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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Stahl, dem wir hier und in einem Theil des Nachstehenden folgend), "dürfen
nur zusammengestellt werden, um das sofort einleuchtend zu machen."

Die Gesellen einiger Handwerke waren von der Verpflichtung, bei ihrem
Meister zu wohnen, befreit, indem ihnen das Heirathen gestattet war. Dahin
gehörten die Tuchkuappen, die Zimmerleute, die Maurer und die Buchdrucker,
später auch die Gerber. Der Grund hiervon liegt auf der Hand. Diese Be¬
rufsarten erforderten für den selbständigen Betrieb so viel Kapital, daß die
Mehrzahl der Gesellen hier auf das Meisterwerden von vornherein verzichtete
und sich mit dem Lohn für ihre persönliche Arbeit begnügte; es widersprach
aber der öffentlichen Meinung und ebenso der Ansicht der Behörden, daß Je¬
mand sein ganzes Leben unverheirathet und unselbständig bleiben solle.

Geschah es, daß der Gesell eines andern Handwerks gegen Satzung und
Herkommen sich eine Frau nahm, so konnte er niemals Meister werden, er
wurde und blieb "Stückwerker," d. h. er arbeitete in seinem Hanse für Be¬
stellung eiues Meisters und konnte daher nur stückweise bezahlt werden.

Das Zusammenhäufen des Gesellen mit dem Meister hatte den Vorzug,
daß jener nicht>'aus dem Familienleben heraus und in das Wirthshanstreiben
hineingezogen wurde, und daß er mit seinem Arbeitgeber mehr verwoben blieb,
der Gegensatz zwischen dem Herrn und dem Knecht nicht scharf hervortrat.
Doch hatte das gezwungene Zusammensein Beider auch Schattenseiten. Die
Sparsamkeit der Frau Meisterin und der gesunde Appetit des arbeitenden Gesellen
waren in ihrem Urtheil über die Güte und Menge dessen, was auf den Tisch
kam, fo selten einig, daß sich in Nürnberg das Sprichwort ausbildete: "Gott¬
lob, wieder einmal gegessen und nicht gezankt!" Indeß war in dem Bunde
der unselbständigen Arbeiter, der "Gesellenschaft", ein starkes Gegengewicht
gegen übertriebene Sparsamkeit der Meistersleute vorhanden. Die Gesellen
hatten, so lange diese Organisation bestand, also bis gegen das Eude des
vorigen Jahrhunderts hin, Macht genug, um ihre Wünsche im Punkte her Kost
gegen die Meister eines Ortes durchzusetzen, und sie benutzten dieselbe bisweilen
sogar in unbilliger Weise. Sie verlangten mitunter bei Theuerungen mehr, als
dem Meister möglich war, und zogen, wenn ihnen nicht willfahrt wurde, ans
der Stadt fort, sodaß die Meister keine Gehilfen mehr hatten, -- ein Fall, der
sich 1475 zu Nürnberg im Handwerke der Blechschmiede ereignete, und durch
den dieses so herunterkam, daß aus ihm keiner mehr in den Rath gewählt
werden konnte.

Die Hausordnung beim Meister war streng, entsprach aber nur den da¬
maligen Polizeivorschriften. Der Gesell mußte zu bestimmter Stunde an



") Das deutsche Handwerk (Gießen, 1874, Ricker'sche Buchhandlung) l, Bd., S. 27" ff-

Stahl, dem wir hier und in einem Theil des Nachstehenden folgend), „dürfen
nur zusammengestellt werden, um das sofort einleuchtend zu machen."

Die Gesellen einiger Handwerke waren von der Verpflichtung, bei ihrem
Meister zu wohnen, befreit, indem ihnen das Heirathen gestattet war. Dahin
gehörten die Tuchkuappen, die Zimmerleute, die Maurer und die Buchdrucker,
später auch die Gerber. Der Grund hiervon liegt auf der Hand. Diese Be¬
rufsarten erforderten für den selbständigen Betrieb so viel Kapital, daß die
Mehrzahl der Gesellen hier auf das Meisterwerden von vornherein verzichtete
und sich mit dem Lohn für ihre persönliche Arbeit begnügte; es widersprach
aber der öffentlichen Meinung und ebenso der Ansicht der Behörden, daß Je¬
mand sein ganzes Leben unverheirathet und unselbständig bleiben solle.

Geschah es, daß der Gesell eines andern Handwerks gegen Satzung und
Herkommen sich eine Frau nahm, so konnte er niemals Meister werden, er
wurde und blieb „Stückwerker," d. h. er arbeitete in seinem Hanse für Be¬
stellung eiues Meisters und konnte daher nur stückweise bezahlt werden.

