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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Länder, die jetzt den Völkern zur Wohnstätte dienen, ist eine solche Weiter¬
bildung der Sprache zu entdecken. Die Chinesen stehen, obwohl sie es sonst
zu nicht geringer Bildung gebracht haben, in Betreff der Sprache noch auf
der untersten Stufe. Von der Masse der agglutinirenden Sprachen hat sich
keine im Laufe der Zeiten zur Flexion erhoben, trotzdem, daß manche der
Völker, die sie sprachen, in änßerst günstigen Verhältnissen gelebt haben und
noch leben. Kommen wir endlich zu unseren Sprachen, so ist mit voller
Bestimmtheit nachzuweisen, daß keine derselben in dem Lande, wo sie gesprochen
wird, aus einer isolirenden oder agglutinirenden zur flektirenden geworden, ja
daß keine in diesem Lande entstanden ist. Ihr Urquell floß vielmehr am
Oxus, und dieser kommt vom Hindukusch, unsrer wie aller Menschen Ur¬
heimat!).

Wir werden also zu dem Schlüsse getrieben, daß die Sprache sich in der
Urheimath der Menschen nicht etwa nur in rohen Anfängen, sondern schon bis
zur Flexion ausgebildet hat. Die Absonderung der Menschheit von dort er¬
folgte allmählich und in der Weise der Wellen, welche der fallende Stein im
Wasser erzeugt. Die ältesten Absonderungen nahmen ans dem Urlande die
roheste Form der menschlichen Rede mit, den Behelf der Jsolirung. Ans der
Wanderung erstarrte die Sprache, und als in den neuen Wohnsitzen der
Stamm, das Volk erwuchs, hatte sie bereits ihren festen Typus erlangt, an
dem nun äußere Mittel, der günstige Wohnplatz und die infolge dessen gestie¬
gene geistige Reife wohl bessern und verschönern, nicht aber den Trieb zur
Weiterbildung aus der Jsolirung in die Agglutination und Flexion entflammen
konnten. Im Urlande entwickelte sich inzwischen die Sprache ganz allmählich,
nicht etwa plötzlich, zur agglutinirenden Weise, und die Meuschen-
welle, die sich jetzt von dort ausbreitete, trug diese Redeweise in alle Länder
der Erde, bis nach Amerika und Australien, wobei die erste nicht so weit ge¬
gangene Absonderung (das wohlverwahrte China ausgenommen) unterdrückt
wurde. Endlich folgte die dritte Völkerwoge, nachdem am Hindukusch die
Grundlage zur Flexion gelegt war: zuerst die Semiten, dann die Arier. Diese
verirrten sich nicht planlos über die Erde wie ihre Vorgänger und in Länder,
die jeden geistigen Aufschwung wohl zu unterdrücken, nicht aber zu fördern
vermögen, sondern fanden die gute Straße, die vom Hindukusch durch die
Länder der gemäßigten Zone nach Westen führte; die Semiten füllten Vorder¬
asien und das nördliche und östliche Afrika, die Arier nach ihnen die Kette
der Länder, welche vom Ganges bis zum Atlantischen Meere reicht.

Häckel und die mit ihm gehenden Sprachforscher mögen versuchen, die
Thatsache, daß Neger und Australier, diese tiefgesunkenen Glieder der Mensch¬
heit sich bis zur zweiten Stufe, der Agglutination, emporgearbeitet haben, während


Länder, die jetzt den Völkern zur Wohnstätte dienen, ist eine solche Weiter¬
bildung der Sprache zu entdecken. Die Chinesen stehen, obwohl sie es sonst
zu nicht geringer Bildung gebracht haben, in Betreff der Sprache noch auf
der untersten Stufe. Von der Masse der agglutinirenden Sprachen hat sich
keine im Laufe der Zeiten zur Flexion erhoben, trotzdem, daß manche der
Völker, die sie sprachen, in änßerst günstigen Verhältnissen gelebt haben und
noch leben. Kommen wir endlich zu unseren Sprachen, so ist mit voller
Bestimmtheit nachzuweisen, daß keine derselben in dem Lande, wo sie gesprochen
wird, aus einer isolirenden oder agglutinirenden zur flektirenden geworden, ja
daß keine in diesem Lande entstanden ist. Ihr Urquell floß vielmehr am
Oxus, und dieser kommt vom Hindukusch, unsrer wie aller Menschen Ur¬
heimat!).

