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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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der sauren Arbeit in den Commissionssitzungen zu unterziehen, statt diese sich
selbst zu überlassen, um in xlsno mit rhetorischer Weisheit auf hohem Cothurn
einher zu schreiten. Man darf überzeugt sein, daß wenigstens das Elsaß seinem
Namen Ehre machen und der in diesen Blättern schon häufiger vertretenen
Ansicht Raum geben wird, daß der Kern seiner Bürgerschaft zum Banner des
Liberalismus und des Fortschrittes hält, zwar uicht eines solchen Schein-Libe¬
ralismus , wie man ihn Heuer jenseits des Rheines in manchen Fragen zu
construiren beliebt, aber wohl eines solchen, womit sich ein vernünftig Wörtchen
reden läßt, und der sich nicht von vornherein ablehnend gegen alles verhält,
was "Deutsch" heißt oder von "Deutschen" herstammt.

Schon werden in einzelnen Wahlkreisen Namen genannt und "Kandidaten"
prüsentirt, die weder zur Protest- noch zur klerikalen Partei gehören. In
Colmar soll der bisherige klerikale Deputirte Pfarrer Söhnlin von Neu¬
breisach, von dessen parlamentarischer Wirksamkeit die Reichs-Annalen wenig
oder gar nichts zu sagen wissen werden, dem elsässischen Publizisten Karl
Grad aus Logelbach Platz machen, von dem man zwar keiner besonders
deutschthümlichen Sympathien wohl aber gut elsässischer im Sinne des
Landesausschusses versichert sein kann. In MülHausen wird die Kandi¬
datur des Herrn Jean Dollfus aufgestellt, eines wackeren 80jährigen
Greises, der zu den bedeutenderen Industriellen des Wahlbezirkes gehört und
früher Bürgermeister der Stadt war. Für Zabern verspricht man sich einigen
Erfolg von der Kandidatur des Herrn August Schneegans, eines der Re-
daeteure des "Elsüsser Journals", der kürzlich den Berathungen des elsa߬
lothringischen Budgets im Reichstage persönlich beigewohnt und darüber die
bekannten "Berliner Briefe" in dem genannten Blatte veröffentlicht hat, die
hier größtenteils beifällig aufgenommen worden sind. In Straß bürg spricht
man von einer Kandidatur des derzeitigen Präsidenten der Handelskammer,
Gustav Bergmann, der sich schon früher durch einige volkswirthschaftliche
Brochüren über die Eisenbahn-Tarife u. dergl. vortheilhaft bekannt gemacht hat.
Nebenher geht allerdings die Meldung einiger Blätter, daß der Protest-Kandidat
L an es sich hier wieder um ein Mandat für den neuen Reichstag zu bewerben
gedenkt. Doch wird derselbe, wenn er nicht ganz taub und blind gegen den
Umschlag der Stimmung in der Bevölkerung ist, wohl selber fühlen, daß es
diesmal mit dein einfachen "Protestiren" nicht abgeht, und daß auch die Stra߬
burger Bevölkerung von ihren: Vertreter Arbeit und Wahrung ihrer Interessen
verlangt. Sollte er aber dennoch dieser unmaßgeblichen Ansicht sein, so wird
er doch wohl mit dem einen oder anderen Gegen-Kandidaten zu rechnen haben,
den man ihm in der Person eines Anhängers der Autonomsten-Partei oder
gar eines Altdeutschen unzweifelhaft entgegen stellen dürfe. Da sich die Par-


der sauren Arbeit in den Commissionssitzungen zu unterziehen, statt diese sich
selbst zu überlassen, um in xlsno mit rhetorischer Weisheit auf hohem Cothurn
einher zu schreiten. Man darf überzeugt sein, daß wenigstens das Elsaß seinem
Namen Ehre machen und der in diesen Blättern schon häufiger vertretenen
Ansicht Raum geben wird, daß der Kern seiner Bürgerschaft zum Banner des
Liberalismus und des Fortschrittes hält, zwar uicht eines solchen Schein-Libe¬
ralismus , wie man ihn Heuer jenseits des Rheines in manchen Fragen zu
construiren beliebt, aber wohl eines solchen, womit sich ein vernünftig Wörtchen
reden läßt, und der sich nicht von vornherein ablehnend gegen alles verhält,
was „Deutsch" heißt oder von „Deutschen" herstammt.

Schon werden in einzelnen Wahlkreisen Namen genannt und „Kandidaten"
prüsentirt, die weder zur Protest- noch zur klerikalen Partei gehören. In
Colmar soll der bisherige klerikale Deputirte Pfarrer Söhnlin von Neu¬
breisach, von dessen parlamentarischer Wirksamkeit die Reichs-Annalen wenig
oder gar nichts zu sagen wissen werden, dem elsässischen Publizisten Karl
Grad aus Logelbach Platz machen, von dem man zwar keiner besonders
deutschthümlichen Sympathien wohl aber gut elsässischer im Sinne des
Landesausschusses versichert sein kann. In MülHausen wird die Kandi¬
datur des Herrn Jean Dollfus aufgestellt, eines wackeren 80jährigen
Greises, der zu den bedeutenderen Industriellen des Wahlbezirkes gehört und
früher Bürgermeister der Stadt war. Für Zabern verspricht man sich einigen
Erfolg von der Kandidatur des Herrn August Schneegans, eines der Re-
daeteure des „Elsüsser Journals", der kürzlich den Berathungen des elsa߬
lothringischen Budgets im Reichstage persönlich beigewohnt und darüber die
bekannten „Berliner Briefe" in dem genannten Blatte veröffentlicht hat, die
hier größtenteils beifällig aufgenommen worden sind. In Straß bürg spricht
man von einer Kandidatur des derzeitigen Präsidenten der Handelskammer,
Gustav Bergmann, der sich schon früher durch einige volkswirthschaftliche
Brochüren über die Eisenbahn-Tarife u. dergl. vortheilhaft bekannt gemacht hat.
Nebenher geht allerdings die Meldung einiger Blätter, daß der Protest-Kandidat
L an es sich hier wieder um ein Mandat für den neuen Reichstag zu bewerben
gedenkt. Doch wird derselbe, wenn er nicht ganz taub und blind gegen den
Umschlag der Stimmung in der Bevölkerung ist, wohl selber fühlen, daß es
diesmal mit dein einfachen „Protestiren" nicht abgeht, und daß auch die Stra߬
burger Bevölkerung von ihren: Vertreter Arbeit und Wahrung ihrer Interessen
verlangt. Sollte er aber dennoch dieser unmaßgeblichen Ansicht sein, so wird
er doch wohl mit dem einen oder anderen Gegen-Kandidaten zu rechnen haben,
den man ihm in der Person eines Anhängers der Autonomsten-Partei oder
gar eines Altdeutschen unzweifelhaft entgegen stellen dürfe. Da sich die Par-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/42>, abgerufen am 21.05.2024.