Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Wir kommen zum Schlüsse. Die vornehmsten Dichter haben, wie wir
sahen, die Mysterien verherrlicht und gepriesen, und es ließen sich ähnliche
Lobsprüche aus dem Munde von Rednern und Philosophen des Alterthums
anführen. Andrerseits aber fehlt es anch nicht all Beispielen, daß nicht blos
leichtsinnige Religionsspötter wie Alkibiades, sondern auch ernste und fromm¬
gesinnte Männer sich feindlich oder doch gleichgültig gegen diese geheimen Got¬
tesdienste verhielten. Wie werden wir uns zu diesem Masonenthum der antiken
Welt stellen?

Unverkennbar waren die Gottheiten, die in den Mysterien gefeiert wur¬
den: Demeter, Kore-Persephone und Jakchos-Dionysos, Mächte von weitum¬
fassender Bedeutung und Wirksamkeit. Sie walteten gleichmäßig in der Ober¬
welt und in der Unterwelt, sie sendeten aus den Tiefen der Erde eine Fülle
von Trost und Hoffnung empor, sie nahmen das Leben nur zurück, um es
immer wieder neu hervorgehen zu lassen, gleich der mit jedem Frühling
neu ergrünenden und wieder jung werdenden Pflanzenwelt. Die Unter¬
welt war in der Blüthezeit der Mysterien von Eleusis nicht mehr wie
in den Tagen Homers nur ein Land bleicher nächtiger Schatten, sondern ein
Reich, in dem neben dem Tode unvergängliches Leben sich regte; es herrschten
dort Götter, die nicht am Todten, sondern am Lebendigen Wohlgefallen fanden.
Und die Folgerung aus diesem Bewußtsein war: wie in den Naturgebieten,
welchen diese Götter zunächst vorstehen, aus dem todten Winter der lebendige
Frühling hervorsprießt, wie sie selbst nach der heiligen Sage zwar gestorben
sind, aber ewiges Leben haben, so werden sie auch des Menschen Leben nicht
der Vernichtung anheimfallen lassen, sondern, wie sie es diesseits des Grabes
genährt haben, es jenseits desselben erhalten. Der Mensch wird, wenn der
Tod ihn hinabführt, nur das irdische Dasein mit einer andern Existenzform
vertauschen, welche nicht weniger als jenes, sondern mehr noch wahres Leben
sein wird.

Feruer, wenn audere Götter vorzugsweise in Beziehung auf spezielle
Gaben und Segnungen verehrt wurden, die man von ihnen erwartete, oder
mit Rücksicht auf besondere Verpflichtungen, die man ihnen gegenüber hatte,
so wurden die Gottheiten der eleusinischen Feste weit mehr in der allgemeinsten
Beziehung zu dem gesammten Leben der Menschen und zwar nicht blos zu
dem diesseitigen, sondern auch zu dem jenseitigen gedacht. Sie waren die all¬
gemeinen Segenspender, zu gleicher Zeit aber auch die Richter, die man am
meisten zu fürchten hatte, da man noch über das Grab hinaus unter ihrer
Gewalt stand.

Daß eine solche Wirksamkeit von übermenschlichen Mächten in keinem
andern Kultus der damaligen Zeit dem Geiste der Menschen in gleichem Maße


Wir kommen zum Schlüsse. Die vornehmsten Dichter haben, wie wir
sahen, die Mysterien verherrlicht und gepriesen, und es ließen sich ähnliche
Lobsprüche aus dem Munde von Rednern und Philosophen des Alterthums
anführen. Andrerseits aber fehlt es anch nicht all Beispielen, daß nicht blos
leichtsinnige Religionsspötter wie Alkibiades, sondern auch ernste und fromm¬
gesinnte Männer sich feindlich oder doch gleichgültig gegen diese geheimen Got¬
tesdienste verhielten. Wie werden wir uns zu diesem Masonenthum der antiken
Welt stellen?

