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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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enthält, und ein gewisses Maß von Humor, dem mancher hübsche Scherz
gelingt. Das Ganze besteht aus lose aneinandergereihten Skizzen, Bildern,
Satiren und Kritiken, die sich vorwiegend auf das gesellschaftliche Leben der
Gegenwart und seine Erscheinungen beziehen und zwar nicht gerade viele neue
Beobachtungen und Urtheile, aber auch nicht wenige Darstellungen und Be¬
merkungen enthalten, die man sich, ohne gelangweilt zu werden, zweimal sagen
lassen kann, da die Empfindung, die ihnen zu Grunde liegt, gesund ist, und
das Urtheil, welches sie fällen, im Wesentlichen das Rechte trifft. Bisweilen
echauffirt sich der Verfasser über Dinge, die uns als selbstverständlich kalt
lassen würden, wie z. B. Seite 136 bis 138 über einen geputzten Lümmel, der
die Rafaelsche Madonna für "oller Schund" erklärte, und der beiläufig auch
anderswoher sein konnte als aus Berlin, welches gewissen Satirikern mehr
herhalten muß, als es verdient. Sich drei Seiten lang über einen anmaßenden
Dummkopf zu ereifern, ist kein guter Geschmack und noch weniger eine Noth¬
wendigkeit, wenn man für Gebildete schreibt. Allerliebst erzählt ist das 27.
Stück: "Ein Friedensengel." Recht hübsch sind auch die Bemerkungen, die
das Kapitel 37, "Die Herrschaft der Schablone", bilden, und auch sonst ist
uns noch Manches aus der Seele geschrieben; nur wolle man darunter nicht
alles verstehen, was der Verfasser über die Judenfrage sagt. Hier ließe sich
denn doch nicht Weniges bestreiten, wenn auch zuzugeben ist, daß manche An¬
sichten, die der Verfasser mit Pathos als Vorurtheile tadelt, wirklich Vorurtheile
und nichts als das sind.


Die Abstammung der Vögel und Vogelleben in den oberbairischen
Voralpen. Allen freien und gebildeten Naturfreunden gewidmet von Wilhelm
v. Reichenau, Mitglied der rheinischen naturforschenden Gesellschaft.
Mainz, 1876, Verlag von I. Diemer,

Der Verfasser ist nach seiner Schreibweise, die gelegentlich schwungvoller
als billig ist, ein strebsamer Dilettant, nach der Schule, der er folgt, ein An¬
hänger Darwins und Häckels. Was er in Betreff der von diesen vertretenen
Theorien vorbringt, ist nicht von Erheblichkeit. Dagegen hat er das Vogel¬
leben gut beobachtet und weiß so in der zweiten Abhandlung des Buches (die
erste beschäftigt sich mit dem Nachweis, daß die Vogel von den Reptilien ab¬
stammen) allerlei Interessantes von ihm zu erzählen.


H, Ch. Andersens ausgewählte M ärchen. Neu übersetzt und mit An¬
merkungen versehen von Emil I. Jonas. Jllnstrirt von Rodung, Gamborg
u. A. Berlin, E. Buchteller u. Comp.. 1877.

Fünfundzwanzig Märchen, unter denen sich nach dem Vorwort des Ueber¬
setzers "viele befinden, welche bisher noch nicht ins Deutsche übertragen worden


enthält, und ein gewisses Maß von Humor, dem mancher hübsche Scherz
gelingt. Das Ganze besteht aus lose aneinandergereihten Skizzen, Bildern,
Satiren und Kritiken, die sich vorwiegend auf das gesellschaftliche Leben der
Gegenwart und seine Erscheinungen beziehen und zwar nicht gerade viele neue
Beobachtungen und Urtheile, aber auch nicht wenige Darstellungen und Be¬
merkungen enthalten, die man sich, ohne gelangweilt zu werden, zweimal sagen
lassen kann, da die Empfindung, die ihnen zu Grunde liegt, gesund ist, und
das Urtheil, welches sie fällen, im Wesentlichen das Rechte trifft. Bisweilen
echauffirt sich der Verfasser über Dinge, die uns als selbstverständlich kalt
lassen würden, wie z. B. Seite 136 bis 138 über einen geputzten Lümmel, der
die Rafaelsche Madonna für „oller Schund" erklärte, und der beiläufig auch
anderswoher sein konnte als aus Berlin, welches gewissen Satirikern mehr
herhalten muß, als es verdient. Sich drei Seiten lang über einen anmaßenden
Dummkopf zu ereifern, ist kein guter Geschmack und noch weniger eine Noth¬
wendigkeit, wenn man für Gebildete schreibt. Allerliebst erzählt ist das 27.
Stück: „Ein Friedensengel." Recht hübsch sind auch die Bemerkungen, die
das Kapitel 37, „Die Herrschaft der Schablone", bilden, und auch sonst ist
uns noch Manches aus der Seele geschrieben; nur wolle man darunter nicht
alles verstehen, was der Verfasser über die Judenfrage sagt. Hier ließe sich
denn doch nicht Weniges bestreiten, wenn auch zuzugeben ist, daß manche An¬
sichten, die der Verfasser mit Pathos als Vorurtheile tadelt, wirklich Vorurtheile
und nichts als das sind.


