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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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offene Silbe ist lang, geschlossene kurz; wo etwa ein langer Vokal in ge¬
schlossener Silbe vorkommt, ist er dnrch das Zeichen -- kenntlich zu machen.
Andere Wünsche unserer Schrift, z. B. die Einführung der lateinischen Schrift,
sowie die Ersetzung der Zeichen für die Mischlaute ä, ö und ü durch ein durch¬
strichenes a, o und u, die des es durch bloßes h oder ein solches mit Schleife
und die des v dnrch w gefallen uns nicht. Das durchstricheue a, o und u
nimmt sich in der Mitte all den Buchstaben zu schwarz aus und gibt der ge¬
druckten Seite el" Aussehen, als ob sie unrein aus der Presse gekommen wäre.
Das es ist voll dein Augenblicke an kein Doppelbnchstabe mehr, wo man es
nicht echa mehr nenut. Warum endlich das w abschaffen, wo das v überall
durch f ersetzt worden ist?

Daß die Fricke'schen Vorschläge, mit Abrechnung dieser Ausstellungen sowie
einiger anderer, besser sind als die der Berliner Konferenz, scheint uns
nicht zweifelhaft. Wir eignen uns in dieser Hinsicht das über letztere
auf S. 166--179 unserer Schrift gefällte Urtheil in mehreren Punkten
nu. Die Zahl der Buchstabe" durch Streichung der unnützen ist nicht ver¬
ringert. Ausnahmen von den Regeln sind nicht getilgt. Es gibt jetzt nicht
weniger Regeln. Weder Einfachheit uoch Konsequenz sind erreicht worden. Die
von der Konferenz empfohlene Rechtschreibung bringt daher den künftigen
Schülern keine Erleichterung, wohl aber den jetzt lebenden Erwachsenen Mühe
lllld Last. Viele Dehnungsbuchstabeu sind abgeschafft, andere geblieben; aber
welche? Das ist erst mit Anstrengung zu erlernen; denn es gibt kein kon¬
sequent durchgeführtes Gesetz darüber, so sollen wir Mor, Mos, Los, aber
daneben Boot schreiben. Künftig foll geschrieben werden Beet, verheeren, leer,
Meer, Schnee, See, Seele, Speer, Thee, Kaneel, Krakeel, Beere, aber Schere,
bescheren, Lorber, Kamel. Ferner Sehnsucht, begehren, kehren, Lehrer, mehr,
Lehm neben quer, Schmer und Wergeld (vergl. Wehr). Endlich, um Anderes
zu übergehen, soll Lied wegen Augenlid, Fieber wegen Fiber das e behalten,
nicht aber wieder wegen wider und ebenso wenig Miene wegen Mine. Das
Gesetz: Der Laut hat Begriffsllnterscheidungen zu machen, und die Schrift
leinen andern Beruf, als den Laut zu decken, ist anerkannt, aber durch theil¬
weise Nichtbeachtung wieder wirkungslos gemacht. Wir müssen also jedes ein¬
zelne Wort einüben; denn find auch die meisten Wörter unverändert geblieben,
so wissen wir doch nicht, welche. Bei der Abfassung von Schriftstücken müssen
wir so lange das neue Wortregister neben uns liegen haben, bis uns die ver¬
änderten Wortformen zur Gewohnheit geworden sind, und das wird bei den
Meisten erst spät, bei manchem Geschäftsmann aller Wahrscheinlichkeit nach
nie eintreten.




offene Silbe ist lang, geschlossene kurz; wo etwa ein langer Vokal in ge¬
schlossener Silbe vorkommt, ist er dnrch das Zeichen — kenntlich zu machen.
Andere Wünsche unserer Schrift, z. B. die Einführung der lateinischen Schrift,
sowie die Ersetzung der Zeichen für die Mischlaute ä, ö und ü durch ein durch¬
strichenes a, o und u, die des es durch bloßes h oder ein solches mit Schleife
und die des v dnrch w gefallen uns nicht. Das durchstricheue a, o und u
nimmt sich in der Mitte all den Buchstaben zu schwarz aus und gibt der ge¬
druckten Seite el» Aussehen, als ob sie unrein aus der Presse gekommen wäre.
Das es ist voll dein Augenblicke an kein Doppelbnchstabe mehr, wo man es
nicht echa mehr nenut. Warum endlich das w abschaffen, wo das v überall
durch f ersetzt worden ist?

Daß die Fricke'schen Vorschläge, mit Abrechnung dieser Ausstellungen sowie
einiger anderer, besser sind als die der Berliner Konferenz, scheint uns
nicht zweifelhaft. Wir eignen uns in dieser Hinsicht das über letztere
auf S. 166—179 unserer Schrift gefällte Urtheil in mehreren Punkten
nu. Die Zahl der Buchstabe» durch Streichung der unnützen ist nicht ver¬
ringert. Ausnahmen von den Regeln sind nicht getilgt. Es gibt jetzt nicht
weniger Regeln. Weder Einfachheit uoch Konsequenz sind erreicht worden. Die
von der Konferenz empfohlene Rechtschreibung bringt daher den künftigen
Schülern keine Erleichterung, wohl aber den jetzt lebenden Erwachsenen Mühe
lllld Last. Viele Dehnungsbuchstabeu sind abgeschafft, andere geblieben; aber
welche? Das ist erst mit Anstrengung zu erlernen; denn es gibt kein kon¬
sequent durchgeführtes Gesetz darüber, so sollen wir Mor, Mos, Los, aber
daneben Boot schreiben. Künftig foll geschrieben werden Beet, verheeren, leer,
Meer, Schnee, See, Seele, Speer, Thee, Kaneel, Krakeel, Beere, aber Schere,
bescheren, Lorber, Kamel. Ferner Sehnsucht, begehren, kehren, Lehrer, mehr,
Lehm neben quer, Schmer und Wergeld (vergl. Wehr). Endlich, um Anderes
zu übergehen, soll Lied wegen Augenlid, Fieber wegen Fiber das e behalten,
nicht aber wieder wegen wider und ebenso wenig Miene wegen Mine. Das
Gesetz: Der Laut hat Begriffsllnterscheidungen zu machen, und die Schrift
leinen andern Beruf, als den Laut zu decken, ist anerkannt, aber durch theil¬
weise Nichtbeachtung wieder wirkungslos gemacht. Wir müssen also jedes ein¬
zelne Wort einüben; denn find auch die meisten Wörter unverändert geblieben,
so wissen wir doch nicht, welche. Bei der Abfassung von Schriftstücken müssen
wir so lange das neue Wortregister neben uns liegen haben, bis uns die ver¬
änderten Wortformen zur Gewohnheit geworden sind, und das wird bei den
Meisten erst spät, bei manchem Geschäftsmann aller Wahrscheinlichkeit nach
nie eintreten.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/298>, abgerufen am 17.06.2024.