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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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fahrungen und führt diese wiederum auf die allgemeine wirthschaftliche Be¬
drängnis; zurück. Allein, die Freunde jenes großen Gedankens werden sich
durch solche Vertröstung schwerlich befriedigt fühlen, um so weniger, als man
sich auf Grund der officiellen Nachweisungen über die Resultate der Dismem-
brativn von deu "ungünstigen Erfahrungen" nicht recht überzeugen kaun. Für
die bis jetzt parzellirten Grundstücke ist durchweg ein Kaufpreis erzielt worden,
welcher zu dem Pachtzins, der im Falle der Wiederverpachtung zu erlangen
gewesen sein würde, in angemessenen Verhältniß steht. Für die Erfüllung
der Bebauuugsbedinguugen ist die vertragsmäßige Frist noch nicht abgelaufen.
Die ungünstigen Erfahrungen werden also wohl in Bezug auf die Erfüllung
der Zahlungsbedingungen gemacht sein. Grade hier aber liegt die schwache
Seite des von der Regierung beobachteten Systems. Ganz ohne Zweifel ist
diese Veräußerung von Domänen viel zu sehr nach einseitig fiscalischen Ge¬
sichtspunkten betrieben worden. Es gilt, die Angelegenheit in erster Linie als
eine volkswirtschaftliche, als eine überaus wichtige Frage des Nationalwohls
anzufassen. Vou diesem Standpunkte aus werden auch die Erwerbnngsbe-
dingungen zu regeln sein. Der Abg. Sombart hat in einem vortrefflichen
Vortrage nachgewiesen, wie unter deu veränderten Verkehrs- und Produktions¬
verhältnissen in der deutschen Landwirthschaft das Latifundiensystem immer
unrentabler werdeu muß, und wie Alles auf die Vermehrung und Begünstigung
des Kleinbetriebes als das volkswirtschaftlich Richtige hinweist. Es ist nicht
möglich, daß dies Mahnwort eines sehr competenten Praktikers in den Wind
geschlagen werde. Wir denken, man wird bei der dritten Lesung des Etats
auf die Sache zurückkommen.

Der Etat der directen Steuern gab einigen Rednern Gelegenheit, ihre
Bemerkungen aus der Generaldebatte zu besserer Beherzigung nochmals
zu wiederholen; namentlich von ultramontaner Seite wurde das Thema
von der Steuerschraube, welche zur Chieanirung der der Verwaltung
mißliebigen Staatsbürger mißbraucht werden soll, mit den üblichen de¬
magogischen Seitenblicken behandelt. Daß die Regierung in Bezug auf
die Steuervemnlnguug den gewählten Einschätznngseommisstonen gegen¬
über so gut wie machtlos ist, braucht die Partei für "Wahrheit, Freiheit
und Recht" ihrer Gefolgschaft allerdings nicht zu verrathen. Ein umfassender
Steuerreformplan wurde übrigens jetzt in der zweiten Berathung ebenso wenig
vorgebracht wie in der Generaldebatte. Inzwischen hat die Fortschrittspartei
aus ihrer Mitte einen Ausschuß niedergesetzt, um einen solchen auszuarbeiten.
Wenn die Herren sich nicht dazu verleiten lassen, möglichst rasch eine blendende
Denkschrift abzufassen, sondern wenn sie den überaus verwickelten und schwie¬
rigen Fragen auf den Grund gehen, so kann ihre Arbeit eine recht verdienst-


Grenzbotm I. 1877. 35

fahrungen und führt diese wiederum auf die allgemeine wirthschaftliche Be¬
drängnis; zurück. Allein, die Freunde jenes großen Gedankens werden sich
durch solche Vertröstung schwerlich befriedigt fühlen, um so weniger, als man
sich auf Grund der officiellen Nachweisungen über die Resultate der Dismem-
brativn von deu „ungünstigen Erfahrungen" nicht recht überzeugen kaun. Für
die bis jetzt parzellirten Grundstücke ist durchweg ein Kaufpreis erzielt worden,
welcher zu dem Pachtzins, der im Falle der Wiederverpachtung zu erlangen
gewesen sein würde, in angemessenen Verhältniß steht. Für die Erfüllung
der Bebauuugsbedinguugen ist die vertragsmäßige Frist noch nicht abgelaufen.
Die ungünstigen Erfahrungen werden also wohl in Bezug auf die Erfüllung
der Zahlungsbedingungen gemacht sein. Grade hier aber liegt die schwache
Seite des von der Regierung beobachteten Systems. Ganz ohne Zweifel ist
diese Veräußerung von Domänen viel zu sehr nach einseitig fiscalischen Ge¬
sichtspunkten betrieben worden. Es gilt, die Angelegenheit in erster Linie als
eine volkswirtschaftliche, als eine überaus wichtige Frage des Nationalwohls
anzufassen. Vou diesem Standpunkte aus werden auch die Erwerbnngsbe-
dingungen zu regeln sein. Der Abg. Sombart hat in einem vortrefflichen
Vortrage nachgewiesen, wie unter deu veränderten Verkehrs- und Produktions¬
verhältnissen in der deutschen Landwirthschaft das Latifundiensystem immer
unrentabler werdeu muß, und wie Alles auf die Vermehrung und Begünstigung
des Kleinbetriebes als das volkswirtschaftlich Richtige hinweist. Es ist nicht
möglich, daß dies Mahnwort eines sehr competenten Praktikers in den Wind
geschlagen werde. Wir denken, man wird bei der dritten Lesung des Etats
auf die Sache zurückkommen.

