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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Zügen, in denen sich auch auf dem Gebiete der Diplomatie diese Verschiedenheit
kundgibt -- ganz besonders die Mittheilungen über die mannigfachen Ver¬
handlungen mit Preußen, und die Zähigkeit, mit welcher die dorthin gehenden
Beziehungen ein gewisses Leben behaupteten noch geraume Zeit nach der Schlacht
bei Wagram (5. und K. Juli). Noch nach dieser Schlacht setzte Roter dem
Grafen Stadion die Pläne der deutschen Patrioten aus einander. Der öster¬
reichische Gesandte in Berlin, v. Wessenberg, brachte zur Kenntniß der öster¬
reichischen Kreise einen Antrag Blüchers, nach dem Beispiele Schills, nur mit
einer zahlreichere" Mannschaft, loszubrechen. Metternich trug sich mit Gedanken
weitaussehendster Art: durch einen preußischen Definitivverzicht auf die 1807
eingebüßten Theile von Polen, sowie durch eine Abtretung Westgaliziens von
Seiten Oesterreichs eine Wiederherstellung Polens zu ermöglichen, um dieses
Polen mit Oesterreich, Preußen und England, mit der Türkei, Spanien, Por¬
tugal, Sicilien und Sardinien zu einem großen Bunde gegen Frankreich zu
vereinen. In den Anfang des Angust endlich fällt jene Sendung Knesebecks
von dem preußischen Hof an den österreichischen, welche noch einmal ein Zu¬
sammenwirken der beiden Mächte bereits für diese Zeit in Aussicht stellte und
auf welche dann die ähnliche Sendung des gleichen Mannes im Anfange des
Jahres 1813 in so mancher Beziehung zurückwies.

Eine recht lebhafte Vorstellung von dem Zustand äußerster Schwankung
zwischen Frieden und Wiederaufnahme des Krieges, in welchem sich der öster¬
reichische Hof noch Monate nach Abschluß des Waffenstillstandes von Znaym
bewegt, wird uns durch die hier gebotenen Mittheilungen geschaffen. Be¬
segelung der erlittenen Niederlagen durch einen verlustvollen Frieden (Oktober)
war der endliche Ausgang. Eben solchen Aufgaben, wie sie durch die Intentionen
der österreichischen Politik von 1809 geboten waren, hatte sich denn doch dies
österreichische Staatswesen seiner innern Beschaffenheit nach nicht gewachsen ge¬
zeigt. Von einem großen Reiz wird es immer sein, diesen Kaiserstaat von 1809
sU sehen, wie er auf so ganz andern Wegen, als auf denen er es früher zu üben
gewohnt war, Deutschland mit sich fortzureißen, die Führung desselben zu ge¬
winnen und deutsche Mittel für Zwecke in Bewegung zu setzen strebt, bei deren
Verfolgung naturgemäß und wirklich, und nicht vermöge der Fiktionen einer
abgelebten Reichsverfassung, die Interessen Oesterreichs und'die höchsten National-
wteressen Deutschlands sich zusammenfanden.




Zügen, in denen sich auch auf dem Gebiete der Diplomatie diese Verschiedenheit
kundgibt — ganz besonders die Mittheilungen über die mannigfachen Ver¬
handlungen mit Preußen, und die Zähigkeit, mit welcher die dorthin gehenden
Beziehungen ein gewisses Leben behaupteten noch geraume Zeit nach der Schlacht
bei Wagram (5. und K. Juli). Noch nach dieser Schlacht setzte Roter dem
Grafen Stadion die Pläne der deutschen Patrioten aus einander. Der öster¬
reichische Gesandte in Berlin, v. Wessenberg, brachte zur Kenntniß der öster¬
reichischen Kreise einen Antrag Blüchers, nach dem Beispiele Schills, nur mit
einer zahlreichere« Mannschaft, loszubrechen. Metternich trug sich mit Gedanken
weitaussehendster Art: durch einen preußischen Definitivverzicht auf die 1807
eingebüßten Theile von Polen, sowie durch eine Abtretung Westgaliziens von
Seiten Oesterreichs eine Wiederherstellung Polens zu ermöglichen, um dieses
Polen mit Oesterreich, Preußen und England, mit der Türkei, Spanien, Por¬
tugal, Sicilien und Sardinien zu einem großen Bunde gegen Frankreich zu
vereinen. In den Anfang des Angust endlich fällt jene Sendung Knesebecks
von dem preußischen Hof an den österreichischen, welche noch einmal ein Zu¬
sammenwirken der beiden Mächte bereits für diese Zeit in Aussicht stellte und
auf welche dann die ähnliche Sendung des gleichen Mannes im Anfange des
Jahres 1813 in so mancher Beziehung zurückwies.

