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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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müßte ein Heiliger oder ein Stoiker sein, wenn die persönlichen Beweggründe
bei ihm nicht die öffentlichen überwiegen sollten, und die französischen Könige
des vorigen Jahrhunderts waren weder das Eine noch das Andere. Sie
waren Grandseigneurs, ihren Höflingen ähnliche Weltmänner, nur reicher, un¬
beschränkter und andrerseits schlechter erzogen und schlechter berathen, mehr um¬
worben, versucht und verblendet. Wie Jene hat der Monarch seine Eitelkeit,
seinen Geschmack und Hang, seine Verwandten und Maitressen, seine Vertrauten,
lauter Faktoren, mit denen zuerst zu rechnen ist, die zuerst befriedigt werden
müssen; das Volk, der Staat kommt erst nachher an die Reihe. Der Hof
aber ist wie das ganze alte Regiment die leere Form einer mittelalterlichen
militärischen Einrichtung. Die Ursachen sind verschwunden, die Wirkungen
geblieben, die Gewohnheit hat die Nützlichkeit überlebt. Als der König einst,
in früherer Feudalzeit, im Felde oder in den Adelsbnrgen ein einfaches kamerad¬
schaftliches Leben führte, dienten seine Ritter ihm Physisch, der eine gab ihm
Wohnung, der andere speiste ihn, der dritte half ihn: beim Ankleiden, der
vierte bekümmerte sich um seine Pferde. Später, unter Richelieu und während
der Fronde, bewachten sie ihm sein Schloß und begleiteten ihn auf Reisen als
bewaffnetes Gefolge. Auch jetzt umgeben sie ihn, den Degen an der Seite,
harren ans jedes Wort von ihm, vollziehen seine Winke als Befehle, nud selbst
die höchststehenden scheinen ihm häusliche Dienste zu leisten. Aber an die
Stelle wirksamer Dienstleistung ist die pompafte Parade getreten, und die
Adeligen des Hofes sind keine nützlichen Werkzeuge mehr, sondern nur noch
Verzierungen. Und jetzt wollen wir uns an diesem Hofe unter Führung unseres
Autors ein Wenig umsehen.

Beim ersten Umblick in Versailles fühlen wir, daß wir in einer Stadt
sind, die in Frankreich einzig in ihrer Art ist. Sie zählt an achtzigtausend
Einwohner, in Wirklichkeit aber wird sie vom Leben eines einzigen Mensche"
erfüllt und charakterisirt, sie hat keinen andern Zweck, als den, die Residenz
des Königs zu sein, dessen Bedürfnissen und Vergnügungen, dessen Reichthum und
Würde zu entsprechen. Zwar gibt es hier und da Arbeiterwohnungen, Gast¬
häuser^ Schenken, Schuppen und Kasernen; denn ohne Handlanger ist auch
die schönste Apotheose unmöglich. Der Rest aber besteht ans großartigen Palästen
mit FmMden aus Bildhauerarbeit, mit Kcirnießen, Säulen und monumentalen
Treppen. Diese herrschaftlichen Gebäude stehe" symmetrisch um das riesige
Königsschloß gruppirt und beherbergen die vornehmsten Familien beständig.
Dazu kommen alle die, welche fünf Meilen in der Runde, in Paris, in Seeaux,
Samt Germain n. f. w. wohnen, und deren Häuser eine Krone von architek¬
tonischen Blumen bilden, aus der jeden Morgen ebenso viele vergoldete Wespen
herausfliegen, um in Versailles zu glänzen und Honig zu sammeln. Sie bilden


müßte ein Heiliger oder ein Stoiker sein, wenn die persönlichen Beweggründe
bei ihm nicht die öffentlichen überwiegen sollten, und die französischen Könige
des vorigen Jahrhunderts waren weder das Eine noch das Andere. Sie
waren Grandseigneurs, ihren Höflingen ähnliche Weltmänner, nur reicher, un¬
beschränkter und andrerseits schlechter erzogen und schlechter berathen, mehr um¬
worben, versucht und verblendet. Wie Jene hat der Monarch seine Eitelkeit,
seinen Geschmack und Hang, seine Verwandten und Maitressen, seine Vertrauten,
lauter Faktoren, mit denen zuerst zu rechnen ist, die zuerst befriedigt werden
müssen; das Volk, der Staat kommt erst nachher an die Reihe. Der Hof
aber ist wie das ganze alte Regiment die leere Form einer mittelalterlichen
militärischen Einrichtung. Die Ursachen sind verschwunden, die Wirkungen
geblieben, die Gewohnheit hat die Nützlichkeit überlebt. Als der König einst,
in früherer Feudalzeit, im Felde oder in den Adelsbnrgen ein einfaches kamerad¬
schaftliches Leben führte, dienten seine Ritter ihm Physisch, der eine gab ihm
Wohnung, der andere speiste ihn, der dritte half ihn: beim Ankleiden, der
vierte bekümmerte sich um seine Pferde. Später, unter Richelieu und während
der Fronde, bewachten sie ihm sein Schloß und begleiteten ihn auf Reisen als
bewaffnetes Gefolge. Auch jetzt umgeben sie ihn, den Degen an der Seite,
harren ans jedes Wort von ihm, vollziehen seine Winke als Befehle, nud selbst
die höchststehenden scheinen ihm häusliche Dienste zu leisten. Aber an die
Stelle wirksamer Dienstleistung ist die pompafte Parade getreten, und die
Adeligen des Hofes sind keine nützlichen Werkzeuge mehr, sondern nur noch
Verzierungen. Und jetzt wollen wir uns an diesem Hofe unter Führung unseres
Autors ein Wenig umsehen.

