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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

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Der Wortlaut dieser Bestimmung, so führen die "Motive" aus, hat die Recht¬
sprechung genöthigt, dem die Kostenerstattung begehrenden Ortsarmenverbande
den Beweis der Negative aufzuerlegen, daß ein Untersttttzungswohnsitz nicht
vorhanden ist. Dies zu beweisen, ist stets schwierig, hänfig unmöglich, besonders
wenn es sich um unbekannte verstorbene Personen handelt, oder -- setzen wir
hinzu -- um Personen, bezüglich derer der speziellen Umstände wegen sich
durchaus nichts feststellen läßt, wie z. B. bei ausgesetzten neugeborenen Kindern,
aufgegriffenen Taubstummen, Blödsinnigen und dergl. In all' solchen Fällen
hat das Bundesamt für das Heimatwesen bis auf die neueste Zeit in ständiger
Judikatur den Grundsatz festgehalten, daß die Erstattungspflicht der Landarmen¬
verbände von dem Nachweise abhängig sei, daß ein Unterstützungswohnsitz fehle,
und daß der Ersatz fordernde Ortsarmenverband diesen Nachweis zu liefern
habe. Ist dieser Nachweis nicht zu liefern, wie z. B. bei neugeborenen Kindern,
bei Blödsinnigen, so bleibt der Ortsarmenverbaud, innerhalb dessen Bezirk die
Uttterstütznngsbedürftigkeit hervorgetreten ist, endgiltig unterstütznngspflichtig.
Diese von der Judikatnr angenommene Auslegung scheint in der That -- so
erläutern die "Motive" weiter - mit der Absicht des Gesetzes nicht in Einklang
zu stehen, denn indem das Gesetz die Pflicht zur öffentlichen Unterstützung
Hilfsbedürftiger, je nachdem dieselben einen Unterstützungswohnsitz besitzen oder
uicht, zwischen den Ortsarmenverbänden und den Landarmenverbänden vertheilt
und den letzteren insoweit auferlegt, als kein Ortsarmeuverband diese Last
wdgiltig zu tragen verpflichtet ist, bezweckt es offenbar, die endgiltige Ver¬
pflichtung der Ortsarmenverbände auf diesem Gebiete nnr zu solchen Leistungen
SU begründen, welche aus dem Vorhandensein eines Unterstützungswohusitzes
sich ergeben. In den übrigen Füllen sind die Leistungen der Ortsarmeuver-
bände uur vorläufige und entweder durch den Ortsarmeuverband des Unter-
stützungsivohnsitzes oder den gesetzlich dazu berufenen Landarmenverband zu
^statten, so daß jede bleibende Belastung eines Ortsarmenverbandes mit Kosten
von ihm nnr vorläufig geleisteten Unterstützungen als ein vom Gesetzgeber
uicht beabsichtigter Erfolg sich darstellt.

Es wird sich gegen diese Deduktion an und für sich ein Einwand nicht
Theben lassen. Nur wäre unseres Erachtens anch die Frage in's Auge zu
fassen, ob der Betreffende, dessen persönliche Verhältnisse sich in Bezug auf
fehlenden oder vorhandenen Unterstützungswohnsitz nicht feststellen lassen, über¬
haupt dem Geltungsbereich des Unterstützungswohnsitzgesetzes angehört oder ob
er Ausländer ist. Nur wenn der Unterstützte dem Geltungsbereich des Unter-
stützungswvhusitzgcsetzes angehört, ist der Landarmenverband ersatzpflichtig
30 d), andernfalls kommt die Ersatzpflicht dem Staat zu, welchem der Orts¬
armeuverband der vorläufigen Unterstützung angehört (s 60).


Der Wortlaut dieser Bestimmung, so führen die „Motive" aus, hat die Recht¬
sprechung genöthigt, dem die Kostenerstattung begehrenden Ortsarmenverbande
den Beweis der Negative aufzuerlegen, daß ein Untersttttzungswohnsitz nicht
vorhanden ist. Dies zu beweisen, ist stets schwierig, hänfig unmöglich, besonders
wenn es sich um unbekannte verstorbene Personen handelt, oder — setzen wir
hinzu — um Personen, bezüglich derer der speziellen Umstände wegen sich
durchaus nichts feststellen läßt, wie z. B. bei ausgesetzten neugeborenen Kindern,
aufgegriffenen Taubstummen, Blödsinnigen und dergl. In all' solchen Fällen
hat das Bundesamt für das Heimatwesen bis auf die neueste Zeit in ständiger
Judikatur den Grundsatz festgehalten, daß die Erstattungspflicht der Landarmen¬
verbände von dem Nachweise abhängig sei, daß ein Unterstützungswohnsitz fehle,
und daß der Ersatz fordernde Ortsarmenverband diesen Nachweis zu liefern
habe. Ist dieser Nachweis nicht zu liefern, wie z. B. bei neugeborenen Kindern,
bei Blödsinnigen, so bleibt der Ortsarmenverbaud, innerhalb dessen Bezirk die
Uttterstütznngsbedürftigkeit hervorgetreten ist, endgiltig unterstütznngspflichtig.
Diese von der Judikatnr angenommene Auslegung scheint in der That — so
erläutern die „Motive" weiter - mit der Absicht des Gesetzes nicht in Einklang
zu stehen, denn indem das Gesetz die Pflicht zur öffentlichen Unterstützung
Hilfsbedürftiger, je nachdem dieselben einen Unterstützungswohnsitz besitzen oder
uicht, zwischen den Ortsarmenverbänden und den Landarmenverbänden vertheilt
und den letzteren insoweit auferlegt, als kein Ortsarmeuverband diese Last
wdgiltig zu tragen verpflichtet ist, bezweckt es offenbar, die endgiltige Ver¬
pflichtung der Ortsarmenverbände auf diesem Gebiete nnr zu solchen Leistungen
SU begründen, welche aus dem Vorhandensein eines Unterstützungswohusitzes
sich ergeben. In den übrigen Füllen sind die Leistungen der Ortsarmeuver-
bände uur vorläufige und entweder durch den Ortsarmeuverband des Unter-
stützungsivohnsitzes oder den gesetzlich dazu berufenen Landarmenverband zu
^statten, so daß jede bleibende Belastung eines Ortsarmenverbandes mit Kosten
von ihm nnr vorläufig geleisteten Unterstützungen als ein vom Gesetzgeber
uicht beabsichtigter Erfolg sich darstellt.