Unverkennbar waren die Gottheiten, die in den Mysterien gefeiert wur¬
den: Demeter, Kore-Persephone und Jakchos-Dionysos, Mächte von weitum¬
fassender Bedeutung und Wirksamkeit. Sie walteten gleichmäßig in der Ober¬
welt und in der Unterwelt, sie sendeten aus den Tiefen der Erde eine Fülle
von Trost und Hoffnung empor, sie nahmen das Leben nur zurück, um es
immer wieder neu hervorgehen zu lassen, gleich der mit jedem Frühling
neu ergrünenden und wieder jung werdenden Pflanzenwelt. Die Unter¬
welt war in der Blüthezeit der Mysterien von Eleusis nicht mehr wie
in den Tagen Homers nur ein Land bleicher nächtiger Schatten, sondern ein
Reich, in dem neben dem Tode unvergängliches Leben sich regte; es herrschten
dort Götter, die nicht am Todten, sondern am Lebendigen Wohlgefallen fanden.
Und die Folgerung aus diesem Bewußtsein war: wie in den Naturgebieten,
welchen diese Götter zunächst vorstehen, aus dem todten Winter der lebendige
Frühling hervorsprießt, wie sie selbst nach der heiligen Sage zwar gestorben
sind, aber ewiges Leben haben, so werden sie auch des Menschen Leben nicht
der Vernichtung anheimfallen lassen, sondern, wie sie es diesseits des Grabes
genährt haben, es jenseits desselben erhalten. Der Mensch wird, wenn der
Tod ihn hinabführt, nur das irdische Dasein mit einer andern Existenzform
vertauschen, welche nicht weniger als jenes, sondern mehr noch wahres Leben
sein wird.

Feruer, wenn audere Götter vorzugsweise in Beziehung auf spezielle
Gaben und Segnungen verehrt wurden, die man von ihnen erwartete, oder
mit Rücksicht auf besondere Verpflichtungen, die man ihnen gegenüber hatte,
so wurden die Gottheiten der eleusinischen Feste weit mehr in der allgemeinsten
Beziehung zu dem gesammten Leben der Menschen und zwar nicht blos zu
dem diesseitigen, sondern auch zu dem jenseitigen gedacht. Sie waren die all¬
gemeinen Segenspender, zu gleicher Zeit aber auch die Richter, die man am
meisten zu fürchten hatte, da man noch über das Grab hinaus unter ihrer
Gewalt stand.

Daß eine solche Wirksamkeit von übermenschlichen Mächten in keinem
andern Kultus der damaligen Zeit dem Geiste der Menschen in gleichem Maße


