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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Nordarmee war Gambetta nur organisatorisch thätig, auf die Bewegungen
derselben hatte er keinen sehr wesentlichen Einfluß. So ist es denn vorzüglich
die Geschichte der ersten großen Loirearmee unter dem General d'Aurelie de
Paladines, dann die der Ostarmee Bourbaki's, welche hier betrachtet werden.
Das Resultat dieser Betrachtung ist zunächst folgendes: Der Diktator Gambetta
ist als Organisator der Heere, die er ausstellte, bewaffnete und bekleidete, be-
wundernswerth, und man muß zugeben, daß er auch für die Kriegführung im
Großen und Ganzen meist das Richtige traf. "Er erkannte die Achilles¬
ferse seiner Gegner, die numerische Schwäche, die Schwierigkeit, ihre Verluste
zu ersetzen und den Krieg in dem an Mitteln weit reicheren Feindeslande auf
lange Dauer fortzuführen. Darauf hin suchte er auch in zweckmüßiger Art
die Ausbildung und Kampfweise der Armee zu beeinflussen. Er beförderte
die Zähigkeit und Ausdauer, er drang auf Sorgfalt in dem innern kleinen
Dienste der Truppen, diesem ersten Erziehungsmittel des altpreußischen Heeres.
Er strebte darnach, die gebildeten Elemente des Volkes, gleichgiltig, welches
früher ihre Parteistellung gewesen war, in das Offizierskorps zu ziehen. Er
that viel, um die locker zusammengefügten Truppenmassen durch eine starke
und gute Artillerie zu stützen, dem zahlreichen, aber wenig brauchbaren Fu߬
volke durch eine vorzügliche Schußwaffe Bedeutung zu verleihen. Mit einem
Worte, er war groß als Kriegsminister." Er hätte sich auf das Amt des
Kriegsministers beschränken sollen, aber, indem er Alles zu können wühnte,
trachtete er auch nach dem Lorbeer des Feldherrn, und hier standen ihm seine
Fehler im Wege, Maugel an Mäßigung und weiser Selbstbeschränkung.

Es ist leicht, Armeen auf dem Papier zu leiten, wo sich dem Stifte, der
mögliche Siegeszuge zeichnet, kein Feind entgegenstellt, schwer aber im Felde,
wo der Leitende vor und mitten in den unzähligen Hindernissen steht, die ihm
Menschen und Natur bereiten. Soldaten lieben ihr Leben wie andere Leute,
sie wollen essen und trinken und werden müde. Generale scheuen die Verant¬
wortung. Schnee, Regen und schlechte Wege halten die besten Truppen auf.
Das Alles übersah Gambetta oft genug. Er meinte die Aufgabe des Feld
Herrn durch seinen Thatendrang und seinen glühenden Patriotismus lösen zu
können. Aber es bedarf dazu eines tiefen Wissens, der Charakterstärke und
der Seelengröße. Gambetta behandelte seine Generale nicht mit dem nöthigen-
Vertrauen, ließ ihnen nicht die erforderliche Freiheit. Er hatte sich bald daran
gewöhnt, an Andern nichts als Mädeben und Mutlosigkeit, in sich selbst aber
die Summe aller Gaben zu erblicken, die zum Höchsten befähigen. Eine solche
Denkart war nicht geeignet, die Wirksamkeit eines fähigen Heerführers gedeihen
zu lassen, der vielleicht der Retter der Republik hätte werden können. Allein
anch die Art, wie Gambetta als Feldherr thätig war, wie er die Operationen


Nordarmee war Gambetta nur organisatorisch thätig, auf die Bewegungen
derselben hatte er keinen sehr wesentlichen Einfluß. So ist es denn vorzüglich
die Geschichte der ersten großen Loirearmee unter dem General d'Aurelie de
Paladines, dann die der Ostarmee Bourbaki's, welche hier betrachtet werden.
Das Resultat dieser Betrachtung ist zunächst folgendes: Der Diktator Gambetta
ist als Organisator der Heere, die er ausstellte, bewaffnete und bekleidete, be-
wundernswerth, und man muß zugeben, daß er auch für die Kriegführung im
Großen und Ganzen meist das Richtige traf. „Er erkannte die Achilles¬
ferse seiner Gegner, die numerische Schwäche, die Schwierigkeit, ihre Verluste
zu ersetzen und den Krieg in dem an Mitteln weit reicheren Feindeslande auf
lange Dauer fortzuführen. Darauf hin suchte er auch in zweckmüßiger Art
die Ausbildung und Kampfweise der Armee zu beeinflussen. Er beförderte
die Zähigkeit und Ausdauer, er drang auf Sorgfalt in dem innern kleinen
Dienste der Truppen, diesem ersten Erziehungsmittel des altpreußischen Heeres.
Er strebte darnach, die gebildeten Elemente des Volkes, gleichgiltig, welches
früher ihre Parteistellung gewesen war, in das Offizierskorps zu ziehen. Er
that viel, um die locker zusammengefügten Truppenmassen durch eine starke
und gute Artillerie zu stützen, dem zahlreichen, aber wenig brauchbaren Fu߬
volke durch eine vorzügliche Schußwaffe Bedeutung zu verleihen. Mit einem
Worte, er war groß als Kriegsminister." Er hätte sich auf das Amt des
Kriegsministers beschränken sollen, aber, indem er Alles zu können wühnte,
trachtete er auch nach dem Lorbeer des Feldherrn, und hier standen ihm seine
Fehler im Wege, Maugel an Mäßigung und weiser Selbstbeschränkung.