Wir werden also zu dem Schlüsse getrieben, daß die Sprache sich in der
Urheimath der Menschen nicht etwa nur in rohen Anfängen, sondern schon bis
zur Flexion ausgebildet hat. Die Absonderung der Menschheit von dort er¬
folgte allmählich und in der Weise der Wellen, welche der fallende Stein im
Wasser erzeugt. Die ältesten Absonderungen nahmen ans dem Urlande die
roheste Form der menschlichen Rede mit, den Behelf der Jsolirung. Ans der
Wanderung erstarrte die Sprache, und als in den neuen Wohnsitzen der
Stamm, das Volk erwuchs, hatte sie bereits ihren festen Typus erlangt, an
dem nun äußere Mittel, der günstige Wohnplatz und die infolge dessen gestie¬
gene geistige Reife wohl bessern und verschönern, nicht aber den Trieb zur
Weiterbildung aus der Jsolirung in die Agglutination und Flexion entflammen
konnten. Im Urlande entwickelte sich inzwischen die Sprache ganz allmählich,
nicht etwa plötzlich, zur agglutinirenden Weise, und die Meuschen-
welle, die sich jetzt von dort ausbreitete, trug diese Redeweise in alle Länder
der Erde, bis nach Amerika und Australien, wobei die erste nicht so weit ge¬
gangene Absonderung (das wohlverwahrte China ausgenommen) unterdrückt
wurde. Endlich folgte die dritte Völkerwoge, nachdem am Hindukusch die
Grundlage zur Flexion gelegt war: zuerst die Semiten, dann die Arier. Diese
verirrten sich nicht planlos über die Erde wie ihre Vorgänger und in Länder,
die jeden geistigen Aufschwung wohl zu unterdrücken, nicht aber zu fördern
vermögen, sondern fanden die gute Straße, die vom Hindukusch durch die
Länder der gemäßigten Zone nach Westen führte; die Semiten füllten Vorder¬
asien und das nördliche und östliche Afrika, die Arier nach ihnen die Kette
der Länder, welche vom Ganges bis zum Atlantischen Meere reicht.

Häckel und die mit ihm gehenden Sprachforscher mögen versuchen, die
Thatsache, daß Neger und Australier, diese tiefgesunkenen Glieder der Mensch¬
heit sich bis zur zweiten Stufe, der Agglutination, emporgearbeitet haben, während


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[0283] Länder, die jetzt den Völkern zur Wohnstätte dienen, ist eine solche Weiter¬ bildung der Sprache zu entdecken. Die Chinesen stehen, obwohl sie es sonst zu nicht geringer Bildung gebracht haben, in Betreff der Sprache noch auf der untersten Stufe. Von der Masse der agglutinirenden Sprachen hat sich keine im Laufe der Zeiten zur Flexion erhoben, trotzdem, daß manche der Völker, die sie sprachen, in änßerst günstigen Verhältnissen gelebt haben und noch leben. Kommen wir endlich zu unseren Sprachen, so ist mit voller Bestimmtheit nachzuweisen, daß keine derselben in dem Lande, wo sie gesprochen wird, aus einer isolirenden oder agglutinirenden zur flektirenden geworden, ja daß keine in diesem Lande entstanden ist. Ihr Urquell floß vielmehr am Oxus, und dieser kommt vom Hindukusch, unsrer wie aller Menschen Ur¬ heimat!). Wir werden also zu dem Schlüsse getrieben, daß die Sprache sich in der Urheimath der Menschen nicht etwa nur in rohen Anfängen, sondern schon bis zur Flexion ausgebildet hat. Die Absonderung der Menschheit von dort er¬ folgte allmählich und in der Weise der Wellen, welche der fallende Stein im Wasser erzeugt. Die ältesten Absonderungen nahmen ans dem Urlande die roheste Form der menschlichen Rede mit, den Behelf der Jsolirung. Ans der Wanderung erstarrte die Sprache, und als in den neuen Wohnsitzen der Stamm, das Volk erwuchs, hatte sie bereits ihren festen Typus erlangt, an dem nun äußere Mittel, der günstige Wohnplatz und die infolge dessen gestie¬ gene geistige Reife wohl bessern und verschönern, nicht aber den Trieb zur Weiterbildung aus der Jsolirung in die Agglutination und Flexion entflammen konnten. Im Urlande entwickelte sich inzwischen die Sprache ganz allmählich, nicht etwa plötzlich, zur agglutinirenden Weise, und die Meuschen- welle, die sich jetzt von dort ausbreitete, trug diese Redeweise in alle Länder der Erde, bis nach Amerika und Australien, wobei die erste nicht so weit ge¬ gangene Absonderung (das wohlverwahrte China ausgenommen) unterdrückt wurde. Endlich folgte die dritte Völkerwoge, nachdem am Hindukusch die Grundlage zur Flexion gelegt war: zuerst die Semiten, dann die Arier. Diese verirrten sich nicht planlos über die Erde wie ihre Vorgänger und in Länder, die jeden geistigen Aufschwung wohl zu unterdrücken, nicht aber zu fördern vermögen, sondern fanden die gute Straße, die vom Hindukusch durch die Länder der gemäßigten Zone nach Westen führte; die Semiten füllten Vorder¬ asien und das nördliche und östliche Afrika, die Arier nach ihnen die Kette der Länder, welche vom Ganges bis zum Atlantischen Meere reicht. Häckel und die mit ihm gehenden Sprachforscher mögen versuchen, die Thatsache, daß Neger und Australier, diese tiefgesunkenen Glieder der Mensch¬ heit sich bis zur zweiten Stufe, der Agglutination, emporgearbeitet haben, während

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/283>, abgerufen am 17.06.2024.