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0126" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137299"/>
          <p xml:id="ID_451"> Wir kommen zum Schlüsse. Die vornehmsten Dichter haben, wie wir<lb/>
sahen, die Mysterien verherrlicht und gepriesen, und es ließen sich ähnliche<lb/>
Lobsprüche aus dem Munde von Rednern und Philosophen des Alterthums<lb/>
anführen. Andrerseits aber fehlt es anch nicht all Beispielen, daß nicht blos<lb/>
leichtsinnige Religionsspötter wie Alkibiades, sondern auch ernste und fromm¬<lb/>
gesinnte Männer sich feindlich oder doch gleichgültig gegen diese geheimen Got¬<lb/>
tesdienste verhielten. Wie werden wir uns zu diesem Masonenthum der antiken<lb/>
Welt stellen?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_452"> Unverkennbar waren die Gottheiten, die in den Mysterien gefeiert wur¬<lb/>
den: Demeter, Kore-Persephone und Jakchos-Dionysos, Mächte von weitum¬<lb/>
fassender Bedeutung und Wirksamkeit. Sie walteten gleichmäßig in der Ober¬<lb/>
welt und in der Unterwelt, sie sendeten aus den Tiefen der Erde eine Fülle<lb/>
von Trost und Hoffnung empor, sie nahmen das Leben nur zurück, um es<lb/>
immer wieder neu hervorgehen zu lassen, gleich der mit jedem Frühling<lb/>
neu ergrünenden und wieder jung werdenden Pflanzenwelt. Die Unter¬<lb/>
welt war in der Blüthezeit der Mysterien von Eleusis nicht mehr wie<lb/>
in den Tagen Homers nur ein Land bleicher nächtiger Schatten, sondern ein<lb/>
Reich, in dem neben dem Tode unvergängliches Leben sich regte; es herrschten<lb/>
dort Götter, die nicht am Todten, sondern am Lebendigen Wohlgefallen fanden.<lb/>
Und die Folgerung aus diesem Bewußtsein war: wie in den Naturgebieten,<lb/>
welchen diese Götter zunächst vorstehen, aus dem todten Winter der lebendige<lb/>
Frühling hervorsprießt, wie sie selbst nach der heiligen Sage zwar gestorben<lb/>
sind, aber ewiges Leben haben, so werden sie auch des Menschen Leben nicht<lb/>
der Vernichtung anheimfallen lassen, sondern, wie sie es diesseits des Grabes<lb/>
genährt haben, es jenseits desselben erhalten. Der Mensch wird, wenn der<lb/>
Tod ihn hinabführt, nur das irdische Dasein mit einer andern Existenzform<lb/>
vertauschen, welche nicht weniger als jenes, sondern mehr noch wahres Leben<lb/>
sein wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_453"> Feruer, wenn audere Götter vorzugsweise in Beziehung auf spezielle<lb/>
Gaben und Segnungen verehrt wurden, die man von ihnen erwartete, oder<lb/>
mit Rücksicht auf besondere Verpflichtungen, die man ihnen gegenüber hatte,<lb/>
so wurden die Gottheiten der eleusinischen Feste weit mehr in der allgemeinsten<lb/>
Beziehung zu dem gesammten Leben der Menschen und zwar nicht blos zu<lb/>
dem diesseitigen, sondern auch zu dem jenseitigen gedacht. Sie waren die all¬<lb/>
gemeinen Segenspender, zu gleicher Zeit aber auch die Richter, die man am<lb/>
meisten zu fürchten hatte, da man noch über das Grab hinaus unter ihrer<lb/>
Gewalt stand.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_454" next="#ID_455"> Daß eine solche Wirksamkeit von übermenschlichen Mächten in keinem<lb/>
andern Kultus der damaligen Zeit dem Geiste der Menschen in gleichem Maße</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0126] Wir kommen zum Schlüsse. Die vornehmsten Dichter haben, wie wir sahen, die Mysterien verherrlicht und gepriesen, und es ließen sich ähnliche Lobsprüche aus dem Munde von Rednern und Philosophen des Alterthums anführen. Andrerseits aber fehlt es anch nicht all Beispielen, daß nicht blos leichtsinnige Religionsspötter wie Alkibiades, sondern auch ernste und fromm¬ gesinnte Männer sich feindlich oder doch gleichgültig gegen diese geheimen Got¬ tesdienste verhielten. Wie werden wir uns zu diesem Masonenthum der antiken Welt stellen? Unverkennbar waren die Gottheiten, die in den Mysterien gefeiert wur¬ den: Demeter, Kore-Persephone und Jakchos-Dionysos, Mächte von weitum¬ fassender Bedeutung und Wirksamkeit. Sie walteten gleichmäßig in der Ober¬ welt und in der Unterwelt, sie sendeten aus den Tiefen der Erde eine Fülle von Trost und Hoffnung empor, sie nahmen das Leben nur zurück, um es immer wieder neu hervorgehen zu lassen, gleich der mit jedem Frühling neu ergrünenden und wieder jung werdenden Pflanzenwelt. Die Unter¬ welt war in der Blüthezeit der Mysterien von Eleusis nicht mehr wie in den Tagen Homers nur ein Land bleicher nächtiger Schatten, sondern ein Reich, in dem neben dem Tode unvergängliches Leben sich regte; es herrschten dort Götter, die nicht am Todten, sondern am Lebendigen Wohlgefallen fanden. Und die Folgerung aus diesem Bewußtsein war: wie in den Naturgebieten, welchen diese Götter zunächst vorstehen, aus dem todten Winter der lebendige Frühling hervorsprießt, wie sie selbst nach der heiligen Sage zwar gestorben sind, aber ewiges Leben haben, so werden sie auch des Menschen Leben nicht der Vernichtung anheimfallen lassen, sondern, wie sie es diesseits des Grabes genährt haben, es jenseits desselben erhalten. Der Mensch wird, wenn der Tod ihn hinabführt, nur das irdische Dasein mit einer andern Existenzform vertauschen, welche nicht weniger als jenes, sondern mehr noch wahres Leben sein wird. Feruer, wenn audere Götter vorzugsweise in Beziehung auf spezielle Gaben und Segnungen verehrt wurden, die man von ihnen erwartete, oder mit Rücksicht auf besondere Verpflichtungen, die man ihnen gegenüber hatte, so wurden die Gottheiten der eleusinischen Feste weit mehr in der allgemeinsten Beziehung zu dem gesammten Leben der Menschen und zwar nicht blos zu dem diesseitigen, sondern auch zu dem jenseitigen gedacht. Sie waren die all¬ gemeinen Segenspender, zu gleicher Zeit aber auch die Richter, die man am meisten zu fürchten hatte, da man noch über das Grab hinaus unter ihrer Gewalt stand. Daß eine solche Wirksamkeit von übermenschlichen Mächten in keinem andern Kultus der damaligen Zeit dem Geiste der Menschen in gleichem Maße

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/126
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/126>, abgerufen am 22.05.2024.