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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Sallier Traktat der französischen Regierung überbracht habe, ist nicht blos
verdächtig, sondern überaus komisch. Die französische Kritik aber sah von
alledem nichts, und das apokryphe Dokument wurde als echt betrachtet. Ja
man erfuhr einige Zeit nachher sogar Näheres darüber. 1839 begann der
polnische Schriftsteller Chodzko die Veröffentlichung des Werkes: "La?oIoMö
nistoriyue, litteriurs, monumentale et illnsträe, dessen erste Lieferung das
Gaillardetsche Testament Peters, mit gewissen politischen Bemerkungen begleitet,
reproduzirte. Man erfuhr hier zu dem bisher Bekannten noch, daß Peter im
Jahre 1709 nach der Schlacht bei Pultawa den Plan zu seinem Testamente
entworfen und denselben 1724 ausgeführt hatte. Das genannte Werk erlebte
mehrere Auflagen und wurde die Quelle für die meisten späteren Ausgaben
des "Testament cle ?ierre le Kinncl", deren Anzahl während des Krim¬
krieges sich erheblich vermehrte. Unter den Veröffentlichern derselben
ist aber einer, der es nicht verschmäht hat, seiner Einbildungskraft
noch eine Vervollständigung des Details seiner Vorgänger zu entnehmen.
1854 gab Corröard eine "Karte des Wachsthums Rußlands von Peter dem
Ersten bis auf unsere Zeit" heraus, und unter den Randbemerkungen zu der¬
selben, die verschiedene andere Dokumente enthalten, begegnet uns auch das
Testament Peters des Großen, welchem hier folgende Behauptung beigegeben
ist: "Dieses politische Testament wurde von Peter dem Ersten 1710 nach der
Schlacht bei Pultawa skizzirt, ist denn 1722 nach dem Frieden von Nystadt
verändert und verbessert worden und hat seine endgültige Gestalt durch den Kanzler
Ostermann erhalten. Ludwig der Fünfzehnte und seine Minister haben es
1757 gekannt." Im Uebrigen hat Cvrr6art nur Chodzko abdrucken lassen, wie
dieser Gaillardet kopirt und letzterer Lesur abgeschrieben hat. Lesnr aber schiebt
alle Verantwortlichkeit für eine historische Fälschung, um die es sich handelt,
von sich, da er im Eingange der Stelle, wo er seinen "Auszug" mittheilt, "vo
g,88ure gu' it exists" sagt. Er hat das Schriftstück also nicht gesehen. Irgend ein
Anderer hatte es entweder angeblich in den Händen oder ein Interesse daran gehabt,
nach seinem Gutdünken ein solches Dokument anzufertigen, und dieser Andere
mußte so viel Macht und Einfluß haben, daß er Lesur nöthigen konnte, mit
seinem Namen als Historiker für eine Fabel einzutreten, deren UnWahrschein¬
lichkeit ihm von vornherein einleuchten mußte. Daß dieser Andere Napoleon
gewesen, daß das Testament Peters ein Diktat jenes Politikers sei, ist eine
Vermuthung des Hrn. Berkholz, die er ziemlich wahrscheinlich zu machen weiß,
wenn auch wohl nur die Paragraphen 13 und 14 diktirt und die übrigen
schriftlich geliefert sein werden.




Verantwortlicher Redacteur l Dr. Haus Blum in Leipzig.
Verlag von F. L. Heriig in Leipzig. -- Druck von Hiithcl Herrmann in Leipzig.

Sallier Traktat der französischen Regierung überbracht habe, ist nicht blos
verdächtig, sondern überaus komisch. Die französische Kritik aber sah von
alledem nichts, und das apokryphe Dokument wurde als echt betrachtet. Ja
man erfuhr einige Zeit nachher sogar Näheres darüber. 1839 begann der
polnische Schriftsteller Chodzko die Veröffentlichung des Werkes: „La?oIoMö
nistoriyue, litteriurs, monumentale et illnsträe, dessen erste Lieferung das
Gaillardetsche Testament Peters, mit gewissen politischen Bemerkungen begleitet,
reproduzirte. Man erfuhr hier zu dem bisher Bekannten noch, daß Peter im
Jahre 1709 nach der Schlacht bei Pultawa den Plan zu seinem Testamente
entworfen und denselben 1724 ausgeführt hatte. Das genannte Werk erlebte
mehrere Auflagen und wurde die Quelle für die meisten späteren Ausgaben
des „Testament cle ?ierre le Kinncl", deren Anzahl während des Krim¬
krieges sich erheblich vermehrte. Unter den Veröffentlichern derselben
ist aber einer, der es nicht verschmäht hat, seiner Einbildungskraft
noch eine Vervollständigung des Details seiner Vorgänger zu entnehmen.
1854 gab Corröard eine „Karte des Wachsthums Rußlands von Peter dem
Ersten bis auf unsere Zeit" heraus, und unter den Randbemerkungen zu der¬
selben, die verschiedene andere Dokumente enthalten, begegnet uns auch das
Testament Peters des Großen, welchem hier folgende Behauptung beigegeben
ist: „Dieses politische Testament wurde von Peter dem Ersten 1710 nach der
Schlacht bei Pultawa skizzirt, ist denn 1722 nach dem Frieden von Nystadt
verändert und verbessert worden und hat seine endgültige Gestalt durch den Kanzler
Ostermann erhalten. Ludwig der Fünfzehnte und seine Minister haben es
1757 gekannt." Im Uebrigen hat Cvrr6art nur Chodzko abdrucken lassen, wie
dieser Gaillardet kopirt und letzterer Lesur abgeschrieben hat. Lesnr aber schiebt
alle Verantwortlichkeit für eine historische Fälschung, um die es sich handelt,
von sich, da er im Eingange der Stelle, wo er seinen „Auszug" mittheilt, „vo
g,88ure gu' it exists" sagt. Er hat das Schriftstück also nicht gesehen. Irgend ein
Anderer hatte es entweder angeblich in den Händen oder ein Interesse daran gehabt,
nach seinem Gutdünken ein solches Dokument anzufertigen, und dieser Andere
mußte so viel Macht und Einfluß haben, daß er Lesur nöthigen konnte, mit
seinem Namen als Historiker für eine Fabel einzutreten, deren UnWahrschein¬
lichkeit ihm von vornherein einleuchten mußte. Daß dieser Andere Napoleon
gewesen, daß das Testament Peters ein Diktat jenes Politikers sei, ist eine
Vermuthung des Hrn. Berkholz, die er ziemlich wahrscheinlich zu machen weiß,
wenn auch wohl nur die Paragraphen 13 und 14 diktirt und die übrigen
schriftlich geliefert sein werden.




