Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

an der Unterstützung der Fürsten und des Volkes gemangelt hätte. So suchten
sie sich Waffen in der Wissenschaft. Es entwickelte sich jene idealistische Schule
des Wedanta, welcher die indische Literatur zahlreiche theologische Abhandlun¬
gen, die Upanischads, verdankt, und deren Geist und Zweck uns die Bagha-
wadgita zeigt. Sie warf sich auf die Lehre des Buddha vom Nirwana, und
indem sie dieselbe mit der Existenz eines höchsten Wesens verknüpfte, sagte sie:
"Der vollkommene Weise erlangt das Nirwana im Innern Brcunas." Hier¬
durch zwang sie die buddhistischen Gelehrten, sich in unzweideutiger Weise über
den Sinn ihres Nirwana zu erklären, welches das höchste Glück, die Seligkeit
sein sollte, und da sie genöthigt waren, dem Axiom ihres Meisters zu folgen,
daß die wesentlichen Bedingungen der Seligkeit, welche die Befolgung des
Moralgesetzes belohne, in der Abwesenheit aller Schranke, aller Form, aller
Erscheinung bestehen, konnte sie am letzten Ende ihres Wissens uur das Leere,
das Aufhören von allen Dingen, das Nichtsein aufweisen. Das Nirwana war
also das Erlöschen der Seelen im Nichts, nicht das Verschmelzen mit dem
göttlichen Lichte, der Buddhismus keine Religion, sondern Atheis¬
mus. Um dieser Anklage die Spitze abzubrechen, beriefen die Häupter der
Sekte im Jahre 433 v. Chr. ein zweites Konzil, welches im Kloster Mahawana
bei Waißali unter Mitwirkung Rewatas, eines Schülers Anandas, und anderer
Arhats, abgehalten wurde und die Dogmatik der Buddhisten vollendete, indem
es die Triratua, die Dreieinigkeit Buddha, Dharma und Sangha, schuf. Man
"lacht aber keine Religionen, sondern sie entstehen. Die neue buddhistische
Dreieinigkeit konnte den göttlichen Charakter der bramanischen Trimurti nicht
besitzen. Die erste Person der Trinität des Konzils von Waißali war und
blieb ein Mensch, auch als man ihn später zum Urbuddha, zu dem "aus sich
selbst geborenen Wesen", zum "aus der Beschaulichkeit Entstandene"" machte;
denn er war und blieb eben geboren und entstanden, also nicht von Ewigkeit.
Dharma ferner sah wie ein höchst subtiler Gedanke aus, war aber bei näherer
Betrachtung eine rein Physische Idee, ungefähr das Gesetz der Dinge oder die
Natur. Das Sangha endlich war weder ein Wesen "och ein Ding, sondern
n>ir eine Beziehung, es bedeutete "Vereinigung". Die buddhistische Dreieinig¬
keit läuft somit auf die drei Begriffe Mensch, Natur und Vereinigung oder
Gesellschaft hinaus.

Ssakjamuni hätte hiervon nichts gewußt. Er war ein Moralprediger
ohne Glauben an Gott gewesen. "Das Wohlwollen", sagt er in einer seiner
Predigten, "ist die erste der Tugenden. Der vollkommene Mensch ist nichts,
wenn er sich nicht mit Wohlthun über die Geschöpfe verbreitet, wenn er nicht
die tröstet, welche in Trübsal sind. Meine Lehre ist eine Lehre der Barm¬
herzigkeit, deshalb finden sie die Glücklichen der Welt schwierig. Sie sind stolz