Es ist leicht, Armeen auf dem Papier zu leiten, wo sich dem Stifte, der
mögliche Siegeszuge zeichnet, kein Feind entgegenstellt, schwer aber im Felde,
wo der Leitende vor und mitten in den unzähligen Hindernissen steht, die ihm
Menschen und Natur bereiten. Soldaten lieben ihr Leben wie andere Leute,
sie wollen essen und trinken und werden müde. Generale scheuen die Verant¬
wortung. Schnee, Regen und schlechte Wege halten die besten Truppen auf.
Das Alles übersah Gambetta oft genug. Er meinte die Aufgabe des Feld
Herrn durch seinen Thatendrang und seinen glühenden Patriotismus lösen zu
können. Aber es bedarf dazu eines tiefen Wissens, der Charakterstärke und
der Seelengröße. Gambetta behandelte seine Generale nicht mit dem nöthigen-
Vertrauen, ließ ihnen nicht die erforderliche Freiheit. Er hatte sich bald daran
gewöhnt, an Andern nichts als Mädeben und Mutlosigkeit, in sich selbst aber
die Summe aller Gaben zu erblicken, die zum Höchsten befähigen. Eine solche
Denkart war nicht geeignet, die Wirksamkeit eines fähigen Heerführers gedeihen
zu lassen, der vielleicht der Retter der Republik hätte werden können. Allein
anch die Art, wie Gambetta als Feldherr thätig war, wie er die Operationen


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[0486] Nordarmee war Gambetta nur organisatorisch thätig, auf die Bewegungen derselben hatte er keinen sehr wesentlichen Einfluß. So ist es denn vorzüglich die Geschichte der ersten großen Loirearmee unter dem General d'Aurelie de Paladines, dann die der Ostarmee Bourbaki's, welche hier betrachtet werden. Das Resultat dieser Betrachtung ist zunächst folgendes: Der Diktator Gambetta ist als Organisator der Heere, die er ausstellte, bewaffnete und bekleidete, be- wundernswerth, und man muß zugeben, daß er auch für die Kriegführung im Großen und Ganzen meist das Richtige traf. „Er erkannte die Achilles¬ ferse seiner Gegner, die numerische Schwäche, die Schwierigkeit, ihre Verluste zu ersetzen und den Krieg in dem an Mitteln weit reicheren Feindeslande auf lange Dauer fortzuführen. Darauf hin suchte er auch in zweckmüßiger Art die Ausbildung und Kampfweise der Armee zu beeinflussen. Er beförderte die Zähigkeit und Ausdauer, er drang auf Sorgfalt in dem innern kleinen Dienste der Truppen, diesem ersten Erziehungsmittel des altpreußischen Heeres. Er strebte darnach, die gebildeten Elemente des Volkes, gleichgiltig, welches früher ihre Parteistellung gewesen war, in das Offizierskorps zu ziehen. Er that viel, um die locker zusammengefügten Truppenmassen durch eine starke und gute Artillerie zu stützen, dem zahlreichen, aber wenig brauchbaren Fu߬ volke durch eine vorzügliche Schußwaffe Bedeutung zu verleihen. Mit einem Worte, er war groß als Kriegsminister." Er hätte sich auf das Amt des Kriegsministers beschränken sollen, aber, indem er Alles zu können wühnte, trachtete er auch nach dem Lorbeer des Feldherrn, und hier standen ihm seine Fehler im Wege, Maugel an Mäßigung und weiser Selbstbeschränkung. Es ist leicht, Armeen auf dem Papier zu leiten, wo sich dem Stifte, der mögliche Siegeszuge zeichnet, kein Feind entgegenstellt, schwer aber im Felde, wo der Leitende vor und mitten in den unzähligen Hindernissen steht, die ihm Menschen und Natur bereiten. Soldaten lieben ihr Leben wie andere Leute, sie wollen essen und trinken und werden müde. Generale scheuen die Verant¬ wortung. Schnee, Regen und schlechte Wege halten die besten Truppen auf. Das Alles übersah Gambetta oft genug. Er meinte die Aufgabe des Feld Herrn durch seinen Thatendrang und seinen glühenden Patriotismus lösen zu können. Aber es bedarf dazu eines tiefen Wissens, der Charakterstärke und der Seelengröße. Gambetta behandelte seine Generale nicht mit dem nöthigen- Vertrauen, ließ ihnen nicht die erforderliche Freiheit. Er hatte sich bald daran gewöhnt, an Andern nichts als Mädeben und Mutlosigkeit, in sich selbst aber die Summe aller Gaben zu erblicken, die zum Höchsten befähigen. Eine solche Denkart war nicht geeignet, die Wirksamkeit eines fähigen Heerführers gedeihen zu lassen, der vielleicht der Retter der Republik hätte werden können. Allein anch die Art, wie Gambetta als Feldherr thätig war, wie er die Operationen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/486>, abgerufen am 17.06.2024.