Die Abstammung der Vögel und Vogelleben in den oberbairischen
Voralpen. Allen freien und gebildeten Naturfreunden gewidmet von Wilhelm
v. Reichenau, Mitglied der rheinischen naturforschenden Gesellschaft.
Mainz, 1876, Verlag von I. Diemer,

Der Verfasser ist nach seiner Schreibweise, die gelegentlich schwungvoller
als billig ist, ein strebsamer Dilettant, nach der Schule, der er folgt, ein An¬
hänger Darwins und Häckels. Was er in Betreff der von diesen vertretenen
Theorien vorbringt, ist nicht von Erheblichkeit. Dagegen hat er das Vogel¬
leben gut beobachtet und weiß so in der zweiten Abhandlung des Buches (die
erste beschäftigt sich mit dem Nachweis, daß die Vogel von den Reptilien ab¬
stammen) allerlei Interessantes von ihm zu erzählen.


H, Ch. Andersens ausgewählte M ärchen. Neu übersetzt und mit An¬
merkungen versehen von Emil I. Jonas. Jllnstrirt von Rodung, Gamborg
u. A. Berlin, E. Buchteller u. Comp.. 1877.

Fünfundzwanzig Märchen, unter denen sich nach dem Vorwort des Ueber¬
setzers „viele befinden, welche bisher noch nicht ins Deutsche übertragen worden


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[0367] enthält, und ein gewisses Maß von Humor, dem mancher hübsche Scherz gelingt. Das Ganze besteht aus lose aneinandergereihten Skizzen, Bildern, Satiren und Kritiken, die sich vorwiegend auf das gesellschaftliche Leben der Gegenwart und seine Erscheinungen beziehen und zwar nicht gerade viele neue Beobachtungen und Urtheile, aber auch nicht wenige Darstellungen und Be¬ merkungen enthalten, die man sich, ohne gelangweilt zu werden, zweimal sagen lassen kann, da die Empfindung, die ihnen zu Grunde liegt, gesund ist, und das Urtheil, welches sie fällen, im Wesentlichen das Rechte trifft. Bisweilen echauffirt sich der Verfasser über Dinge, die uns als selbstverständlich kalt lassen würden, wie z. B. Seite 136 bis 138 über einen geputzten Lümmel, der die Rafaelsche Madonna für „oller Schund" erklärte, und der beiläufig auch anderswoher sein konnte als aus Berlin, welches gewissen Satirikern mehr herhalten muß, als es verdient. Sich drei Seiten lang über einen anmaßenden Dummkopf zu ereifern, ist kein guter Geschmack und noch weniger eine Noth¬ wendigkeit, wenn man für Gebildete schreibt. Allerliebst erzählt ist das 27. Stück: „Ein Friedensengel." Recht hübsch sind auch die Bemerkungen, die das Kapitel 37, „Die Herrschaft der Schablone", bilden, und auch sonst ist uns noch Manches aus der Seele geschrieben; nur wolle man darunter nicht alles verstehen, was der Verfasser über die Judenfrage sagt. Hier ließe sich denn doch nicht Weniges bestreiten, wenn auch zuzugeben ist, daß manche An¬ sichten, die der Verfasser mit Pathos als Vorurtheile tadelt, wirklich Vorurtheile und nichts als das sind. Die Abstammung der Vögel und Vogelleben in den oberbairischen Voralpen. Allen freien und gebildeten Naturfreunden gewidmet von Wilhelm v. Reichenau, Mitglied der rheinischen naturforschenden Gesellschaft. Mainz, 1876, Verlag von I. Diemer, Der Verfasser ist nach seiner Schreibweise, die gelegentlich schwungvoller als billig ist, ein strebsamer Dilettant, nach der Schule, der er folgt, ein An¬ hänger Darwins und Häckels. Was er in Betreff der von diesen vertretenen Theorien vorbringt, ist nicht von Erheblichkeit. Dagegen hat er das Vogel¬ leben gut beobachtet und weiß so in der zweiten Abhandlung des Buches (die erste beschäftigt sich mit dem Nachweis, daß die Vogel von den Reptilien ab¬ stammen) allerlei Interessantes von ihm zu erzählen. H, Ch. Andersens ausgewählte M ärchen. Neu übersetzt und mit An¬ merkungen versehen von Emil I. Jonas. Jllnstrirt von Rodung, Gamborg u. A. Berlin, E. Buchteller u. Comp.. 1877. Fünfundzwanzig Märchen, unter denen sich nach dem Vorwort des Ueber¬ setzers „viele befinden, welche bisher noch nicht ins Deutsche übertragen worden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/367>, abgerufen am 22.05.2024.