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Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band.

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So gestaltete sich der Organismus der Straßburger Verwaltung zu
einem lebensvollen, festgegliederten Ganzen, dessen Theile harmonisch in ein¬
ander griffen und zusammenwirkten. Daß diese Reform der Verfassung und
Verwaltung auf alle Zweige und Gebiete des öffentlichen Lebens einen tiefen
und heilsamen Einfluß ausübte, liegt auf der Hand. Wie das Zunftwesen
in Straßburg insbesondere davon berührt wurde, schildert der Verfasser in
kurzen Zügen. Die Zünfte waren sowohl im großen als auch im kleinen
Rath und in den drei Rathscollegien vertreten; darum wurde die Autonomie
der einzelnen Zunft in politischen Dingen immer beschränkter. Von 1441
an werden die Zunftordnungen revidirt und dem Rathe vorgelegt, und die
Zünfte müssen diese revidirten Ordnungen beschwören. Künftighin soll keine
Zunft mehr Steuern erheben und Schulden machen, ohne Wissen und Willen
des Raths. Die Fünfzehnerkammer übte dazu noch eine Controle über die
Zünfte aus und bildete in streitigen Fällen die Reeursinstanz. Ferner
wurde die Zahl der Zünfte in Straßburg von 28 auf 20 herabgesetzt. Die
Zunft bekam auch, vom 16. Jahrhundert an, eine ganz andere Gestaltung
als früher; sie streifte ihren politischen Charakter immer mehr ab, um dem
gewerblichen Platz zu machen. Das 16. Jahrhundert sah in Folge der Ent¬
deckung des Schießpulvers, der Erfindung der Buchdruckerei und dem Ge¬
brauch des Compasses neue Industriezweige und Gewerbe entstehen. Die
gewerbliche Thätigkeit der Zunft entwickelt sich immer mehr; das Lehrlings¬
und Gesellenwesen, die Jahre der Wanderschaft, die Verfertigung von Meister¬
stücken bilden von nun an die Hauptstadien und Elemente des Zunftwesens.
Die Hauptwirkung dieser Umgestaltung war die Entstehung eines tüchtigen
Mittelstandes, der in behaglichem Wohlstand lebte, ohne sich um der Fürsten
Händel viel zu bekümmern und die edlen Künste des Friedens pflegend.

Wenn wir, am Schlüsse der gediegenen Abhandlung des Herrn Professor
Schmoller angelangt, nochmals die socialen und politischen Verhältnisse des
alten Straßburg überblicken, so ergiebt sich für den Geschichtsforscher, wenn
er den harmonisch gegliederten Organismus des damaligen Straßburger
Staatswesens sich vergegenwärtigt, das Bild einer idealen Republik, wie
dieselbe Plato beschrieben hat und wie Erasmus in seinem bekannten
Briefe in einer begeisterten Lobeserhebung sie geschildert. Dem^ne viäedam
mollarodiam aksgus t^lnmüäe, aristooratiam Lins tkotionibus, äemooratiam
sine wlnultu, opes absguö luxu, kslieitg-wu akLMö xroeaoitÄts. HuiÄ b.g,o
darmoma eogitari potsst telieius? Adipan in nujusmoäi remMblieam, alpine
tibi eontigiWöt illciÄLre! die nilnirum, Kio lieuisset Mo tuam oivi-
tawm verekslieem instituore.

Freilich wirkten auch bedeutende Persönlichkeiten, wie ein Gener von
Kaysersberg, ein Jakob Wimpfeltng, ein Sebastian Braut, ein


So gestaltete sich der Organismus der Straßburger Verwaltung zu
einem lebensvollen, festgegliederten Ganzen, dessen Theile harmonisch in ein¬
ander griffen und zusammenwirkten. Daß diese Reform der Verfassung und
Verwaltung auf alle Zweige und Gebiete des öffentlichen Lebens einen tiefen
und heilsamen Einfluß ausübte, liegt auf der Hand. Wie das Zunftwesen
in Straßburg insbesondere davon berührt wurde, schildert der Verfasser in
kurzen Zügen. Die Zünfte waren sowohl im großen als auch im kleinen
Rath und in den drei Rathscollegien vertreten; darum wurde die Autonomie
der einzelnen Zunft in politischen Dingen immer beschränkter. Von 1441
an werden die Zunftordnungen revidirt und dem Rathe vorgelegt, und die
Zünfte müssen diese revidirten Ordnungen beschwören. Künftighin soll keine
Zunft mehr Steuern erheben und Schulden machen, ohne Wissen und Willen
des Raths. Die Fünfzehnerkammer übte dazu noch eine Controle über die
Zünfte aus und bildete in streitigen Fällen die Reeursinstanz. Ferner
wurde die Zahl der Zünfte in Straßburg von 28 auf 20 herabgesetzt. Die
Zunft bekam auch, vom 16. Jahrhundert an, eine ganz andere Gestaltung
als früher; sie streifte ihren politischen Charakter immer mehr ab, um dem
gewerblichen Platz zu machen. Das 16. Jahrhundert sah in Folge der Ent¬
deckung des Schießpulvers, der Erfindung der Buchdruckerei und dem Ge¬
brauch des Compasses neue Industriezweige und Gewerbe entstehen. Die
gewerbliche Thätigkeit der Zunft entwickelt sich immer mehr; das Lehrlings¬
und Gesellenwesen, die Jahre der Wanderschaft, die Verfertigung von Meister¬
stücken bilden von nun an die Hauptstadien und Elemente des Zunftwesens.
Die Hauptwirkung dieser Umgestaltung war die Entstehung eines tüchtigen
Mittelstandes, der in behaglichem Wohlstand lebte, ohne sich um der Fürsten
Händel viel zu bekümmern und die edlen Künste des Friedens pflegend.