Beim ersten Umblick in Versailles fühlen wir, daß wir in einer Stadt
sind, die in Frankreich einzig in ihrer Art ist. Sie zählt an achtzigtausend
Einwohner, in Wirklichkeit aber wird sie vom Leben eines einzigen Mensche«
erfüllt und charakterisirt, sie hat keinen andern Zweck, als den, die Residenz
des Königs zu sein, dessen Bedürfnissen und Vergnügungen, dessen Reichthum und
Würde zu entsprechen. Zwar gibt es hier und da Arbeiterwohnungen, Gast¬
häuser^ Schenken, Schuppen und Kasernen; denn ohne Handlanger ist auch
die schönste Apotheose unmöglich. Der Rest aber besteht ans großartigen Palästen
mit FmMden aus Bildhauerarbeit, mit Kcirnießen, Säulen und monumentalen
Treppen. Diese herrschaftlichen Gebäude stehe» symmetrisch um das riesige
Königsschloß gruppirt und beherbergen die vornehmsten Familien beständig.
Dazu kommen alle die, welche fünf Meilen in der Runde, in Paris, in Seeaux,
Samt Germain n. f. w. wohnen, und deren Häuser eine Krone von architek¬
tonischen Blumen bilden, aus der jeden Morgen ebenso viele vergoldete Wespen
herausfliegen, um in Versailles zu glänzen und Honig zu sammeln. Sie bilden


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[0336] müßte ein Heiliger oder ein Stoiker sein, wenn die persönlichen Beweggründe bei ihm nicht die öffentlichen überwiegen sollten, und die französischen Könige des vorigen Jahrhunderts waren weder das Eine noch das Andere. Sie waren Grandseigneurs, ihren Höflingen ähnliche Weltmänner, nur reicher, un¬ beschränkter und andrerseits schlechter erzogen und schlechter berathen, mehr um¬ worben, versucht und verblendet. Wie Jene hat der Monarch seine Eitelkeit, seinen Geschmack und Hang, seine Verwandten und Maitressen, seine Vertrauten, lauter Faktoren, mit denen zuerst zu rechnen ist, die zuerst befriedigt werden müssen; das Volk, der Staat kommt erst nachher an die Reihe. Der Hof aber ist wie das ganze alte Regiment die leere Form einer mittelalterlichen militärischen Einrichtung. Die Ursachen sind verschwunden, die Wirkungen geblieben, die Gewohnheit hat die Nützlichkeit überlebt. Als der König einst, in früherer Feudalzeit, im Felde oder in den Adelsbnrgen ein einfaches kamerad¬ schaftliches Leben führte, dienten seine Ritter ihm Physisch, der eine gab ihm Wohnung, der andere speiste ihn, der dritte half ihn: beim Ankleiden, der vierte bekümmerte sich um seine Pferde. Später, unter Richelieu und während der Fronde, bewachten sie ihm sein Schloß und begleiteten ihn auf Reisen als bewaffnetes Gefolge. Auch jetzt umgeben sie ihn, den Degen an der Seite, harren ans jedes Wort von ihm, vollziehen seine Winke als Befehle, nud selbst die höchststehenden scheinen ihm häusliche Dienste zu leisten. Aber an die Stelle wirksamer Dienstleistung ist die pompafte Parade getreten, und die Adeligen des Hofes sind keine nützlichen Werkzeuge mehr, sondern nur noch Verzierungen. Und jetzt wollen wir uns an diesem Hofe unter Führung unseres Autors ein Wenig umsehen. Beim ersten Umblick in Versailles fühlen wir, daß wir in einer Stadt sind, die in Frankreich einzig in ihrer Art ist. Sie zählt an achtzigtausend Einwohner, in Wirklichkeit aber wird sie vom Leben eines einzigen Mensche« erfüllt und charakterisirt, sie hat keinen andern Zweck, als den, die Residenz des Königs zu sein, dessen Bedürfnissen und Vergnügungen, dessen Reichthum und Würde zu entsprechen. Zwar gibt es hier und da Arbeiterwohnungen, Gast¬ häuser^ Schenken, Schuppen und Kasernen; denn ohne Handlanger ist auch die schönste Apotheose unmöglich. Der Rest aber besteht ans großartigen Palästen mit FmMden aus Bildhauerarbeit, mit Kcirnießen, Säulen und monumentalen Treppen. Diese herrschaftlichen Gebäude stehe» symmetrisch um das riesige Königsschloß gruppirt und beherbergen die vornehmsten Familien beständig. Dazu kommen alle die, welche fünf Meilen in der Runde, in Paris, in Seeaux, Samt Germain n. f. w. wohnen, und deren Häuser eine Krone von architek¬ tonischen Blumen bilden, aus der jeden Morgen ebenso viele vergoldete Wespen herausfliegen, um in Versailles zu glänzen und Honig zu sammeln. Sie bilden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/336>, abgerufen am 17.06.2024.