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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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mit der Forderung eines Ministeriums aus ihrer Mitte auf. Es müsse sich
zeigen, sagte ein Führer der Linken, wer der stärkere sei; sei es die Regierung,
so wäre damit die Verfassung verletzt. Das hieß so viel als: wir haben euch
nun so in die Enge getrieben, daß euere Richtung uur noch unter Beschreidung
außerordentlicher, inkonstitutioneller Bahnen sich am Ruder erhalten kann. In
seiner Arbeitseinstellung war dann das Folkething nicht konsequent, es ge¬
nehmigte sogar in drei Lesungen, zuletzt am 1. März d. I., dem Ministerium
Estrup das wichtige Militärstrafgesetzbuch und zeigte sich sehr befriedigt, als
am 2. Februar d. I. die Session bis 1. April verlängert wurde. Das Mi߬
trauensvotum wurde aber am 7. Februar wiederholt und am 16. März d. I.
das Budget, wie es vom Landsthing genehmigt war, unter lebhaften Vor¬
würfen gegen die Regierung wiederholt abgelehnt. Im gemeinsamen Ausschuße
beider Thinge, welcher nnn verfassungsmüßig zum Eiuigungsversnche berufen
war, kam es thatsächlich zu einer großen Annäherung zwischen beiden Stand-
Punkten, allein Alles scheiterte, weil die Linke den Rücktritt des Ministeriums
als Bedingung stellte.

Die Anhänger eines starken Königthums hatten nun eine reiche Fülle
von Vorwänden für die Behauptung, daß die Regierung sich jetzt nicht mehr
und überhaupt nicht ins Endlose von der einen der beiden Kammern brauche
blindlings leiten zu lassen. Durch das Verhalten des Folkethings ist die ganze
konstitutionelle Frage ihrer Bahn entrückt. Der König hat sowohl 1875 als
auch 1876 infolge der brüsten Ansprüche dieses Things ein Ministerium ent¬
lassen. Er hat freilich weder das Ministerium Fonnesbach, noch das Ministe¬
rium Estrup der Mehrheit des Folkethings, das letztere vielmehr der des Lands¬
things entnommen; hätte sich aber das Folkething in kluger und vorsichtiger
Haltung nur einigermaßen einer wenn auch nur vorläufigen Einigung zugäng¬
lich erwiesen, so hätte sich eine weitere Befolgung des konstitutionellen Brauchs
zu verlangen nicht wohl abweisen lassen; anders aber liegt die Sache, nach¬
dem die Linke, ihren wiederholten offenen Erklärungen zufolge, die Krone
zwingen will, ein Ministerium aus ihrer Mitte zu nehmen, und zwar trotz der
größten Abneigung des Königs gegen diese radikale Richtung. Die Krone kann
in ihrer vorgefaßten Meinung über die beste Art der zu treffenden Landesver¬
theidigung unrecht haben, aber wenn sie in der vom Folkething absichtlich so
herbeigeführten Alternative nicht einzusehen vermag, daß die Art, wie die Linke
das Staatsleben zu beherrschen trachtet, von den obersten Voraussetzungen des
konstitutionellen Wesens abweicht, wenn ferner das Königthum dermaßen
Provozirt wird, daß seine Würde ein Entgegenkommen nicht mehr gestattet, so
kann man es der Regierung kaum noch verargen, wenn sie endlich vorzieht,
zu Ordonnanzen zu schreiten. Daß sie sich dabei nicht von inkvnstitutionelleu


mit der Forderung eines Ministeriums aus ihrer Mitte auf. Es müsse sich
zeigen, sagte ein Führer der Linken, wer der stärkere sei; sei es die Regierung,
so wäre damit die Verfassung verletzt. Das hieß so viel als: wir haben euch
nun so in die Enge getrieben, daß euere Richtung uur noch unter Beschreidung
außerordentlicher, inkonstitutioneller Bahnen sich am Ruder erhalten kann. In
seiner Arbeitseinstellung war dann das Folkething nicht konsequent, es ge¬
nehmigte sogar in drei Lesungen, zuletzt am 1. März d. I., dem Ministerium
Estrup das wichtige Militärstrafgesetzbuch und zeigte sich sehr befriedigt, als
am 2. Februar d. I. die Session bis 1. April verlängert wurde. Das Mi߬
trauensvotum wurde aber am 7. Februar wiederholt und am 16. März d. I.
das Budget, wie es vom Landsthing genehmigt war, unter lebhaften Vor¬
würfen gegen die Regierung wiederholt abgelehnt. Im gemeinsamen Ausschuße
beider Thinge, welcher nnn verfassungsmüßig zum Eiuigungsversnche berufen
war, kam es thatsächlich zu einer großen Annäherung zwischen beiden Stand-
Punkten, allein Alles scheiterte, weil die Linke den Rücktritt des Ministeriums
als Bedingung stellte.