Der Etat der directen Steuern gab einigen Rednern Gelegenheit, ihre
Bemerkungen aus der Generaldebatte zu besserer Beherzigung nochmals
zu wiederholen; namentlich von ultramontaner Seite wurde das Thema
von der Steuerschraube, welche zur Chieanirung der der Verwaltung
mißliebigen Staatsbürger mißbraucht werden soll, mit den üblichen de¬
magogischen Seitenblicken behandelt. Daß die Regierung in Bezug auf
die Steuervemnlnguug den gewählten Einschätznngseommisstonen gegen¬
über so gut wie machtlos ist, braucht die Partei für „Wahrheit, Freiheit
und Recht" ihrer Gefolgschaft allerdings nicht zu verrathen. Ein umfassender
Steuerreformplan wurde übrigens jetzt in der zweiten Berathung ebenso wenig
vorgebracht wie in der Generaldebatte. Inzwischen hat die Fortschrittspartei
aus ihrer Mitte einen Ausschuß niedergesetzt, um einen solchen auszuarbeiten.
Wenn die Herren sich nicht dazu verleiten lassen, möglichst rasch eine blendende
Denkschrift abzufassen, sondern wenn sie den überaus verwickelten und schwie¬
rigen Fragen auf den Grund gehen, so kann ihre Arbeit eine recht verdienst-


Grenzbotm I. 1877. 35
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[0281] fahrungen und führt diese wiederum auf die allgemeine wirthschaftliche Be¬ drängnis; zurück. Allein, die Freunde jenes großen Gedankens werden sich durch solche Vertröstung schwerlich befriedigt fühlen, um so weniger, als man sich auf Grund der officiellen Nachweisungen über die Resultate der Dismem- brativn von deu „ungünstigen Erfahrungen" nicht recht überzeugen kaun. Für die bis jetzt parzellirten Grundstücke ist durchweg ein Kaufpreis erzielt worden, welcher zu dem Pachtzins, der im Falle der Wiederverpachtung zu erlangen gewesen sein würde, in angemessenen Verhältniß steht. Für die Erfüllung der Bebauuugsbedinguugen ist die vertragsmäßige Frist noch nicht abgelaufen. Die ungünstigen Erfahrungen werden also wohl in Bezug auf die Erfüllung der Zahlungsbedingungen gemacht sein. Grade hier aber liegt die schwache Seite des von der Regierung beobachteten Systems. Ganz ohne Zweifel ist diese Veräußerung von Domänen viel zu sehr nach einseitig fiscalischen Ge¬ sichtspunkten betrieben worden. Es gilt, die Angelegenheit in erster Linie als eine volkswirtschaftliche, als eine überaus wichtige Frage des Nationalwohls anzufassen. Vou diesem Standpunkte aus werden auch die Erwerbnngsbe- dingungen zu regeln sein. Der Abg. Sombart hat in einem vortrefflichen Vortrage nachgewiesen, wie unter deu veränderten Verkehrs- und Produktions¬ verhältnissen in der deutschen Landwirthschaft das Latifundiensystem immer unrentabler werdeu muß, und wie Alles auf die Vermehrung und Begünstigung des Kleinbetriebes als das volkswirtschaftlich Richtige hinweist. Es ist nicht möglich, daß dies Mahnwort eines sehr competenten Praktikers in den Wind geschlagen werde. Wir denken, man wird bei der dritten Lesung des Etats auf die Sache zurückkommen. Der Etat der directen Steuern gab einigen Rednern Gelegenheit, ihre Bemerkungen aus der Generaldebatte zu besserer Beherzigung nochmals zu wiederholen; namentlich von ultramontaner Seite wurde das Thema von der Steuerschraube, welche zur Chieanirung der der Verwaltung mißliebigen Staatsbürger mißbraucht werden soll, mit den üblichen de¬ magogischen Seitenblicken behandelt. Daß die Regierung in Bezug auf die Steuervemnlnguug den gewählten Einschätznngseommisstonen gegen¬ über so gut wie machtlos ist, braucht die Partei für „Wahrheit, Freiheit und Recht" ihrer Gefolgschaft allerdings nicht zu verrathen. Ein umfassender Steuerreformplan wurde übrigens jetzt in der zweiten Berathung ebenso wenig vorgebracht wie in der Generaldebatte. Inzwischen hat die Fortschrittspartei aus ihrer Mitte einen Ausschuß niedergesetzt, um einen solchen auszuarbeiten. Wenn die Herren sich nicht dazu verleiten lassen, möglichst rasch eine blendende Denkschrift abzufassen, sondern wenn sie den überaus verwickelten und schwie¬ rigen Fragen auf den Grund gehen, so kann ihre Arbeit eine recht verdienst- Grenzbotm I. 1877. 35

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/281>, abgerufen am 22.05.2024.