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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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bildung nur mehr oder weniger dilettantisch behandeln können, mögen sie anch
noch so großen Fleiß und guten Willen an den Tag legen.

Die entsetzlich verworrenen Tarifzustände der deutschen Eisenbahnen, die
beinahe sprichwörtlich geworden sind, fallen ganz und ausschließlich deu Eisen-
bahnen selbst zur Last, und sie allein mögen schon das große Mißtrauen --
um nicht zu sagen die Mißachtung -- rechtfertigen, welches überall in Deutsch¬
land gegen die Eisenbnhuen zu finden ist. Aber die Unzuträglichkeiten in den
chablonisirten Lieferfristen, in den Be- und Entladefristen, der Bestätterung der
Güter u. s. w. hat der Handelsstand mit verschuldet, und er wird gewiß in
seinem eigenen Interesse bald Abhilfe verlangen, wo er jetzt glaubt auf einem
Rechte bestehen zu müssen, wenn er erst klar erkennt, wie kostspielig diese
seine Rechte sind.

Wenn man die geschichtliche Entwickelung der deutschen Eisenbahnen ver¬
folgt, so findet man sehr früh schon ein Bestreben der Eisenbahnbau-, Maschinen-
und Betriebstechniker nach einheitlicher Gestaltung der zu ihrem Fache ge¬
hörigen Anlagen und Einrichtungen, welches schon 1857 und 1858 reife
Früchte trug und seit dieser Zeit in den "technischen Vereinbarungen des
Vereins deutscher Eisenbahnverwaltungen", zu welchem Vereine die sämmtlichen
Bahnen Deutschlands, die meisten Oesterreichs und auch mehrere niederländische
und belgische gehören, zu einem Gebäude aufgeführt worden ist, welches seines¬
gleichen in der ganzen civilisirten Welt sucht und um welches uns selbst Fran¬
zosen und Engländer beneiden, die auf diesem wichtigen Gebiete der Einheit
entbehren. Hier hat es sich gezeigt, daß Fachmänner in ihrem Fache recht
bald trotz der größtmöglichen territorialen Zersplitterung der in Frage stehenden
Gebiete zu einer ersprießlichen Einheit gelangen können, wenn sie nur den red¬
lichen Willen dazu haben, und den muß man doch jedem wirklich Gebildeten
zuerkennen. Es ist das auch sehr erklärlich, ja eigentlich selbstverständlich, denn
sie beherrschen ihr Fach derart, daß sie sehr wohl Wesentliches von Unwesent¬
lichen zu unterscheiden wissen, und sowie sie dies thun, so ist auch eine Ver¬
ständigung leicht, da sie gleichzeitig auch ebensosehr im Stande sind zu über¬
sehen, wo aus allgemein fachwissenschaftlichen oder praktischen Gesichtspunkten
Liebhabereien Einzelner zulässig sind oder nicht.

Aber gerade diese Liebhabereien spielen bekanntlich bei Dilettanten eine so
große Rolle, daß darüber die eigentlich maßgebenden Gesichtspunkte zurück¬
treten müssen, und daher ist es anch gar kein Wunder, daß im Eisenbahnwesen
mit Ausnahme des technischen Gebietes bisher in Deutschland eine Einigung
nicht erreicht worden ist, denn die Techniker sind die Einzigen, die innerhalb
ihres Gebietes in den höhern Eisenbalmstellungen bisher als wirkliche Fach¬
männer auftreten konnten und aufgetreten find, während auf alleu ander" Ge-<


bildung nur mehr oder weniger dilettantisch behandeln können, mögen sie anch
noch so großen Fleiß und guten Willen an den Tag legen.

Die entsetzlich verworrenen Tarifzustände der deutschen Eisenbahnen, die
beinahe sprichwörtlich geworden sind, fallen ganz und ausschließlich deu Eisen-
bahnen selbst zur Last, und sie allein mögen schon das große Mißtrauen —
um nicht zu sagen die Mißachtung — rechtfertigen, welches überall in Deutsch¬
land gegen die Eisenbnhuen zu finden ist. Aber die Unzuträglichkeiten in den
chablonisirten Lieferfristen, in den Be- und Entladefristen, der Bestätterung der
Güter u. s. w. hat der Handelsstand mit verschuldet, und er wird gewiß in
seinem eigenen Interesse bald Abhilfe verlangen, wo er jetzt glaubt auf einem
Rechte bestehen zu müssen, wenn er erst klar erkennt, wie kostspielig diese
seine Rechte sind.

Wenn man die geschichtliche Entwickelung der deutschen Eisenbahnen ver¬
folgt, so findet man sehr früh schon ein Bestreben der Eisenbahnbau-, Maschinen-
und Betriebstechniker nach einheitlicher Gestaltung der zu ihrem Fache ge¬
hörigen Anlagen und Einrichtungen, welches schon 1857 und 1858 reife
Früchte trug und seit dieser Zeit in den „technischen Vereinbarungen des
Vereins deutscher Eisenbahnverwaltungen", zu welchem Vereine die sämmtlichen
Bahnen Deutschlands, die meisten Oesterreichs und auch mehrere niederländische
und belgische gehören, zu einem Gebäude aufgeführt worden ist, welches seines¬
gleichen in der ganzen civilisirten Welt sucht und um welches uns selbst Fran¬
zosen und Engländer beneiden, die auf diesem wichtigen Gebiete der Einheit
entbehren. Hier hat es sich gezeigt, daß Fachmänner in ihrem Fache recht
bald trotz der größtmöglichen territorialen Zersplitterung der in Frage stehenden
Gebiete zu einer ersprießlichen Einheit gelangen können, wenn sie nur den red¬
lichen Willen dazu haben, und den muß man doch jedem wirklich Gebildeten
zuerkennen. Es ist das auch sehr erklärlich, ja eigentlich selbstverständlich, denn
sie beherrschen ihr Fach derart, daß sie sehr wohl Wesentliches von Unwesent¬
lichen zu unterscheiden wissen, und sowie sie dies thun, so ist auch eine Ver¬
ständigung leicht, da sie gleichzeitig auch ebensosehr im Stande sind zu über¬
sehen, wo aus allgemein fachwissenschaftlichen oder praktischen Gesichtspunkten
Liebhabereien Einzelner zulässig sind oder nicht.

Aber gerade diese Liebhabereien spielen bekanntlich bei Dilettanten eine so
große Rolle, daß darüber die eigentlich maßgebenden Gesichtspunkte zurück¬
treten müssen, und daher ist es anch gar kein Wunder, daß im Eisenbahnwesen
mit Ausnahme des technischen Gebietes bisher in Deutschland eine Einigung
nicht erreicht worden ist, denn die Techniker sind die Einzigen, die innerhalb
ihres Gebietes in den höhern Eisenbalmstellungen bisher als wirkliche Fach¬
männer auftreten konnten und aufgetreten find, während auf alleu ander» Ge-<


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/430>, abgerufen am 17.06.2024.