Die Anhänger eines starken Königthums hatten nun eine reiche Fülle
von Vorwänden für die Behauptung, daß die Regierung sich jetzt nicht mehr
und überhaupt nicht ins Endlose von der einen der beiden Kammern brauche
blindlings leiten zu lassen. Durch das Verhalten des Folkethings ist die ganze
konstitutionelle Frage ihrer Bahn entrückt. Der König hat sowohl 1875 als
auch 1876 infolge der brüsten Ansprüche dieses Things ein Ministerium ent¬
lassen. Er hat freilich weder das Ministerium Fonnesbach, noch das Ministe¬
rium Estrup der Mehrheit des Folkethings, das letztere vielmehr der des Lands¬
things entnommen; hätte sich aber das Folkething in kluger und vorsichtiger
Haltung nur einigermaßen einer wenn auch nur vorläufigen Einigung zugäng¬
lich erwiesen, so hätte sich eine weitere Befolgung des konstitutionellen Brauchs
zu verlangen nicht wohl abweisen lassen; anders aber liegt die Sache, nach¬
dem die Linke, ihren wiederholten offenen Erklärungen zufolge, die Krone
zwingen will, ein Ministerium aus ihrer Mitte zu nehmen, und zwar trotz der
größten Abneigung des Königs gegen diese radikale Richtung. Die Krone kann
in ihrer vorgefaßten Meinung über die beste Art der zu treffenden Landesver¬
theidigung unrecht haben, aber wenn sie in der vom Folkething absichtlich so
herbeigeführten Alternative nicht einzusehen vermag, daß die Art, wie die Linke
das Staatsleben zu beherrschen trachtet, von den obersten Voraussetzungen des
konstitutionellen Wesens abweicht, wenn ferner das Königthum dermaßen
Provozirt wird, daß seine Würde ein Entgegenkommen nicht mehr gestattet, so
kann man es der Regierung kaum noch verargen, wenn sie endlich vorzieht,
zu Ordonnanzen zu schreiten. Daß sie sich dabei nicht von inkvnstitutionelleu


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[0163] mit der Forderung eines Ministeriums aus ihrer Mitte auf. Es müsse sich zeigen, sagte ein Führer der Linken, wer der stärkere sei; sei es die Regierung, so wäre damit die Verfassung verletzt. Das hieß so viel als: wir haben euch nun so in die Enge getrieben, daß euere Richtung uur noch unter Beschreidung außerordentlicher, inkonstitutioneller Bahnen sich am Ruder erhalten kann. In seiner Arbeitseinstellung war dann das Folkething nicht konsequent, es ge¬ nehmigte sogar in drei Lesungen, zuletzt am 1. März d. I., dem Ministerium Estrup das wichtige Militärstrafgesetzbuch und zeigte sich sehr befriedigt, als am 2. Februar d. I. die Session bis 1. April verlängert wurde. Das Mi߬ trauensvotum wurde aber am 7. Februar wiederholt und am 16. März d. I. das Budget, wie es vom Landsthing genehmigt war, unter lebhaften Vor¬ würfen gegen die Regierung wiederholt abgelehnt. Im gemeinsamen Ausschuße beider Thinge, welcher nnn verfassungsmüßig zum Eiuigungsversnche berufen war, kam es thatsächlich zu einer großen Annäherung zwischen beiden Stand- Punkten, allein Alles scheiterte, weil die Linke den Rücktritt des Ministeriums als Bedingung stellte. Die Anhänger eines starken Königthums hatten nun eine reiche Fülle von Vorwänden für die Behauptung, daß die Regierung sich jetzt nicht mehr und überhaupt nicht ins Endlose von der einen der beiden Kammern brauche blindlings leiten zu lassen. Durch das Verhalten des Folkethings ist die ganze konstitutionelle Frage ihrer Bahn entrückt. Der König hat sowohl 1875 als auch 1876 infolge der brüsten Ansprüche dieses Things ein Ministerium ent¬ lassen. Er hat freilich weder das Ministerium Fonnesbach, noch das Ministe¬ rium Estrup der Mehrheit des Folkethings, das letztere vielmehr der des Lands¬ things entnommen; hätte sich aber das Folkething in kluger und vorsichtiger Haltung nur einigermaßen einer wenn auch nur vorläufigen Einigung zugäng¬ lich erwiesen, so hätte sich eine weitere Befolgung des konstitutionellen Brauchs zu verlangen nicht wohl abweisen lassen; anders aber liegt die Sache, nach¬ dem die Linke, ihren wiederholten offenen Erklärungen zufolge, die Krone zwingen will, ein Ministerium aus ihrer Mitte zu nehmen, und zwar trotz der größten Abneigung des Königs gegen diese radikale Richtung. Die Krone kann in ihrer vorgefaßten Meinung über die beste Art der zu treffenden Landesver¬ theidigung unrecht haben, aber wenn sie in der vom Folkething absichtlich so herbeigeführten Alternative nicht einzusehen vermag, daß die Art, wie die Linke das Staatsleben zu beherrschen trachtet, von den obersten Voraussetzungen des konstitutionellen Wesens abweicht, wenn ferner das Königthum dermaßen Provozirt wird, daß seine Würde ein Entgegenkommen nicht mehr gestattet, so kann man es der Regierung kaum noch verargen, wenn sie endlich vorzieht, zu Ordonnanzen zu schreiten. Daß sie sich dabei nicht von inkvnstitutionelleu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/163>, abgerufen am 17.06.2024.