Das Zusammenhäufen des Gesellen mit dem Meister hatte den Vorzug,
daß jener nicht>'aus dem Familienleben heraus und in das Wirthshanstreiben
hineingezogen wurde, und daß er mit seinem Arbeitgeber mehr verwoben blieb,
der Gegensatz zwischen dem Herrn und dem Knecht nicht scharf hervortrat.
Doch hatte das gezwungene Zusammensein Beider auch Schattenseiten. Die
Sparsamkeit der Frau Meisterin und der gesunde Appetit des arbeitenden Gesellen
waren in ihrem Urtheil über die Güte und Menge dessen, was auf den Tisch
kam, fo selten einig, daß sich in Nürnberg das Sprichwort ausbildete: „Gott¬
lob, wieder einmal gegessen und nicht gezankt!" Indeß war in dem Bunde
der unselbständigen Arbeiter, der „Gesellenschaft", ein starkes Gegengewicht
gegen übertriebene Sparsamkeit der Meistersleute vorhanden. Die Gesellen
hatten, so lange diese Organisation bestand, also bis gegen das Eude des
vorigen Jahrhunderts hin, Macht genug, um ihre Wünsche im Punkte her Kost
gegen die Meister eines Ortes durchzusetzen, und sie benutzten dieselbe bisweilen
sogar in unbilliger Weise. Sie verlangten mitunter bei Theuerungen mehr, als
dem Meister möglich war, und zogen, wenn ihnen nicht willfahrt wurde, ans
der Stadt fort, sodaß die Meister keine Gehilfen mehr hatten, — ein Fall, der
sich 1475 zu Nürnberg im Handwerke der Blechschmiede ereignete, und durch
den dieses so herunterkam, daß aus ihm keiner mehr in den Rath gewählt
werden konnte.

Die Hausordnung beim Meister war streng, entsprach aber nur den da¬
maligen Polizeivorschriften. Der Gesell mußte zu bestimmter Stunde an



») Das deutsche Handwerk (Gießen, 1874, Ricker'sche Buchhandlung) l, Bd., S. 27« ff-
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[0406] Stahl, dem wir hier und in einem Theil des Nachstehenden folgend), „dürfen nur zusammengestellt werden, um das sofort einleuchtend zu machen." Die Gesellen einiger Handwerke waren von der Verpflichtung, bei ihrem Meister zu wohnen, befreit, indem ihnen das Heirathen gestattet war. Dahin gehörten die Tuchkuappen, die Zimmerleute, die Maurer und die Buchdrucker, später auch die Gerber. Der Grund hiervon liegt auf der Hand. Diese Be¬ rufsarten erforderten für den selbständigen Betrieb so viel Kapital, daß die Mehrzahl der Gesellen hier auf das Meisterwerden von vornherein verzichtete und sich mit dem Lohn für ihre persönliche Arbeit begnügte; es widersprach aber der öffentlichen Meinung und ebenso der Ansicht der Behörden, daß Je¬ mand sein ganzes Leben unverheirathet und unselbständig bleiben solle. Geschah es, daß der Gesell eines andern Handwerks gegen Satzung und Herkommen sich eine Frau nahm, so konnte er niemals Meister werden, er wurde und blieb „Stückwerker," d. h. er arbeitete in seinem Hanse für Be¬ stellung eiues Meisters und konnte daher nur stückweise bezahlt werden. Das Zusammenhäufen des Gesellen mit dem Meister hatte den Vorzug, daß jener nicht>'aus dem Familienleben heraus und in das Wirthshanstreiben hineingezogen wurde, und daß er mit seinem Arbeitgeber mehr verwoben blieb, der Gegensatz zwischen dem Herrn und dem Knecht nicht scharf hervortrat. Doch hatte das gezwungene Zusammensein Beider auch Schattenseiten. Die Sparsamkeit der Frau Meisterin und der gesunde Appetit des arbeitenden Gesellen waren in ihrem Urtheil über die Güte und Menge dessen, was auf den Tisch kam, fo selten einig, daß sich in Nürnberg das Sprichwort ausbildete: „Gott¬ lob, wieder einmal gegessen und nicht gezankt!" Indeß war in dem Bunde der unselbständigen Arbeiter, der „Gesellenschaft", ein starkes Gegengewicht gegen übertriebene Sparsamkeit der Meistersleute vorhanden. Die Gesellen hatten, so lange diese Organisation bestand, also bis gegen das Eude des vorigen Jahrhunderts hin, Macht genug, um ihre Wünsche im Punkte her Kost gegen die Meister eines Ortes durchzusetzen, und sie benutzten dieselbe bisweilen sogar in unbilliger Weise. Sie verlangten mitunter bei Theuerungen mehr, als dem Meister möglich war, und zogen, wenn ihnen nicht willfahrt wurde, ans der Stadt fort, sodaß die Meister keine Gehilfen mehr hatten, — ein Fall, der sich 1475 zu Nürnberg im Handwerke der Blechschmiede ereignete, und durch den dieses so herunterkam, daß aus ihm keiner mehr in den Rath gewählt werden konnte. Die Hausordnung beim Meister war streng, entsprach aber nur den da¬ maligen Polizeivorschriften. Der Gesell mußte zu bestimmter Stunde an ») Das deutsche Handwerk (Gießen, 1874, Ricker'sche Buchhandlung) l, Bd., S. 27« ff-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/406>, abgerufen am 17.06.2024.