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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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zu einer politischen Existenz gelangen, er brauche es als Bollwerk gegen Ru߬
land; ja er deutete an, daß er unter Umständen bereit sei, Westfalen und ein
Stück von Warschau an Preußen zu geben. Für die finanziellen Forderungen
Preußens war der Kaiser auch jetzt natürlich taub, er verwies den Gesandten
dafür an Bassano*). Fürst Hatzfeldt konnte daran anknüpfen. Vom Kaiser
in der schmeichelhaftesten Weise empfangen (29. Januar), betonte er doch dessen
Forderungen gegenüber (Erneuerung des Kontingents, Abberufung des preußi¬
schen Gesandten aus Stockholm, keine Souderverhandlungen mit Rußland),
indem er nnr die Gewährung der zweiten zugestand, die dritte nachdrücklichst
als gänzlich ungegründet zurückwies**): das Land sei so erschöpft, daß neue
Forderungen es zum Aufstande treiben würden, die Erbitterung ungeheuer,
Deutschland in tiefster Erregung. Wenn Napolon nicht wenigstens siebenund-
zwanzig bis dreißig Millionen Francs zurückzahle, so sei Preußen nicht im
Stande, bei dem französischen Systeme zu bleiben.***) Man sollte meinen,
Napoleon habe bei diesen ernsten Vorstellungen eines aufrichtigen An¬
hängers seiner Politik nachdenklich, nachgiebig werden müssen; aber er meinte,
die beginnende Empörung noch niederzwingen zu können mit seinem Genie
und seinen Legionen: kurz darauf wies er den Vicekönig Eugen, der an Mnrats
Stelle das Kommando übernommen, an, für die preußischen von Franzosen
besetzten Festungen alles Nothwendige im Umkreise zu requiriren, und traf An¬
ordnungen, seine Corps zwischen Elbe und Oder zu konzentriren; er selbst
wollte nach Spandau gehen; Alles offenbar zur Erneuerung seines russischen
Feldzuges-f).

Auf sein offizielles Verhältniß zu Preußen hat also die Konvention Yorks
keinen Einfluß geübt, über die wahren Absichten der königl. Regierung ließ
er sich täuschen. Ging ja doch auch das begonnene Doppelspiel seinen Gang.
Auf Se. Marsans Drängen wurden noch am 19. Januar die Befehle gegen
Nork in den Berliner Zeitungen publizirt, ein Brief des Vicekönigs an Kleist
zur Beförderung übernommen. Gleichzeitig freilich ging Major v. Thile an
N°rk ab mit offiziellen Nachrichten über die Absichten der Regierung; ihm
gegenüber also behandelte man jene Maßregeln als gar nicht verfügt ff). In¬
zwischen freilich nahmen die Verhältnisse in der unmittelbaren Umgebung des
Königs beinahe den Charakter einer feindseligen Spannung an durch die all¬
gemein geglaubte Kunde, Augereau beabsichtige, sich der Person des Monarchen







*) Duncker 476 f. Oncken 8S. 89 ff. Häußer 61 f.
**
) In gutem Glauben, denn er wußte von nichts. Gerade in der Auswahl seiner
Vertreter hat damals Hardenberg großes Geschick bewiesen.
*
**) Duncker 478 f. Oncken "4 ff.
f) Duncker 479 ff.
"
1t) Duncker 433.

zu einer politischen Existenz gelangen, er brauche es als Bollwerk gegen Ru߬
land; ja er deutete an, daß er unter Umständen bereit sei, Westfalen und ein
Stück von Warschau an Preußen zu geben. Für die finanziellen Forderungen
Preußens war der Kaiser auch jetzt natürlich taub, er verwies den Gesandten
dafür an Bassano*). Fürst Hatzfeldt konnte daran anknüpfen. Vom Kaiser
in der schmeichelhaftesten Weise empfangen (29. Januar), betonte er doch dessen
Forderungen gegenüber (Erneuerung des Kontingents, Abberufung des preußi¬
schen Gesandten aus Stockholm, keine Souderverhandlungen mit Rußland),
indem er nnr die Gewährung der zweiten zugestand, die dritte nachdrücklichst
als gänzlich ungegründet zurückwies**): das Land sei so erschöpft, daß neue
Forderungen es zum Aufstande treiben würden, die Erbitterung ungeheuer,
Deutschland in tiefster Erregung. Wenn Napolon nicht wenigstens siebenund-
zwanzig bis dreißig Millionen Francs zurückzahle, so sei Preußen nicht im
Stande, bei dem französischen Systeme zu bleiben.***) Man sollte meinen,
Napoleon habe bei diesen ernsten Vorstellungen eines aufrichtigen An¬
hängers seiner Politik nachdenklich, nachgiebig werden müssen; aber er meinte,
die beginnende Empörung noch niederzwingen zu können mit seinem Genie
und seinen Legionen: kurz darauf wies er den Vicekönig Eugen, der an Mnrats
Stelle das Kommando übernommen, an, für die preußischen von Franzosen
besetzten Festungen alles Nothwendige im Umkreise zu requiriren, und traf An¬
ordnungen, seine Corps zwischen Elbe und Oder zu konzentriren; er selbst
wollte nach Spandau gehen; Alles offenbar zur Erneuerung seines russischen
Feldzuges-f).

