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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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Maßstab zu finden für den Fall, daß der Plan wirklich die gesetzliche Ge¬
nehmigung finden sollte, die deutschen Privatbahnen in den Besitz des
Staates, beziehungsweise des Reiches übergehen zu lassen. Wir beschäftigen
uns hier nur mit der Frage, ob es für das allgemeine Wohl besser ist, wenn
die Eisenbahnen im Eigenthum von Privaten oder des Staates sich befin¬
den. Wir glauben, mit den oben angeführten Argumenten das Letztere
nachgewiesen zu haben. Ob auch der Betrieb in den Händen des Staats besser
zum allgemeinen Vortheil gewahrt ist, muß erst noch untersucht werden. Uebrigens
ist diese Frage für diejenige des Eigenthums nicht präjudicirlich, weil der Be¬
trieb von Staatsbahnen ja auch an Privatunternehmer verpachtet werden kann.

Für uns bleibt hier noch die Frage zu untersuchen, ob es vor¬
theilhaft ist, noch jetzt die alten Privatbahnen für den Staat zu
acquiriren, nachdem die richtige Zeit versäumt worden ist, und nachdem wohl
von keiner Seite mehr geleugnet werden wird, daß es für das öffentliche
Wohl besser gewesen wäre, die Eisenbahnen von Anfang an von Staatswegen
zu übernehmen, wie es in den süddeutschen Staaten und in Belgien geschehen
ist, -- oder ob der Staat von jetzt an nur die neuen Bahnen übernehmen
soll, für welche sich ohnehin, außer mit Staatsgarantie, keine soliden Unter¬
nehmer mehr finden. Wir halten auch jetzt noch den Ankauf sämmtlicher
Bahnen nicht bloß für möglich, sondern auch für vortheilhaft, und zwar aus
folgendem Grunde. Wie ungünstig auch der Maßstab der Berechnung des
Kaufschillings bei der Expropriation oder beim freien Kaufvertrag für den
Staat ausfallen mag, so kann man doch annehmen, daß die Zinsen der als
Kaufschilling hingegebenen Obligationen von dem Reinertrag der Bahnen
nach dem Maßstab ihrer gegenwärtigen Betriebsverhältnisse auch in Zukunft
werden gedeckt werden. Dieser Maßstab oder Umfang der Betriebsverhältnisse
wird aber in der Zukunft nicht derselbe bleiben, durch die Anlegung neuer
Kreuzungslinien und in Folge des weiteren Ausbaues des Eisenbahnnetzes
muß der Betrieb der alten Hauptbahnen durch die vermehrte Zufuhr von
Passagieren und Gütern in der Zukunft an Umfang zunehmen. Der Staat,
welcher die neuen Bahnen baut, und bei denselben vielleicht sogar Einbuße
erleidet, hilft durch dieselben dagegen den Reinertrag der alten Privatbahnen
ohne deren Zuthun erhöhen. Um den Betrag dieser Erhöhung gewinnt er
in Zukunft einen Vortheil aus dem Besitz der Privatbahnen, auch wenn er
sie zu einem sehr hohen Preise angekauft hat, und diesen Ueberschuß kann er
dazu verwenden, um das Deficit der neuen Staatsbahnen zu decken. Dieser
Umstand allein muß mit der Zeit den Staat überall zur Erwerbung der
Eisenbahnen führen, denn in vielen Staaten ist es schon so weit gekommen
daß gar keine neuen Bahnen mehr ohne Staatsunterstützung unternommen


Maßstab zu finden für den Fall, daß der Plan wirklich die gesetzliche Ge¬
nehmigung finden sollte, die deutschen Privatbahnen in den Besitz des
Staates, beziehungsweise des Reiches übergehen zu lassen. Wir beschäftigen
uns hier nur mit der Frage, ob es für das allgemeine Wohl besser ist, wenn
die Eisenbahnen im Eigenthum von Privaten oder des Staates sich befin¬
den. Wir glauben, mit den oben angeführten Argumenten das Letztere
nachgewiesen zu haben. Ob auch der Betrieb in den Händen des Staats besser
zum allgemeinen Vortheil gewahrt ist, muß erst noch untersucht werden. Uebrigens
ist diese Frage für diejenige des Eigenthums nicht präjudicirlich, weil der Be¬
trieb von Staatsbahnen ja auch an Privatunternehmer verpachtet werden kann.

