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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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lweiland Gesandter des "Welfenreichs" um Haag, mit einer der ersten hollän¬
dischen Familien verschwägert und Verfasser der abgeschmackten Broschüre
"Sechs Briefe über die Gewissens- und Begriffsverwirrung in Politik, Kirche
und Wissenschaft der Gegenwart") schwärmen und ihn als willkommnen Bundes¬
genossen in dem Kampfe gegen Unglauben und Revolution betrachten kann ...
Ist es zu billigen, daß unser niederländischer Adel von der niederländischen
Reformation, der niederländischen Kirchengeschichte, den niederländischen tires-'
liehen Zustünde" in der Regel ebenso wenig Kenntniß hat, als er ein Herz
dafür zeigt?"

Auch das letzte Kapitel, welches die "eeelvLig. allions als Staat im
Staate" darstellt, enthält ungemein viel Interessantes und Beherzigenswerthes.
An einer großen Anzahl von Beispielen wird gezeigt, wie der Staat fährt,
welcher den Römischen freie Hand läßt. Wir verweisen in Betracht dessen
auf das Buch selbst und setzen nur noch hierher, was für ein Bild die Gegenden,
wo der Katholizismus stark verbreitet ist, im Allgemeinen darbieten. Bürger¬
liche Gemeinde und Armenpflege, Handel und Industrie, Recht und Militär
sind in staunenerregendem Maße der "Freiheit der Kirche" dienstbar gemacht.
Bis auf den Kirchhof verfolgt der Ultramontanismus die ihm Mißliebigen,
und die Regierung thut nichts dagegen. Dem Handwerker, dein Kaufmann,
dem Gastwirth stört und schädigt er sein Geschäft, wenn der Betreffende auch
nur lau in Erfüllung seiner kirchlichen Obliegenheiten ist. Reformirten Aerzten
wird ihre Praxis verkümmert. Wenn die Kirche ihr Auge auf das Vermögen
einer Familie gerichtet hat, ist auch das elendeste Mittel, z. B. Verhetzung der
Eheleute und Untergrabung ihres guten Namens, geheiligt, um^ den Zweck zu
fördern. Selbst manche Eisenbahngesellschaften sind in den Dienst der
schwarzen Propaganda getreten. Es ist unbestrittene Thatsache, daß die eigent¬
liche Rechtssphäre schon längst nicht mehr unabhängig ist, und daß das
Ministerium Borel die Justizpflege den klerikalen Absichten dienstbar machte.

Das sind die Früchte der freien Kirche im freien Staate. Ver¬
gleichen wir unsere gegenwärtigen Zustände damit, und danken wir dem
Himmel, daß in der neuesten Gesetzgebung ein Damm gegen die Flut dieser
Freiheit errichtet worden ist, die auch uns allmählich dem Ruin und der Herr-
chaft Roms entgegeugetriebeu haben würde.




lweiland Gesandter des „Welfenreichs" um Haag, mit einer der ersten hollän¬
dischen Familien verschwägert und Verfasser der abgeschmackten Broschüre
„Sechs Briefe über die Gewissens- und Begriffsverwirrung in Politik, Kirche
und Wissenschaft der Gegenwart") schwärmen und ihn als willkommnen Bundes¬
genossen in dem Kampfe gegen Unglauben und Revolution betrachten kann ...
Ist es zu billigen, daß unser niederländischer Adel von der niederländischen
Reformation, der niederländischen Kirchengeschichte, den niederländischen tires-'
liehen Zustünde» in der Regel ebenso wenig Kenntniß hat, als er ein Herz
dafür zeigt?"