Wenn wir, am Schlüsse der gediegenen Abhandlung des Herrn Professor
Schmoller angelangt, nochmals die socialen und politischen Verhältnisse des
alten Straßburg überblicken, so ergiebt sich für den Geschichtsforscher, wenn
er den harmonisch gegliederten Organismus des damaligen Straßburger
Staatswesens sich vergegenwärtigt, das Bild einer idealen Republik, wie
dieselbe Plato beschrieben hat und wie Erasmus in seinem bekannten
Briefe in einer begeisterten Lobeserhebung sie geschildert. Dem^ne viäedam
mollarodiam aksgus t^lnmüäe, aristooratiam Lins tkotionibus, äemooratiam
sine wlnultu, opes absguö luxu, kslieitg-wu akLMö xroeaoitÄts. HuiÄ b.g,o
darmoma eogitari potsst telieius? Adipan in nujusmoäi remMblieam, alpine
tibi eontigiWöt illciÄLre! die nilnirum, Kio lieuisset Mo tuam oivi-
tawm verekslieem instituore.

Freilich wirkten auch bedeutende Persönlichkeiten, wie ein Gener von
Kaysersberg, ein Jakob Wimpfeltng, ein Sebastian Braut, ein


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[0056] So gestaltete sich der Organismus der Straßburger Verwaltung zu einem lebensvollen, festgegliederten Ganzen, dessen Theile harmonisch in ein¬ ander griffen und zusammenwirkten. Daß diese Reform der Verfassung und Verwaltung auf alle Zweige und Gebiete des öffentlichen Lebens einen tiefen und heilsamen Einfluß ausübte, liegt auf der Hand. Wie das Zunftwesen in Straßburg insbesondere davon berührt wurde, schildert der Verfasser in kurzen Zügen. Die Zünfte waren sowohl im großen als auch im kleinen Rath und in den drei Rathscollegien vertreten; darum wurde die Autonomie der einzelnen Zunft in politischen Dingen immer beschränkter. Von 1441 an werden die Zunftordnungen revidirt und dem Rathe vorgelegt, und die Zünfte müssen diese revidirten Ordnungen beschwören. Künftighin soll keine Zunft mehr Steuern erheben und Schulden machen, ohne Wissen und Willen des Raths. Die Fünfzehnerkammer übte dazu noch eine Controle über die Zünfte aus und bildete in streitigen Fällen die Reeursinstanz. Ferner wurde die Zahl der Zünfte in Straßburg von 28 auf 20 herabgesetzt. Die Zunft bekam auch, vom 16. Jahrhundert an, eine ganz andere Gestaltung als früher; sie streifte ihren politischen Charakter immer mehr ab, um dem gewerblichen Platz zu machen. Das 16. Jahrhundert sah in Folge der Ent¬ deckung des Schießpulvers, der Erfindung der Buchdruckerei und dem Ge¬ brauch des Compasses neue Industriezweige und Gewerbe entstehen. Die gewerbliche Thätigkeit der Zunft entwickelt sich immer mehr; das Lehrlings¬ und Gesellenwesen, die Jahre der Wanderschaft, die Verfertigung von Meister¬ stücken bilden von nun an die Hauptstadien und Elemente des Zunftwesens. Die Hauptwirkung dieser Umgestaltung war die Entstehung eines tüchtigen Mittelstandes, der in behaglichem Wohlstand lebte, ohne sich um der Fürsten Händel viel zu bekümmern und die edlen Künste des Friedens pflegend. Wenn wir, am Schlüsse der gediegenen Abhandlung des Herrn Professor Schmoller angelangt, nochmals die socialen und politischen Verhältnisse des alten Straßburg überblicken, so ergiebt sich für den Geschichtsforscher, wenn er den harmonisch gegliederten Organismus des damaligen Straßburger Staatswesens sich vergegenwärtigt, das Bild einer idealen Republik, wie dieselbe Plato beschrieben hat und wie Erasmus in seinem bekannten Briefe in einer begeisterten Lobeserhebung sie geschildert. Dem^ne viäedam mollarodiam aksgus t^lnmüäe, aristooratiam Lins tkotionibus, äemooratiam sine wlnultu, opes absguö luxu, kslieitg-wu akLMö xroeaoitÄts. HuiÄ b.g,o darmoma eogitari potsst telieius? Adipan in nujusmoäi remMblieam, alpine tibi eontigiWöt illciÄLre! die nilnirum, Kio lieuisset Mo tuam oivi- tawm verekslieem instituore. Freilich wirkten auch bedeutende Persönlichkeiten, wie ein Gener von Kaysersberg, ein Jakob Wimpfeltng, ein Sebastian Braut, ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 35, 1876, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341823_157686/56>, abgerufen am 31.05.2024.