Es wird sich gegen diese Deduktion an und für sich ein Einwand nicht
Theben lassen. Nur wäre unseres Erachtens anch die Frage in's Auge zu
fassen, ob der Betreffende, dessen persönliche Verhältnisse sich in Bezug auf
fehlenden oder vorhandenen Unterstützungswohnsitz nicht feststellen lassen, über¬
haupt dem Geltungsbereich des Unterstützungswohnsitzgesetzes angehört oder ob
er Ausländer ist. Nur wenn der Unterstützte dem Geltungsbereich des Unter-
stützungswvhusitzgcsetzes angehört, ist der Landarmenverband ersatzpflichtig
30 d), andernfalls kommt die Ersatzpflicht dem Staat zu, welchem der Orts¬
armeuverband der vorläufigen Unterstützung angehört (s 60).


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[0111] Der Wortlaut dieser Bestimmung, so führen die „Motive" aus, hat die Recht¬ sprechung genöthigt, dem die Kostenerstattung begehrenden Ortsarmenverbande den Beweis der Negative aufzuerlegen, daß ein Untersttttzungswohnsitz nicht vorhanden ist. Dies zu beweisen, ist stets schwierig, hänfig unmöglich, besonders wenn es sich um unbekannte verstorbene Personen handelt, oder — setzen wir hinzu — um Personen, bezüglich derer der speziellen Umstände wegen sich durchaus nichts feststellen läßt, wie z. B. bei ausgesetzten neugeborenen Kindern, aufgegriffenen Taubstummen, Blödsinnigen und dergl. In all' solchen Fällen hat das Bundesamt für das Heimatwesen bis auf die neueste Zeit in ständiger Judikatur den Grundsatz festgehalten, daß die Erstattungspflicht der Landarmen¬ verbände von dem Nachweise abhängig sei, daß ein Unterstützungswohnsitz fehle, und daß der Ersatz fordernde Ortsarmenverband diesen Nachweis zu liefern habe. Ist dieser Nachweis nicht zu liefern, wie z. B. bei neugeborenen Kindern, bei Blödsinnigen, so bleibt der Ortsarmenverbaud, innerhalb dessen Bezirk die Uttterstütznngsbedürftigkeit hervorgetreten ist, endgiltig unterstütznngspflichtig. Diese von der Judikatnr angenommene Auslegung scheint in der That — so erläutern die „Motive" weiter - mit der Absicht des Gesetzes nicht in Einklang zu stehen, denn indem das Gesetz die Pflicht zur öffentlichen Unterstützung Hilfsbedürftiger, je nachdem dieselben einen Unterstützungswohnsitz besitzen oder uicht, zwischen den Ortsarmenverbänden und den Landarmenverbänden vertheilt und den letzteren insoweit auferlegt, als kein Ortsarmeuverband diese Last wdgiltig zu tragen verpflichtet ist, bezweckt es offenbar, die endgiltige Ver¬ pflichtung der Ortsarmenverbände auf diesem Gebiete nnr zu solchen Leistungen SU begründen, welche aus dem Vorhandensein eines Unterstützungswohusitzes sich ergeben. In den übrigen Füllen sind die Leistungen der Ortsarmeuver- bände uur vorläufige und entweder durch den Ortsarmeuverband des Unter- stützungsivohnsitzes oder den gesetzlich dazu berufenen Landarmenverband zu ^statten, so daß jede bleibende Belastung eines Ortsarmenverbandes mit Kosten von ihm nnr vorläufig geleisteten Unterstützungen als ein vom Gesetzgeber uicht beabsichtigter Erfolg sich darstellt. Es wird sich gegen diese Deduktion an und für sich ein Einwand nicht Theben lassen. Nur wäre unseres Erachtens anch die Frage in's Auge zu fassen, ob der Betreffende, dessen persönliche Verhältnisse sich in Bezug auf fehlenden oder vorhandenen Unterstützungswohnsitz nicht feststellen lassen, über¬ haupt dem Geltungsbereich des Unterstützungswohnsitzgesetzes angehört oder ob er Ausländer ist. Nur wenn der Unterstützte dem Geltungsbereich des Unter- stützungswvhusitzgcsetzes angehört, ist der Landarmenverband ersatzpflichtig 30 d), andernfalls kommt die Ersatzpflicht dem Staat zu, welchem der Orts¬ armeuverband der vorläufigen Unterstützung angehört (s 60).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/111>, abgerufen am 18.05.2024.