an der Unterstützung der Fürsten und des Volkes gemangelt hätte. So suchten
sie sich Waffen in der Wissenschaft. Es entwickelte sich jene idealistische Schule
des Wedanta, welcher die indische Literatur zahlreiche theologische Abhandlun¬
gen, die Upanischads, verdankt, und deren Geist und Zweck uns die Bagha-
wadgita zeigt. Sie warf sich auf die Lehre des Buddha vom Nirwana, und
indem sie dieselbe mit der Existenz eines höchsten Wesens verknüpfte, sagte sie:
„Der vollkommene Weise erlangt das Nirwana im Innern Brcunas." Hier¬
durch zwang sie die buddhistischen Gelehrten, sich in unzweideutiger Weise über
den Sinn ihres Nirwana zu erklären, welches das höchste Glück, die Seligkeit
sein sollte, und da sie genöthigt waren, dem Axiom ihres Meisters zu folgen,
daß die wesentlichen Bedingungen der Seligkeit, welche die Befolgung des
Moralgesetzes belohne, in der Abwesenheit aller Schranke, aller Form, aller
Erscheinung bestehen, konnte sie am letzten Ende ihres Wissens uur das Leere,
das Aufhören von allen Dingen, das Nichtsein aufweisen. Das Nirwana war
also das Erlöschen der Seelen im Nichts, nicht das Verschmelzen mit dem
göttlichen Lichte, der Buddhismus keine Religion, sondern Atheis¬
mus. Um dieser Anklage die Spitze abzubrechen, beriefen die Häupter der
Sekte im Jahre 433 v. Chr. ein zweites Konzil, welches im Kloster Mahawana
bei Waißali unter Mitwirkung Rewatas, eines Schülers Anandas, und anderer
Arhats, abgehalten wurde und die Dogmatik der Buddhisten vollendete, indem
es die Triratua, die Dreieinigkeit Buddha, Dharma und Sangha, schuf. Man
»lacht aber keine Religionen, sondern sie entstehen. Die neue buddhistische
Dreieinigkeit konnte den göttlichen Charakter der bramanischen Trimurti nicht
besitzen. Die erste Person der Trinität des Konzils von Waißali war und
blieb ein Mensch, auch als man ihn später zum Urbuddha, zu dem „aus sich
selbst geborenen Wesen", zum „aus der Beschaulichkeit Entstandene»" machte;
denn er war und blieb eben geboren und entstanden, also nicht von Ewigkeit.
Dharma ferner sah wie ein höchst subtiler Gedanke aus, war aber bei näherer
Betrachtung eine rein Physische Idee, ungefähr das Gesetz der Dinge oder die
Natur. Das Sangha endlich war weder ein Wesen «och ein Ding, sondern
n>ir eine Beziehung, es bedeutete „Vereinigung". Die buddhistische Dreieinig¬
keit läuft somit auf die drei Begriffe Mensch, Natur und Vereinigung oder
Gesellschaft hinaus.

Ssakjamuni hätte hiervon nichts gewußt. Er war ein Moralprediger
ohne Glauben an Gott gewesen. „Das Wohlwollen", sagt er in einer seiner
Predigten, „ist die erste der Tugenden. Der vollkommene Mensch ist nichts,
wenn er sich nicht mit Wohlthun über die Geschöpfe verbreitet, wenn er nicht
die tröstet, welche in Trübsal sind. Meine Lehre ist eine Lehre der Barm¬
herzigkeit, deshalb finden sie die Glücklichen der Welt schwierig. Sie sind stolz