Für uns bleibt hier noch die Frage zu untersuchen, ob es vor¬
theilhaft ist, noch jetzt die alten Privatbahnen für den Staat zu
acquiriren, nachdem die richtige Zeit versäumt worden ist, und nachdem wohl
von keiner Seite mehr geleugnet werden wird, daß es für das öffentliche
Wohl besser gewesen wäre, die Eisenbahnen von Anfang an von Staatswegen
zu übernehmen, wie es in den süddeutschen Staaten und in Belgien geschehen
ist, — oder ob der Staat von jetzt an nur die neuen Bahnen übernehmen
soll, für welche sich ohnehin, außer mit Staatsgarantie, keine soliden Unter¬
nehmer mehr finden. Wir halten auch jetzt noch den Ankauf sämmtlicher
Bahnen nicht bloß für möglich, sondern auch für vortheilhaft, und zwar aus
folgendem Grunde. Wie ungünstig auch der Maßstab der Berechnung des
Kaufschillings bei der Expropriation oder beim freien Kaufvertrag für den
Staat ausfallen mag, so kann man doch annehmen, daß die Zinsen der als
Kaufschilling hingegebenen Obligationen von dem Reinertrag der Bahnen
nach dem Maßstab ihrer gegenwärtigen Betriebsverhältnisse auch in Zukunft
werden gedeckt werden. Dieser Maßstab oder Umfang der Betriebsverhältnisse
wird aber in der Zukunft nicht derselbe bleiben, durch die Anlegung neuer
Kreuzungslinien und in Folge des weiteren Ausbaues des Eisenbahnnetzes
muß der Betrieb der alten Hauptbahnen durch die vermehrte Zufuhr von
Passagieren und Gütern in der Zukunft an Umfang zunehmen. Der Staat,
welcher die neuen Bahnen baut, und bei denselben vielleicht sogar Einbuße
erleidet, hilft durch dieselben dagegen den Reinertrag der alten Privatbahnen
ohne deren Zuthun erhöhen. Um den Betrag dieser Erhöhung gewinnt er
in Zukunft einen Vortheil aus dem Besitz der Privatbahnen, auch wenn er
sie zu einem sehr hohen Preise angekauft hat, und diesen Ueberschuß kann er
dazu verwenden, um das Deficit der neuen Staatsbahnen zu decken. Dieser
Umstand allein muß mit der Zeit den Staat überall zur Erwerbung der
Eisenbahnen führen, denn in vielen Staaten ist es schon so weit gekommen
daß gar keine neuen Bahnen mehr ohne Staatsunterstützung unternommen


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[0515] Maßstab zu finden für den Fall, daß der Plan wirklich die gesetzliche Ge¬ nehmigung finden sollte, die deutschen Privatbahnen in den Besitz des Staates, beziehungsweise des Reiches übergehen zu lassen. Wir beschäftigen uns hier nur mit der Frage, ob es für das allgemeine Wohl besser ist, wenn die Eisenbahnen im Eigenthum von Privaten oder des Staates sich befin¬ den. Wir glauben, mit den oben angeführten Argumenten das Letztere nachgewiesen zu haben. Ob auch der Betrieb in den Händen des Staats besser zum allgemeinen Vortheil gewahrt ist, muß erst noch untersucht werden. Uebrigens ist diese Frage für diejenige des Eigenthums nicht präjudicirlich, weil der Be¬ trieb von Staatsbahnen ja auch an Privatunternehmer verpachtet werden kann. Für uns bleibt hier noch die Frage zu untersuchen, ob es vor¬ theilhaft ist, noch jetzt die alten Privatbahnen für den Staat zu acquiriren, nachdem die richtige Zeit versäumt worden ist, und nachdem wohl von keiner Seite mehr geleugnet werden wird, daß es für das öffentliche Wohl besser gewesen wäre, die Eisenbahnen von Anfang an von Staatswegen zu übernehmen, wie es in den süddeutschen Staaten und in Belgien geschehen ist, — oder ob der Staat von jetzt an nur die neuen Bahnen übernehmen soll, für welche sich ohnehin, außer mit Staatsgarantie, keine soliden Unter¬ nehmer mehr finden. Wir halten auch jetzt noch den Ankauf sämmtlicher Bahnen nicht bloß für möglich, sondern auch für vortheilhaft, und zwar aus folgendem Grunde. Wie ungünstig auch der Maßstab der Berechnung des Kaufschillings bei der Expropriation oder beim freien Kaufvertrag für den Staat ausfallen mag, so kann man doch annehmen, daß die Zinsen der als Kaufschilling hingegebenen Obligationen von dem Reinertrag der Bahnen nach dem Maßstab ihrer gegenwärtigen Betriebsverhältnisse auch in Zukunft werden gedeckt werden. Dieser Maßstab oder Umfang der Betriebsverhältnisse wird aber in der Zukunft nicht derselbe bleiben, durch die Anlegung neuer Kreuzungslinien und in Folge des weiteren Ausbaues des Eisenbahnnetzes muß der Betrieb der alten Hauptbahnen durch die vermehrte Zufuhr von Passagieren und Gütern in der Zukunft an Umfang zunehmen. Der Staat, welcher die neuen Bahnen baut, und bei denselben vielleicht sogar Einbuße erleidet, hilft durch dieselben dagegen den Reinertrag der alten Privatbahnen ohne deren Zuthun erhöhen. Um den Betrag dieser Erhöhung gewinnt er in Zukunft einen Vortheil aus dem Besitz der Privatbahnen, auch wenn er sie zu einem sehr hohen Preise angekauft hat, und diesen Ueberschuß kann er dazu verwenden, um das Deficit der neuen Staatsbahnen zu decken. Dieser Umstand allein muß mit der Zeit den Staat überall zur Erwerbung der Eisenbahnen führen, denn in vielen Staaten ist es schon so weit gekommen daß gar keine neuen Bahnen mehr ohne Staatsunterstützung unternommen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/515>, abgerufen am 29.05.2024.