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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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gewahrt werden soll; der zweite garantirte Preußen besonders noch Ostpreußen
und eine" Landstrich, welcher diese Provinz territorial mit Schlesien verbinde. *)
So verzichtete Preußen allerdings auf seinen polnischen Besitz zum allergrößten
Theile und ließ sich auf die Entschädigung durch erst zu erobernde Gebiets¬
theile des nördlichen Deutschlands anweisen. Das war gewiß unsicher, aber
um eineir geringeren Preis war die russische Hilfe uicht zu haben**), und sollte
man in der That diese unwiederbringliche Gelegenheit zur Erhebung aus tiefer
Ohnmacht verscherzen um einiger polnischer Fetzen willen? So stciud es doch
nicht, daß Preußen die Wahl noch gehabt hätte: zu Frankreich konnte es
nicht zurück, es blieb uur der Anschluß an Rußland, wenn auch um einen
hohen Preis. Nicht einzelne Männer trifft die Schuld dieses Abschlusses,
wenn von einer solchen überhaupt die Rede sein kann, sondern die ganze Lage.
Und spätere Geschlechter haben die Stunde gesegnet, welche entschied, daß
Preußen, indem es die weiten Slawenlande des Ostens aufgab, ein ganz deutscher
Staat werden und ganz Norddeutschland durchwachsen sollte.***)

Wir brechen hier ab. Selbst diese gedrängte Darstellung wird aber, so
hoffen wir, gezeigt haben, wie viel Neues aus den besprochenen Publikationen
sich für diese Zeit ergibt, wie vielfach das Urtheil über Verhältnisse und
Personen festgestellt, geändert, geläutert wird. Möchten die in Aussicht gestellten
Veröffentlichungen ans dem preußischen Staatsarchiv und die weitere Be¬
nutzung der Wiener Archive, die Oncken besonders zu seiner Aufgabe gemacht
hat, bald einem Nachfolger Ludwig Häußers gestatten, die Geschichte dieser
einzigen Zeit in größerer Fülle und schürferer Beleuchtung zu erzählen, als es
dem treuen Patrioten und trefflichen Historiker vergönnt gewesen ist!







*) Oncken 269 f, Duncker 497 f.
**) Höchstens hätte man, wie Lebzeltern später meinte (Oncken 278), eine bestimmtere
Fassung des Artikels über jenen polnischen Landstrich erlangen können, wenn man nämlich
die militärische Schwäche Rußlands besser übersehen hätte.en
***) Der Vertrag ist gezeichnet zu Breslau 27. Februar, zu Knlisch 28, Februar. Onck
262 f. Ich kauu auch Oncken darin nicht ganz Recht geben, daß er meint, Preußen habe
Warschau als Tauschobjekt fordern sollen, mit Norbchaltuug seiner Einräumung an Ru߬
land, sobald es in Deutschland entschädigt sei. S. 283. Nesselrode hat später'Lcbzcltcr"
gegenüber betont, die Rücksicht ans die Armee (vor allem auf die starke Militnrpartci) habe
die Einräumung Warschaus unmöglich gemacht. Oncken 277. Und damals hätte man dieser
Armee zumuthen solle", das eroberte Land vor preußischen Garnisonen zu räumen? Ueber
das Ganze Häußer IV 62 f., ohne den Kern der Differenz zu treffen.

gewahrt werden soll; der zweite garantirte Preußen besonders noch Ostpreußen
und eine» Landstrich, welcher diese Provinz territorial mit Schlesien verbinde. *)
So verzichtete Preußen allerdings auf seinen polnischen Besitz zum allergrößten
Theile und ließ sich auf die Entschädigung durch erst zu erobernde Gebiets¬
theile des nördlichen Deutschlands anweisen. Das war gewiß unsicher, aber
um eineir geringeren Preis war die russische Hilfe uicht zu haben**), und sollte
man in der That diese unwiederbringliche Gelegenheit zur Erhebung aus tiefer
Ohnmacht verscherzen um einiger polnischer Fetzen willen? So stciud es doch
nicht, daß Preußen die Wahl noch gehabt hätte: zu Frankreich konnte es
nicht zurück, es blieb uur der Anschluß an Rußland, wenn auch um einen
hohen Preis. Nicht einzelne Männer trifft die Schuld dieses Abschlusses,
wenn von einer solchen überhaupt die Rede sein kann, sondern die ganze Lage.
Und spätere Geschlechter haben die Stunde gesegnet, welche entschied, daß
Preußen, indem es die weiten Slawenlande des Ostens aufgab, ein ganz deutscher
Staat werden und ganz Norddeutschland durchwachsen sollte.***)

Wir brechen hier ab. Selbst diese gedrängte Darstellung wird aber, so
hoffen wir, gezeigt haben, wie viel Neues aus den besprochenen Publikationen
sich für diese Zeit ergibt, wie vielfach das Urtheil über Verhältnisse und
Personen festgestellt, geändert, geläutert wird. Möchten die in Aussicht gestellten
Veröffentlichungen ans dem preußischen Staatsarchiv und die weitere Be¬
nutzung der Wiener Archive, die Oncken besonders zu seiner Aufgabe gemacht
hat, bald einem Nachfolger Ludwig Häußers gestatten, die Geschichte dieser
einzigen Zeit in größerer Fülle und schürferer Beleuchtung zu erzählen, als es
dem treuen Patrioten und trefflichen Historiker vergönnt gewesen ist!







*) Oncken 269 f, Duncker 497 f.
**) Höchstens hätte man, wie Lebzeltern später meinte (Oncken 278), eine bestimmtere
Fassung des Artikels über jenen polnischen Landstrich erlangen können, wenn man nämlich
die militärische Schwäche Rußlands besser übersehen hätte.en
***) Der Vertrag ist gezeichnet zu Breslau 27. Februar, zu Knlisch 28, Februar. Onck
262 f. Ich kauu auch Oncken darin nicht ganz Recht geben, daß er meint, Preußen habe
Warschau als Tauschobjekt fordern sollen, mit Norbchaltuug seiner Einräumung an Ru߬
land, sobald es in Deutschland entschädigt sei. S. 283. Nesselrode hat später'Lcbzcltcr»
gegenüber betont, die Rücksicht ans die Armee (vor allem auf die starke Militnrpartci) habe
die Einräumung Warschaus unmöglich gemacht. Oncken 277. Und damals hätte man dieser
Armee zumuthen solle», das eroberte Land vor preußischen Garnisonen zu räumen? Ueber
das Ganze Häußer IV 62 f., ohne den Kern der Differenz zu treffen.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/74>, abgerufen am 17.06.2024.