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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Genossenschaft von zanberknndigen weisen Frauen, denen man die Kunst zu¬
schrieb, Liebestränke zu brauen und durch Zaubersalben Menschen in Thiere zu
verwandeln. Das erstere Geschüft betrieb zur Zeit des AMbiades in Athen
eine gewisse Ninos, die deshalb zum Tode verurtheilt wurde. Das Wahrsagen
mit Hilfe eines Siebes, durch Graupen und Getreidekörner, die man ins Feuer
warf, durch Eier, die man über der Flamme schwitzen ließ, die sogenannte
Ringweissagung, die Chiromantie, Hydromantie u. s. w. war, wie heute das
Kartenlegen, die Specialität alter Weiber, ohne daß der Staat diese Thorheiten
anerkannt hätte.

Dagegen hing es mit dem Wesen des griechischen Götterkultus als eines
theils Staats-, theils Familienkultus zusammen, daß der Dienst in den Heilig-
thümern und das Priesteramt in vielen Fällen von Staatswegen den Frauen
übertragen war, weshalb wir zahlreichen Priesterinnen sowohl bei Staats-
als bei Privatheiligthümern begegnen.

Besonders hatten die weiblichen Gottheiten weibliche Priesterinnen, so
Hera, Aphrodite, Athene, Artemis, Demeter, Persephone, die Eumeniden u. s. w.
Als Namen für die Priesterinnen findet man häufig Melissa, was Biene
bedeutet und auf verschiedene Art erklärt wird, von Berge als begeisterte, von
Honigwein trunkene Frau. Andere hießen Leukippideu, Heresiden u. s. w. In
Halikarnaß wurde das Priesterthum käuflich an eine Frau überlassen, die in
der Stiftungsurkunde des zu erbauenden Tempels das Recht erhielt, den Ort
für denselben auszuwählen und ihre Nachfolgerin zu bestimmen. In manchen
Fällen mußte die Priesterin Jungfrau sein, wie die der Aphrodite in Sicyon,
der Artemis in Orchomenos, des Herakles in Thespiä u. s. w. Anderswo
wählte man verheirathete Frauen, die aber nicht mehr als einmal vermählt
gewesen sein durften, und überall waren auch deren geschlechtlichem Verkehr
gewisse Beschränkungen auferlegt. Die delphische Hestia, die Burggöttin in
Athen, der "Stadterhalter" zu Olympia hatten betagte Frauen zu Priesterinnen.
Für Lebensweise, Kleidung, Funktionen dieser Personen gab es natürlich
genaue von Staatswegen beaufsichtigte Vorschriften. Ich erwähne nur, daß
z. B. die Priesterin der Athene Polias in Athen keinen inländischen Käse essen,
die der Artemis Hymnia zu Orchomenos nicht in öffentlichen Bädern baden
durfte. In Pellene erschien die Athenepriesterin an Festtagen mit Waffen an¬
gethan und den Helm auf dein Haupte. Die Priesterin der Artemis Laphria
zu Paträ fuhr auf einem mit Hirschen bespannten Wagen.

Für das Ansehen, welches den in solchen Stellungen befindlichen Frauen
öffentlich zu Theil wurde, zeugen die außerordentlichen Ehren, die man ihnen
in vielen Staaten zugestand. Bei Volksversammlungen und Schauspielen
pflegten sie Ehrenplätze zu haben. In Argos bezeichnete man die Jahre nach


Genossenschaft von zanberknndigen weisen Frauen, denen man die Kunst zu¬
schrieb, Liebestränke zu brauen und durch Zaubersalben Menschen in Thiere zu
verwandeln. Das erstere Geschüft betrieb zur Zeit des AMbiades in Athen
eine gewisse Ninos, die deshalb zum Tode verurtheilt wurde. Das Wahrsagen
mit Hilfe eines Siebes, durch Graupen und Getreidekörner, die man ins Feuer
warf, durch Eier, die man über der Flamme schwitzen ließ, die sogenannte
Ringweissagung, die Chiromantie, Hydromantie u. s. w. war, wie heute das
Kartenlegen, die Specialität alter Weiber, ohne daß der Staat diese Thorheiten
anerkannt hätte.

Dagegen hing es mit dem Wesen des griechischen Götterkultus als eines
theils Staats-, theils Familienkultus zusammen, daß der Dienst in den Heilig-
thümern und das Priesteramt in vielen Fällen von Staatswegen den Frauen
übertragen war, weshalb wir zahlreichen Priesterinnen sowohl bei Staats-
als bei Privatheiligthümern begegnen.