Eine recht lebhafte Vorstellung von dem Zustand äußerster Schwankung
zwischen Frieden und Wiederaufnahme des Krieges, in welchem sich der öster¬
reichische Hof noch Monate nach Abschluß des Waffenstillstandes von Znaym
bewegt, wird uns durch die hier gebotenen Mittheilungen geschaffen. Be¬
segelung der erlittenen Niederlagen durch einen verlustvollen Frieden (Oktober)
war der endliche Ausgang. Eben solchen Aufgaben, wie sie durch die Intentionen
der österreichischen Politik von 1809 geboten waren, hatte sich denn doch dies
österreichische Staatswesen seiner innern Beschaffenheit nach nicht gewachsen ge¬
zeigt. Von einem großen Reiz wird es immer sein, diesen Kaiserstaat von 1809
sU sehen, wie er auf so ganz andern Wegen, als auf denen er es früher zu üben
gewohnt war, Deutschland mit sich fortzureißen, die Führung desselben zu ge¬
winnen und deutsche Mittel für Zwecke in Bewegung zu setzen strebt, bei deren
Verfolgung naturgemäß und wirklich, und nicht vermöge der Fiktionen einer
abgelebten Reichsverfassung, die Interessen Oesterreichs und'die höchsten National-
wteressen Deutschlands sich zusammenfanden.




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[0039] Zügen, in denen sich auch auf dem Gebiete der Diplomatie diese Verschiedenheit kundgibt — ganz besonders die Mittheilungen über die mannigfachen Ver¬ handlungen mit Preußen, und die Zähigkeit, mit welcher die dorthin gehenden Beziehungen ein gewisses Leben behaupteten noch geraume Zeit nach der Schlacht bei Wagram (5. und K. Juli). Noch nach dieser Schlacht setzte Roter dem Grafen Stadion die Pläne der deutschen Patrioten aus einander. Der öster¬ reichische Gesandte in Berlin, v. Wessenberg, brachte zur Kenntniß der öster¬ reichischen Kreise einen Antrag Blüchers, nach dem Beispiele Schills, nur mit einer zahlreichere« Mannschaft, loszubrechen. Metternich trug sich mit Gedanken weitaussehendster Art: durch einen preußischen Definitivverzicht auf die 1807 eingebüßten Theile von Polen, sowie durch eine Abtretung Westgaliziens von Seiten Oesterreichs eine Wiederherstellung Polens zu ermöglichen, um dieses Polen mit Oesterreich, Preußen und England, mit der Türkei, Spanien, Por¬ tugal, Sicilien und Sardinien zu einem großen Bunde gegen Frankreich zu vereinen. In den Anfang des Angust endlich fällt jene Sendung Knesebecks von dem preußischen Hof an den österreichischen, welche noch einmal ein Zu¬ sammenwirken der beiden Mächte bereits für diese Zeit in Aussicht stellte und auf welche dann die ähnliche Sendung des gleichen Mannes im Anfange des Jahres 1813 in so mancher Beziehung zurückwies. Eine recht lebhafte Vorstellung von dem Zustand äußerster Schwankung zwischen Frieden und Wiederaufnahme des Krieges, in welchem sich der öster¬ reichische Hof noch Monate nach Abschluß des Waffenstillstandes von Znaym bewegt, wird uns durch die hier gebotenen Mittheilungen geschaffen. Be¬ segelung der erlittenen Niederlagen durch einen verlustvollen Frieden (Oktober) war der endliche Ausgang. Eben solchen Aufgaben, wie sie durch die Intentionen der österreichischen Politik von 1809 geboten waren, hatte sich denn doch dies österreichische Staatswesen seiner innern Beschaffenheit nach nicht gewachsen ge¬ zeigt. Von einem großen Reiz wird es immer sein, diesen Kaiserstaat von 1809 sU sehen, wie er auf so ganz andern Wegen, als auf denen er es früher zu üben gewohnt war, Deutschland mit sich fortzureißen, die Führung desselben zu ge¬ winnen und deutsche Mittel für Zwecke in Bewegung zu setzen strebt, bei deren Verfolgung naturgemäß und wirklich, und nicht vermöge der Fiktionen einer abgelebten Reichsverfassung, die Interessen Oesterreichs und'die höchsten National- wteressen Deutschlands sich zusammenfanden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/39>, abgerufen am 17.06.2024.