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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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dankbaren Gefühle, daß wir in dieser Beziehung besonders bevorzugt und be¬
gnadet seien, woraus sich allmählig der Wunsch entwickelte, auch Andere sich
dieses Gefühls erfreuen zu sehe". So entstand zuletzt ein Buch, bei dessen
Abfassung Verliebtheit in meinen Gegenstand den Stoff zusammengetragen und
die Anordnung und Verzierung vorgenommen hatte, und das ich keinem Bessern
widmen konnte, als dem, der es angeregt hatte, dem Geiste des Karnevals,
dieses Gedenktags der fröhlichen, übermüthigen Zeit, die uns als die goldene
Aera des deutschen Volkshumors zu gelten hat."

Das war ein guter Gedanke, der, wie wir hören, zunächst vom deutschen
Buchhandel in dem Maße anerkannt worden ist, daß noch während des Drucks
der ersten Auflage eine zweite nothwendig wurde, und dessen Ausführung
weiteren Erfolg wünschen und hoffen läßt. Der Verfasser hat bei seiner Arbeit
nur das ins Auge gefaßt, was der Titel seiner Schrift besagt, den im Volke
lebenden Witz und Humor, nicht denjenigen also, der sich in den Kreisen der
gelehrten Welt, in der Literatur oder sonst in der Sphäre der Gebildeten kund¬
gibt. In jener Beschränkung aber ist sein Buch ein wahres Schatzkästlein
dessen, was die in der deutschen Nation lebende Komik auf den verschiedenen
Gebieten des Lebens zu Tage gefördert hat. Daß es nicht alles enthält, was
hier Beachtung verdient, scheint der Verfasser sich selbst bewußt gewesen zu
sein, als er deu Titel "Deutscher Volkshumor" wählte, was doch wohl nur
Etwas vom deutschen Volkshumor, Proben und Beispiele desselben heißen
soll, auch versteht sich das eigentlich von selbst; denn die Spiegelungen und
Gestalten dieser Thätigkeit, unseres Volksthums siud eben unendlich, und so
wird man sich bei der Sammlung von hierher gehörigen Belegen immer ein
gewisses Maß setzen müssen.

Sehen wir uns nun das auch seiner äußeren Ausstattung nach sehr an¬
sprechende Buch näher an, so führt es uns im ersten Kapitel, welches sich
"Das Narrenzeitalter der Deutschen" nennt, zunächst, an Gervinus sich an¬
lehnend, in jene "fröhliche, übermüthige Zeit" im vierzehnten Jahrhundert ein,
"die uns als die goldne Aera des deutschen Volkshumors zu gelten hat", und
von der wir hier ein ungemein lebendiges, farbenreiches Bild erhalten. Es ist
die Zeit, die im Pfaffen Amis und im Till Eulenspiegel ihre Typen fand.
Bis dahin hatte in weltlichen Dingen fast allenthalben der Adel allein etwas
gegolten und geschaffen. Jetzt begann es sich auch tiefer zu regen. Das Bür-
gerthum strebte, immer mehr erstarkend und sich fühlend, nach Besitz und Ein¬
fluß, und der kleine Mann auf dem Lande draußen, der Dorfgeistliche, der
Bauer, der Bettelmvnch folgte, so gut er es vermochte. Dabei wurde man ge¬
wahr, daß man in seiner Natürlichkeit, seinem gesunden Menschenverstande und
smier Wahrhaftigkeit Eigenschaften besaß, welche im Hinblick ans die zur Un-


dankbaren Gefühle, daß wir in dieser Beziehung besonders bevorzugt und be¬
gnadet seien, woraus sich allmählig der Wunsch entwickelte, auch Andere sich
dieses Gefühls erfreuen zu sehe«. So entstand zuletzt ein Buch, bei dessen
Abfassung Verliebtheit in meinen Gegenstand den Stoff zusammengetragen und
die Anordnung und Verzierung vorgenommen hatte, und das ich keinem Bessern
widmen konnte, als dem, der es angeregt hatte, dem Geiste des Karnevals,
dieses Gedenktags der fröhlichen, übermüthigen Zeit, die uns als die goldene
Aera des deutschen Volkshumors zu gelten hat."

Das war ein guter Gedanke, der, wie wir hören, zunächst vom deutschen
Buchhandel in dem Maße anerkannt worden ist, daß noch während des Drucks
der ersten Auflage eine zweite nothwendig wurde, und dessen Ausführung
weiteren Erfolg wünschen und hoffen läßt. Der Verfasser hat bei seiner Arbeit
nur das ins Auge gefaßt, was der Titel seiner Schrift besagt, den im Volke
lebenden Witz und Humor, nicht denjenigen also, der sich in den Kreisen der
gelehrten Welt, in der Literatur oder sonst in der Sphäre der Gebildeten kund¬
gibt. In jener Beschränkung aber ist sein Buch ein wahres Schatzkästlein
dessen, was die in der deutschen Nation lebende Komik auf den verschiedenen
Gebieten des Lebens zu Tage gefördert hat. Daß es nicht alles enthält, was
hier Beachtung verdient, scheint der Verfasser sich selbst bewußt gewesen zu
sein, als er deu Titel „Deutscher Volkshumor" wählte, was doch wohl nur
Etwas vom deutschen Volkshumor, Proben und Beispiele desselben heißen
soll, auch versteht sich das eigentlich von selbst; denn die Spiegelungen und
Gestalten dieser Thätigkeit, unseres Volksthums siud eben unendlich, und so
wird man sich bei der Sammlung von hierher gehörigen Belegen immer ein
gewisses Maß setzen müssen.

Sehen wir uns nun das auch seiner äußeren Ausstattung nach sehr an¬
sprechende Buch näher an, so führt es uns im ersten Kapitel, welches sich
„Das Narrenzeitalter der Deutschen" nennt, zunächst, an Gervinus sich an¬
lehnend, in jene „fröhliche, übermüthige Zeit" im vierzehnten Jahrhundert ein,
„die uns als die goldne Aera des deutschen Volkshumors zu gelten hat", und
von der wir hier ein ungemein lebendiges, farbenreiches Bild erhalten. Es ist
die Zeit, die im Pfaffen Amis und im Till Eulenspiegel ihre Typen fand.
Bis dahin hatte in weltlichen Dingen fast allenthalben der Adel allein etwas
gegolten und geschaffen. Jetzt begann es sich auch tiefer zu regen. Das Bür-
gerthum strebte, immer mehr erstarkend und sich fühlend, nach Besitz und Ein¬
fluß, und der kleine Mann auf dem Lande draußen, der Dorfgeistliche, der
Bauer, der Bettelmvnch folgte, so gut er es vermochte. Dabei wurde man ge¬
wahr, daß man in seiner Natürlichkeit, seinem gesunden Menschenverstande und
smier Wahrhaftigkeit Eigenschaften besaß, welche im Hinblick ans die zur Un-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/218>, abgerufen am 17.06.2024.