Besonders hatten die weiblichen Gottheiten weibliche Priesterinnen, so
Hera, Aphrodite, Athene, Artemis, Demeter, Persephone, die Eumeniden u. s. w.
Als Namen für die Priesterinnen findet man häufig Melissa, was Biene
bedeutet und auf verschiedene Art erklärt wird, von Berge als begeisterte, von
Honigwein trunkene Frau. Andere hießen Leukippideu, Heresiden u. s. w. In
Halikarnaß wurde das Priesterthum käuflich an eine Frau überlassen, die in
der Stiftungsurkunde des zu erbauenden Tempels das Recht erhielt, den Ort
für denselben auszuwählen und ihre Nachfolgerin zu bestimmen. In manchen
Fällen mußte die Priesterin Jungfrau sein, wie die der Aphrodite in Sicyon,
der Artemis in Orchomenos, des Herakles in Thespiä u. s. w. Anderswo
wählte man verheirathete Frauen, die aber nicht mehr als einmal vermählt
gewesen sein durften, und überall waren auch deren geschlechtlichem Verkehr
gewisse Beschränkungen auferlegt. Die delphische Hestia, die Burggöttin in
Athen, der „Stadterhalter" zu Olympia hatten betagte Frauen zu Priesterinnen.
Für Lebensweise, Kleidung, Funktionen dieser Personen gab es natürlich
genaue von Staatswegen beaufsichtigte Vorschriften. Ich erwähne nur, daß
z. B. die Priesterin der Athene Polias in Athen keinen inländischen Käse essen,
die der Artemis Hymnia zu Orchomenos nicht in öffentlichen Bädern baden
durfte. In Pellene erschien die Athenepriesterin an Festtagen mit Waffen an¬
gethan und den Helm auf dein Haupte. Die Priesterin der Artemis Laphria
zu Paträ fuhr auf einem mit Hirschen bespannten Wagen.

Für das Ansehen, welches den in solchen Stellungen befindlichen Frauen
öffentlich zu Theil wurde, zeugen die außerordentlichen Ehren, die man ihnen
in vielen Staaten zugestand. Bei Volksversammlungen und Schauspielen
pflegten sie Ehrenplätze zu haben. In Argos bezeichnete man die Jahre nach


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[0300] Genossenschaft von zanberknndigen weisen Frauen, denen man die Kunst zu¬ schrieb, Liebestränke zu brauen und durch Zaubersalben Menschen in Thiere zu verwandeln. Das erstere Geschüft betrieb zur Zeit des AMbiades in Athen eine gewisse Ninos, die deshalb zum Tode verurtheilt wurde. Das Wahrsagen mit Hilfe eines Siebes, durch Graupen und Getreidekörner, die man ins Feuer warf, durch Eier, die man über der Flamme schwitzen ließ, die sogenannte Ringweissagung, die Chiromantie, Hydromantie u. s. w. war, wie heute das Kartenlegen, die Specialität alter Weiber, ohne daß der Staat diese Thorheiten anerkannt hätte. Dagegen hing es mit dem Wesen des griechischen Götterkultus als eines theils Staats-, theils Familienkultus zusammen, daß der Dienst in den Heilig- thümern und das Priesteramt in vielen Fällen von Staatswegen den Frauen übertragen war, weshalb wir zahlreichen Priesterinnen sowohl bei Staats- als bei Privatheiligthümern begegnen. Besonders hatten die weiblichen Gottheiten weibliche Priesterinnen, so Hera, Aphrodite, Athene, Artemis, Demeter, Persephone, die Eumeniden u. s. w. Als Namen für die Priesterinnen findet man häufig Melissa, was Biene bedeutet und auf verschiedene Art erklärt wird, von Berge als begeisterte, von Honigwein trunkene Frau. Andere hießen Leukippideu, Heresiden u. s. w. In Halikarnaß wurde das Priesterthum käuflich an eine Frau überlassen, die in der Stiftungsurkunde des zu erbauenden Tempels das Recht erhielt, den Ort für denselben auszuwählen und ihre Nachfolgerin zu bestimmen. In manchen Fällen mußte die Priesterin Jungfrau sein, wie die der Aphrodite in Sicyon, der Artemis in Orchomenos, des Herakles in Thespiä u. s. w. Anderswo wählte man verheirathete Frauen, die aber nicht mehr als einmal vermählt gewesen sein durften, und überall waren auch deren geschlechtlichem Verkehr gewisse Beschränkungen auferlegt. Die delphische Hestia, die Burggöttin in Athen, der „Stadterhalter" zu Olympia hatten betagte Frauen zu Priesterinnen. Für Lebensweise, Kleidung, Funktionen dieser Personen gab es natürlich genaue von Staatswegen beaufsichtigte Vorschriften. Ich erwähne nur, daß z. B. die Priesterin der Athene Polias in Athen keinen inländischen Käse essen, die der Artemis Hymnia zu Orchomenos nicht in öffentlichen Bädern baden durfte. In Pellene erschien die Athenepriesterin an Festtagen mit Waffen an¬ gethan und den Helm auf dein Haupte. Die Priesterin der Artemis Laphria zu Paträ fuhr auf einem mit Hirschen bespannten Wagen. Für das Ansehen, welches den in solchen Stellungen befindlichen Frauen öffentlich zu Theil wurde, zeugen die außerordentlichen Ehren, die man ihnen in vielen Staaten zugestand. Bei Volksversammlungen und Schauspielen pflegten sie Ehrenplätze zu haben. In Argos bezeichnete man die Jahre nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/300>, abgerufen am 17.06.2024.