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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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und müßte, wenn sie nicht von Jahr zu Jahr mehr zur Hemmung zu werden
gedroht, wenn sie nicht die Vollmachten, deren der Kanzler zur Ausführung seiner
ans das Wohl des Vaterlandes und namentlich auf die nothwendigen Ver-
theidigungsmaßregelu gegen die Ansprüche und Ränke Roms gerichteten Ge¬
danken unbedingt bedarf, bereits wiederholt zurückgehalten hätte. Geht der
Mrst, so haben in erster Linie die Ultramontanen triumphirt, und so haben
sie ihren Erfolg, wir Andern aber dieses Nationalunglück -- wie ich das Zurück¬
treten des Staatsmannes, der das neue Deutschland geschaffen hat, und der
es allein auszubauen berufen zu sein schien, sicher im Einvernehmen mit
allen echten und erleuchtete" Patrioten nenne -- ebenfalls in erster Linie
der Einwirkung einer hohen Dame und den Kreisen zu danken, in welchen sich
dieselbe schon seit Jahren mit Vorliebe bewegte.

Das Straf- und Preßgesetz gebietet der Feder Halt. Vielleicht nimmt Ihr Blatt
künftig einmal einen Aufsatz über die Politik im Unterrock auf, die leider in
der Wirklichkeit nicht so komisch, als sie aussieht, vielmehr fast an allen Höfen
mit größerem oder geringerem Erfolg am Werke ist. (Vgl. unsern diesmaligen
Artikel über die Ultramontanen in Holland. D. Red.) Man sprach schon vor
1870 von gewissen rheinischen Einflüssen, man wollte während des Krieges
vom Verkehr mit einem französischen Monsignore wissen, man erzählt sich
unter Leuten, die das nicht blos von schweizerischen Wirthstafeln her erfahren
haben müssen, von Zusammenkünften mit einem römischen Kirchenfürsten, der
eins der großen Lichter des Ultramontanismus in der Westschweiz ist. All¬
bekannt endlich ist, welche Einwirkung eine vornehme polnische Familie in
Berlin, in deren Hotel alle Velleitäten der Kaplanokratie zu Tische sitzen, bis
w die höchsten Kreise der Reichshauptstadt hinauf ausübt. Aber genug für
jetzt. Vielleicht schon zu viel. Gott besser's! Fürst Bismarck geht -- wenn
die Dinge nicht noch in dieser oder der nächsten Woche eine Wendung zum Bessern
nehmen, die nicht in seiner Hand liegt und kaum zu hoffen steht--Fürst Bismarck
geht nach Varzin, weil er nicht hindern kann und nicht sehen
mag, daß man sich langsam anschickt, nach Canossa zu gehen.
Was sagt die öffentliche Meinung, was sagt deren Vertretung im Reichs¬
tag dazu?*)





*) Bis zum Schlüsse unsers Blattes war die kritische Lage, die unser -- wie wir wohl
nicht erst zu versichern brauchen, sehr gut unterrichteter -- Correspondent darlegt, unverändert.
Und selbst wenn sie zum Bessern gewendet worden wäre, so hätte darum nicht minder der
Reichstag die Pflicht, diese schwerste Krisis, die Deutschland seit fünfzehn Jahren erfahren,
freimüthig zur Sprache zu bringen, um von der Redefreiheit, die dem deutschen Parlament
v D. Red. erliehen ist, den denkbar nützlichsten Gebrauch zu macheu.
Grenzboten it, 1877.Is

und müßte, wenn sie nicht von Jahr zu Jahr mehr zur Hemmung zu werden
gedroht, wenn sie nicht die Vollmachten, deren der Kanzler zur Ausführung seiner
ans das Wohl des Vaterlandes und namentlich auf die nothwendigen Ver-
theidigungsmaßregelu gegen die Ansprüche und Ränke Roms gerichteten Ge¬
danken unbedingt bedarf, bereits wiederholt zurückgehalten hätte. Geht der
Mrst, so haben in erster Linie die Ultramontanen triumphirt, und so haben
sie ihren Erfolg, wir Andern aber dieses Nationalunglück — wie ich das Zurück¬
treten des Staatsmannes, der das neue Deutschland geschaffen hat, und der
es allein auszubauen berufen zu sein schien, sicher im Einvernehmen mit
allen echten und erleuchtete» Patrioten nenne — ebenfalls in erster Linie
der Einwirkung einer hohen Dame und den Kreisen zu danken, in welchen sich
dieselbe schon seit Jahren mit Vorliebe bewegte.

Das Straf- und Preßgesetz gebietet der Feder Halt. Vielleicht nimmt Ihr Blatt
künftig einmal einen Aufsatz über die Politik im Unterrock auf, die leider in
der Wirklichkeit nicht so komisch, als sie aussieht, vielmehr fast an allen Höfen
mit größerem oder geringerem Erfolg am Werke ist. (Vgl. unsern diesmaligen
Artikel über die Ultramontanen in Holland. D. Red.) Man sprach schon vor
1870 von gewissen rheinischen Einflüssen, man wollte während des Krieges
vom Verkehr mit einem französischen Monsignore wissen, man erzählt sich
unter Leuten, die das nicht blos von schweizerischen Wirthstafeln her erfahren
haben müssen, von Zusammenkünften mit einem römischen Kirchenfürsten, der
eins der großen Lichter des Ultramontanismus in der Westschweiz ist. All¬
bekannt endlich ist, welche Einwirkung eine vornehme polnische Familie in
Berlin, in deren Hotel alle Velleitäten der Kaplanokratie zu Tische sitzen, bis
w die höchsten Kreise der Reichshauptstadt hinauf ausübt. Aber genug für
jetzt. Vielleicht schon zu viel. Gott besser's! Fürst Bismarck geht — wenn
die Dinge nicht noch in dieser oder der nächsten Woche eine Wendung zum Bessern
nehmen, die nicht in seiner Hand liegt und kaum zu hoffen steht—Fürst Bismarck
geht nach Varzin, weil er nicht hindern kann und nicht sehen
mag, daß man sich langsam anschickt, nach Canossa zu gehen.
Was sagt die öffentliche Meinung, was sagt deren Vertretung im Reichs¬
tag dazu?*)





*) Bis zum Schlüsse unsers Blattes war die kritische Lage, die unser — wie wir wohl
nicht erst zu versichern brauchen, sehr gut unterrichteter — Correspondent darlegt, unverändert.
Und selbst wenn sie zum Bessern gewendet worden wäre, so hätte darum nicht minder der
Reichstag die Pflicht, diese schwerste Krisis, die Deutschland seit fünfzehn Jahren erfahren,
freimüthig zur Sprache zu bringen, um von der Redefreiheit, die dem deutschen Parlament
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/117>, abgerufen am 17.06.2024.