Verantwortlicher Redacteur l Dr. Haus Blum in Leipzig.
Verlag von F. L. Heriig in Leipzig. — Druck von Hiithcl Herrmann in Leipzig.
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[0124] Sallier Traktat der französischen Regierung überbracht habe, ist nicht blos verdächtig, sondern überaus komisch. Die französische Kritik aber sah von alledem nichts, und das apokryphe Dokument wurde als echt betrachtet. Ja man erfuhr einige Zeit nachher sogar Näheres darüber. 1839 begann der polnische Schriftsteller Chodzko die Veröffentlichung des Werkes: „La?oIoMö nistoriyue, litteriurs, monumentale et illnsträe, dessen erste Lieferung das Gaillardetsche Testament Peters, mit gewissen politischen Bemerkungen begleitet, reproduzirte. Man erfuhr hier zu dem bisher Bekannten noch, daß Peter im Jahre 1709 nach der Schlacht bei Pultawa den Plan zu seinem Testamente entworfen und denselben 1724 ausgeführt hatte. Das genannte Werk erlebte mehrere Auflagen und wurde die Quelle für die meisten späteren Ausgaben des „Testament cle ?ierre le Kinncl", deren Anzahl während des Krim¬ krieges sich erheblich vermehrte. Unter den Veröffentlichern derselben ist aber einer, der es nicht verschmäht hat, seiner Einbildungskraft noch eine Vervollständigung des Details seiner Vorgänger zu entnehmen. 1854 gab Corröard eine „Karte des Wachsthums Rußlands von Peter dem Ersten bis auf unsere Zeit" heraus, und unter den Randbemerkungen zu der¬ selben, die verschiedene andere Dokumente enthalten, begegnet uns auch das Testament Peters des Großen, welchem hier folgende Behauptung beigegeben ist: „Dieses politische Testament wurde von Peter dem Ersten 1710 nach der Schlacht bei Pultawa skizzirt, ist denn 1722 nach dem Frieden von Nystadt verändert und verbessert worden und hat seine endgültige Gestalt durch den Kanzler Ostermann erhalten. Ludwig der Fünfzehnte und seine Minister haben es 1757 gekannt." Im Uebrigen hat Cvrr6art nur Chodzko abdrucken lassen, wie dieser Gaillardet kopirt und letzterer Lesur abgeschrieben hat. Lesnr aber schiebt alle Verantwortlichkeit für eine historische Fälschung, um die es sich handelt, von sich, da er im Eingange der Stelle, wo er seinen „Auszug" mittheilt, „vo g,88ure gu' it exists" sagt. Er hat das Schriftstück also nicht gesehen. Irgend ein Anderer hatte es entweder angeblich in den Händen oder ein Interesse daran gehabt, nach seinem Gutdünken ein solches Dokument anzufertigen, und dieser Andere mußte so viel Macht und Einfluß haben, daß er Lesur nöthigen konnte, mit seinem Namen als Historiker für eine Fabel einzutreten, deren UnWahrschein¬ lichkeit ihm von vornherein einleuchten mußte. Daß dieser Andere Napoleon gewesen, daß das Testament Peters ein Diktat jenes Politikers sei, ist eine Vermuthung des Hrn. Berkholz, die er ziemlich wahrscheinlich zu machen weiß, wenn auch wohl nur die Paragraphen 13 und 14 diktirt und die übrigen schriftlich geliefert sein werden. Verantwortlicher Redacteur l Dr. Haus Blum in Leipzig. Verlag von F. L. Heriig in Leipzig. — Druck von Hiithcl Herrmann in Leipzig.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/124>, abgerufen am 17.06.2024.