewendeten Kapital entsprechenden Vortheil
bringen wird. Wir wollen die Schuld dieses Irrthums nicht einmal Per¬
sonen zuschreiben, denn wenn in dem früheren Gotthardtcomite' und in der
Gotthardtdirektion auch Strohmänner sitzen, welche ihren Posten mehr aus
Rücksicht politischer Coterie als wegen Sachverständnisses einnehmen, so steht
doch an ihrer Spitze ein sehr tüchtiger Mann. Der Fehler liegt eben im
Princip. Gründer geben sich leicht sanguinischen Hoffnungen hin und unter¬
schätzen dann unbewußt die Schwierigkeiten, welche ihrem Unternehmen im
Wege stehen. Dieses Unterschätzen des Anlagekapitals einer Eisenbahn aber
hat eine noch viel bedenklichere Seite, weil die Gesellschaft dadurch verführt
oder genöthigt wird, in der Anlage der Eisenbahn Ersparungen vorzunehmen,
welche nicht bloß dem Dienst schaden, sondern sogar Gefahren für die Sicher¬
heit des Publikums herbeiführen können. Wir brauchen in dieser Beziehung
nur an das Beispiel der Lemberg - Czernowitzer Eisenbahn zu erinnern, zu
welcher so schlechtes Schwellen- und Schienenmaterial genommen wurde, daß
die Bahn sofort nach ihrer Vollendung wieder reparirt werden mußte. In
Amerika, wo, wie in England, das Privatbahnsystem besteht, pflegen die Ge¬
leise, Brücken und Viadukte in einer oft geradezu liederlichen Weise construirt
zu werden, so daß die Menschenleben oft auf ruchlose Art gefährdet sind.
Schon seit mehr als zehn Jahren haben zahlreiche Versuche erwiesen, daß
Schienen aus Bessemerstahl nicht bloß dem Eisenbahndienst eine viel größere


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[0506] nehmens über allen Zweifel erhaben sei, so gelingt es sehr häusig gewissen¬ losen Unternehmern, die erforderlichen Kapitalzeichnungen für Bahnen zu erlangen, welche gar keine Aussicht auf Erfolg haben. Es geht da nicht bloß ein Privatkapital verloren, sondern auch das Nationalkapital wird um einen Theil geschmälert, welcher in anderen Industriezweigen gute Früchte getragen hätte. Namentlich aber während des Baues von Privatbahnen pflegen nicht selten gewisse Nachtheile sich einzustellen, welche mehr oder weniger in der Natur der Dinge liegen. Die Gründer haben ein oberstes Interesse, ihre Unternehmung überhaupt ins Leben zu führen. Sie suchen deshalb die Kosten so gering als möglich darzustellen, um sicherer zu sein, das erforderliche Kapital aufzubringen. In dieser Beziehung sind gerade in neuester Zeit kolossale Irrthümer vorgekommen. Die noch dazu staatlich subventionirte Gotthardtbahn hatte das zum Bau des ganzen projektirten Unternehmens erforderliche Kapital um über 100 Millionen Francs zu niedrig angeschlagen. Hätte man den ganzen Umfang des wirklich erforderlichen Kapitals von vorneherein gekannt, so würde wahrscheinlich die Subvention ganz unter¬ blieben und das Unternehmen daher auch nie zu Stande gekommen sein, da es wohl schwerlich einen dem aufgewendeten Kapital entsprechenden Vortheil bringen wird. Wir wollen die Schuld dieses Irrthums nicht einmal Per¬ sonen zuschreiben, denn wenn in dem früheren Gotthardtcomite' und in der Gotthardtdirektion auch Strohmänner sitzen, welche ihren Posten mehr aus Rücksicht politischer Coterie als wegen Sachverständnisses einnehmen, so steht doch an ihrer Spitze ein sehr tüchtiger Mann. Der Fehler liegt eben im Princip. Gründer geben sich leicht sanguinischen Hoffnungen hin und unter¬ schätzen dann unbewußt die Schwierigkeiten, welche ihrem Unternehmen im Wege stehen. Dieses Unterschätzen des Anlagekapitals einer Eisenbahn aber hat eine noch viel bedenklichere Seite, weil die Gesellschaft dadurch verführt oder genöthigt wird, in der Anlage der Eisenbahn Ersparungen vorzunehmen, welche nicht bloß dem Dienst schaden, sondern sogar Gefahren für die Sicher¬ heit des Publikums herbeiführen können. Wir brauchen in dieser Beziehung nur an das Beispiel der Lemberg - Czernowitzer Eisenbahn zu erinnern, zu welcher so schlechtes Schwellen- und Schienenmaterial genommen wurde, daß die Bahn sofort nach ihrer Vollendung wieder reparirt werden mußte. In Amerika, wo, wie in England, das Privatbahnsystem besteht, pflegen die Ge¬ leise, Brücken und Viadukte in einer oft geradezu liederlichen Weise construirt zu werden, so daß die Menschenleben oft auf ruchlose Art gefährdet sind. Schon seit mehr als zehn Jahren haben zahlreiche Versuche erwiesen, daß Schienen aus Bessemerstahl nicht bloß dem Eisenbahndienst eine viel größere

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/506>, abgerufen am 31.05.2024.