Auch das letzte Kapitel, welches die „eeelvLig. allions als Staat im
Staate" darstellt, enthält ungemein viel Interessantes und Beherzigenswerthes.
An einer großen Anzahl von Beispielen wird gezeigt, wie der Staat fährt,
welcher den Römischen freie Hand läßt. Wir verweisen in Betracht dessen
auf das Buch selbst und setzen nur noch hierher, was für ein Bild die Gegenden,
wo der Katholizismus stark verbreitet ist, im Allgemeinen darbieten. Bürger¬
liche Gemeinde und Armenpflege, Handel und Industrie, Recht und Militär
sind in staunenerregendem Maße der „Freiheit der Kirche" dienstbar gemacht.
Bis auf den Kirchhof verfolgt der Ultramontanismus die ihm Mißliebigen,
und die Regierung thut nichts dagegen. Dem Handwerker, dein Kaufmann,
dem Gastwirth stört und schädigt er sein Geschäft, wenn der Betreffende auch
nur lau in Erfüllung seiner kirchlichen Obliegenheiten ist. Reformirten Aerzten
wird ihre Praxis verkümmert. Wenn die Kirche ihr Auge auf das Vermögen
einer Familie gerichtet hat, ist auch das elendeste Mittel, z. B. Verhetzung der
Eheleute und Untergrabung ihres guten Namens, geheiligt, um^ den Zweck zu
fördern. Selbst manche Eisenbahngesellschaften sind in den Dienst der
schwarzen Propaganda getreten. Es ist unbestrittene Thatsache, daß die eigent¬
liche Rechtssphäre schon längst nicht mehr unabhängig ist, und daß das
Ministerium Borel die Justizpflege den klerikalen Absichten dienstbar machte.

Das sind die Früchte der freien Kirche im freien Staate. Ver¬
gleichen wir unsere gegenwärtigen Zustände damit, und danken wir dem
Himmel, daß in der neuesten Gesetzgebung ein Damm gegen die Flut dieser
Freiheit errichtet worden ist, die auch uns allmählich dem Ruin und der Herr-
chaft Roms entgegeugetriebeu haben würde.




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[0115] lweiland Gesandter des „Welfenreichs" um Haag, mit einer der ersten hollän¬ dischen Familien verschwägert und Verfasser der abgeschmackten Broschüre „Sechs Briefe über die Gewissens- und Begriffsverwirrung in Politik, Kirche und Wissenschaft der Gegenwart") schwärmen und ihn als willkommnen Bundes¬ genossen in dem Kampfe gegen Unglauben und Revolution betrachten kann ... Ist es zu billigen, daß unser niederländischer Adel von der niederländischen Reformation, der niederländischen Kirchengeschichte, den niederländischen tires-' liehen Zustünde» in der Regel ebenso wenig Kenntniß hat, als er ein Herz dafür zeigt?" Auch das letzte Kapitel, welches die „eeelvLig. allions als Staat im Staate" darstellt, enthält ungemein viel Interessantes und Beherzigenswerthes. An einer großen Anzahl von Beispielen wird gezeigt, wie der Staat fährt, welcher den Römischen freie Hand läßt. Wir verweisen in Betracht dessen auf das Buch selbst und setzen nur noch hierher, was für ein Bild die Gegenden, wo der Katholizismus stark verbreitet ist, im Allgemeinen darbieten. Bürger¬ liche Gemeinde und Armenpflege, Handel und Industrie, Recht und Militär sind in staunenerregendem Maße der „Freiheit der Kirche" dienstbar gemacht. Bis auf den Kirchhof verfolgt der Ultramontanismus die ihm Mißliebigen, und die Regierung thut nichts dagegen. Dem Handwerker, dein Kaufmann, dem Gastwirth stört und schädigt er sein Geschäft, wenn der Betreffende auch nur lau in Erfüllung seiner kirchlichen Obliegenheiten ist. Reformirten Aerzten wird ihre Praxis verkümmert. Wenn die Kirche ihr Auge auf das Vermögen einer Familie gerichtet hat, ist auch das elendeste Mittel, z. B. Verhetzung der Eheleute und Untergrabung ihres guten Namens, geheiligt, um^ den Zweck zu fördern. Selbst manche Eisenbahngesellschaften sind in den Dienst der schwarzen Propaganda getreten. Es ist unbestrittene Thatsache, daß die eigent¬ liche Rechtssphäre schon längst nicht mehr unabhängig ist, und daß das Ministerium Borel die Justizpflege den klerikalen Absichten dienstbar machte. Das sind die Früchte der freien Kirche im freien Staate. Ver¬ gleichen wir unsere gegenwärtigen Zustände damit, und danken wir dem Himmel, daß in der neuesten Gesetzgebung ein Damm gegen die Flut dieser Freiheit errichtet worden ist, die auch uns allmählich dem Ruin und der Herr- chaft Roms entgegeugetriebeu haben würde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/115>, abgerufen am 17.06.2024.