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0185" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137886"/>
          <p xml:id="ID_470" prev="#ID_469"> an der Unterstützung der Fürsten und des Volkes gemangelt hätte. So suchten<lb/>
sie sich Waffen in der Wissenschaft. Es entwickelte sich jene idealistische Schule<lb/>
des Wedanta, welcher die indische Literatur zahlreiche theologische Abhandlun¬<lb/>
gen, die Upanischads, verdankt, und deren Geist und Zweck uns die Bagha-<lb/>
wadgita zeigt. Sie warf sich auf die Lehre des Buddha vom Nirwana, und<lb/>
indem sie dieselbe mit der Existenz eines höchsten Wesens verknüpfte, sagte sie:<lb/>
&#x201E;Der vollkommene Weise erlangt das Nirwana im Innern Brcunas." Hier¬<lb/>
durch zwang sie die buddhistischen Gelehrten, sich in unzweideutiger Weise über<lb/>
den Sinn ihres Nirwana zu erklären, welches das höchste Glück, die Seligkeit<lb/>
sein sollte, und da sie genöthigt waren, dem Axiom ihres Meisters zu folgen,<lb/>
daß die wesentlichen Bedingungen der Seligkeit, welche die Befolgung des<lb/>
Moralgesetzes belohne, in der Abwesenheit aller Schranke, aller Form, aller<lb/>
Erscheinung bestehen, konnte sie am letzten Ende ihres Wissens uur das Leere,<lb/>
das Aufhören von allen Dingen, das Nichtsein aufweisen. Das Nirwana war<lb/>
also das Erlöschen der Seelen im Nichts, nicht das Verschmelzen mit dem<lb/>
göttlichen Lichte, der Buddhismus keine Religion, sondern Atheis¬<lb/>
mus. Um dieser Anklage die Spitze abzubrechen, beriefen die Häupter der<lb/>
Sekte im Jahre 433 v. Chr. ein zweites Konzil, welches im Kloster Mahawana<lb/>
bei Waißali unter Mitwirkung Rewatas, eines Schülers Anandas, und anderer<lb/>
Arhats, abgehalten wurde und die Dogmatik der Buddhisten vollendete, indem<lb/>
es die Triratua, die Dreieinigkeit Buddha, Dharma und Sangha, schuf. Man<lb/>
»lacht aber keine Religionen, sondern sie entstehen. Die neue buddhistische<lb/>
Dreieinigkeit konnte den göttlichen Charakter der bramanischen Trimurti nicht<lb/>
besitzen. Die erste Person der Trinität des Konzils von Waißali war und<lb/>
blieb ein Mensch, auch als man ihn später zum Urbuddha, zu dem &#x201E;aus sich<lb/>
selbst geborenen Wesen", zum &#x201E;aus der Beschaulichkeit Entstandene»" machte;<lb/>
denn er war und blieb eben geboren und entstanden, also nicht von Ewigkeit.<lb/>
Dharma ferner sah wie ein höchst subtiler Gedanke aus, war aber bei näherer<lb/>
Betrachtung eine rein Physische Idee, ungefähr das Gesetz der Dinge oder die<lb/>
Natur. Das Sangha endlich war weder ein Wesen «och ein Ding, sondern<lb/>
n&gt;ir eine Beziehung, es bedeutete &#x201E;Vereinigung". Die buddhistische Dreieinig¬<lb/>
keit läuft somit auf die drei Begriffe Mensch, Natur und Vereinigung oder<lb/>
Gesellschaft hinaus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_471" next="#ID_472"> Ssakjamuni hätte hiervon nichts gewußt. Er war ein Moralprediger<lb/>
ohne Glauben an Gott gewesen. &#x201E;Das Wohlwollen", sagt er in einer seiner<lb/>
Predigten, &#x201E;ist die erste der Tugenden. Der vollkommene Mensch ist nichts,<lb/>
wenn er sich nicht mit Wohlthun über die Geschöpfe verbreitet, wenn er nicht<lb/>
die tröstet, welche in Trübsal sind. Meine Lehre ist eine Lehre der Barm¬<lb/>
herzigkeit, deshalb finden sie die Glücklichen der Welt schwierig. Sie sind stolz</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0185] an der Unterstützung der Fürsten und des Volkes gemangelt hätte. So suchten sie sich Waffen in der Wissenschaft. Es entwickelte sich jene idealistische Schule des Wedanta, welcher die indische Literatur zahlreiche theologische Abhandlun¬ gen, die Upanischads, verdankt, und deren Geist und Zweck uns die Bagha- wadgita zeigt. Sie warf sich auf die Lehre des Buddha vom Nirwana, und indem sie dieselbe mit der Existenz eines höchsten Wesens verknüpfte, sagte sie: „Der vollkommene Weise erlangt das Nirwana im Innern Brcunas." Hier¬ durch zwang sie die buddhistischen Gelehrten, sich in unzweideutiger Weise über den Sinn ihres Nirwana zu erklären, welches das höchste Glück, die Seligkeit sein sollte, und da sie genöthigt waren, dem Axiom ihres Meisters zu folgen, daß die wesentlichen Bedingungen der Seligkeit, welche die Befolgung des Moralgesetzes belohne, in der Abwesenheit aller Schranke, aller Form, aller Erscheinung bestehen, konnte sie am letzten Ende ihres Wissens uur das Leere, das Aufhören von allen Dingen, das Nichtsein aufweisen. Das Nirwana war also das Erlöschen der Seelen im Nichts, nicht das Verschmelzen mit dem göttlichen Lichte, der Buddhismus keine Religion, sondern Atheis¬ mus. Um dieser Anklage die Spitze abzubrechen, beriefen die Häupter der Sekte im Jahre 433 v. Chr. ein zweites Konzil, welches im Kloster Mahawana bei Waißali unter Mitwirkung Rewatas, eines Schülers Anandas, und anderer Arhats, abgehalten wurde und die Dogmatik der Buddhisten vollendete, indem es die Triratua, die Dreieinigkeit Buddha, Dharma und Sangha, schuf. Man »lacht aber keine Religionen, sondern sie entstehen. Die neue buddhistische Dreieinigkeit konnte den göttlichen Charakter der bramanischen Trimurti nicht besitzen. Die erste Person der Trinität des Konzils von Waißali war und blieb ein Mensch, auch als man ihn später zum Urbuddha, zu dem „aus sich selbst geborenen Wesen", zum „aus der Beschaulichkeit Entstandene»" machte; denn er war und blieb eben geboren und entstanden, also nicht von Ewigkeit. Dharma ferner sah wie ein höchst subtiler Gedanke aus, war aber bei näherer Betrachtung eine rein Physische Idee, ungefähr das Gesetz der Dinge oder die Natur. Das Sangha endlich war weder ein Wesen «och ein Ding, sondern n>ir eine Beziehung, es bedeutete „Vereinigung". Die buddhistische Dreieinig¬ keit läuft somit auf die drei Begriffe Mensch, Natur und Vereinigung oder Gesellschaft hinaus. Ssakjamuni hätte hiervon nichts gewußt. Er war ein Moralprediger ohne Glauben an Gott gewesen. „Das Wohlwollen", sagt er in einer seiner Predigten, „ist die erste der Tugenden. Der vollkommene Mensch ist nichts, wenn er sich nicht mit Wohlthun über die Geschöpfe verbreitet, wenn er nicht die tröstet, welche in Trübsal sind. Meine Lehre ist eine Lehre der Barm¬ herzigkeit, deshalb finden sie die Glücklichen der Welt schwierig. Sie sind stolz

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/185
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/185>, abgerufen am 17.06.2024.