Auf sein offizielles Verhältniß zu Preußen hat also die Konvention Yorks
keinen Einfluß geübt, über die wahren Absichten der königl. Regierung ließ
er sich täuschen. Ging ja doch auch das begonnene Doppelspiel seinen Gang.
Auf Se. Marsans Drängen wurden noch am 19. Januar die Befehle gegen
Nork in den Berliner Zeitungen publizirt, ein Brief des Vicekönigs an Kleist
zur Beförderung übernommen. Gleichzeitig freilich ging Major v. Thile an
N°rk ab mit offiziellen Nachrichten über die Absichten der Regierung; ihm
gegenüber also behandelte man jene Maßregeln als gar nicht verfügt ff). In¬
zwischen freilich nahmen die Verhältnisse in der unmittelbaren Umgebung des
Königs beinahe den Charakter einer feindseligen Spannung an durch die all¬
gemein geglaubte Kunde, Augereau beabsichtige, sich der Person des Monarchen







*) Duncker 476 f. Oncken 8S. 89 ff. Häußer 61 f.
**
) In gutem Glauben, denn er wußte von nichts. Gerade in der Auswahl seiner
Vertreter hat damals Hardenberg großes Geschick bewiesen.
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f) Duncker 479 ff.
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[0065] zu einer politischen Existenz gelangen, er brauche es als Bollwerk gegen Ru߬ land; ja er deutete an, daß er unter Umständen bereit sei, Westfalen und ein Stück von Warschau an Preußen zu geben. Für die finanziellen Forderungen Preußens war der Kaiser auch jetzt natürlich taub, er verwies den Gesandten dafür an Bassano*). Fürst Hatzfeldt konnte daran anknüpfen. Vom Kaiser in der schmeichelhaftesten Weise empfangen (29. Januar), betonte er doch dessen Forderungen gegenüber (Erneuerung des Kontingents, Abberufung des preußi¬ schen Gesandten aus Stockholm, keine Souderverhandlungen mit Rußland), indem er nnr die Gewährung der zweiten zugestand, die dritte nachdrücklichst als gänzlich ungegründet zurückwies**): das Land sei so erschöpft, daß neue Forderungen es zum Aufstande treiben würden, die Erbitterung ungeheuer, Deutschland in tiefster Erregung. Wenn Napolon nicht wenigstens siebenund- zwanzig bis dreißig Millionen Francs zurückzahle, so sei Preußen nicht im Stande, bei dem französischen Systeme zu bleiben.***) Man sollte meinen, Napoleon habe bei diesen ernsten Vorstellungen eines aufrichtigen An¬ hängers seiner Politik nachdenklich, nachgiebig werden müssen; aber er meinte, die beginnende Empörung noch niederzwingen zu können mit seinem Genie und seinen Legionen: kurz darauf wies er den Vicekönig Eugen, der an Mnrats Stelle das Kommando übernommen, an, für die preußischen von Franzosen besetzten Festungen alles Nothwendige im Umkreise zu requiriren, und traf An¬ ordnungen, seine Corps zwischen Elbe und Oder zu konzentriren; er selbst wollte nach Spandau gehen; Alles offenbar zur Erneuerung seines russischen Feldzuges-f). Auf sein offizielles Verhältniß zu Preußen hat also die Konvention Yorks keinen Einfluß geübt, über die wahren Absichten der königl. Regierung ließ er sich täuschen. Ging ja doch auch das begonnene Doppelspiel seinen Gang. Auf Se. Marsans Drängen wurden noch am 19. Januar die Befehle gegen Nork in den Berliner Zeitungen publizirt, ein Brief des Vicekönigs an Kleist zur Beförderung übernommen. Gleichzeitig freilich ging Major v. Thile an N°rk ab mit offiziellen Nachrichten über die Absichten der Regierung; ihm gegenüber also behandelte man jene Maßregeln als gar nicht verfügt ff). In¬ zwischen freilich nahmen die Verhältnisse in der unmittelbaren Umgebung des Königs beinahe den Charakter einer feindseligen Spannung an durch die all¬ gemein geglaubte Kunde, Augereau beabsichtige, sich der Person des Monarchen *) Duncker 476 f. Oncken 8S. 89 ff. Häußer 61 f. ** ) In gutem Glauben, denn er wußte von nichts. Gerade in der Auswahl seiner Vertreter hat damals Hardenberg großes Geschick bewiesen. * **) Duncker 478 f. Oncken »4 ff. f) Duncker 479 ff. " 1t) Duncker 433.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/65>, abgerufen am 09.06.2024.