Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Bahre der Getödteten bricht der Schmerz des jungen Mannes in den tiefsten
Naturlauten aus. Rache an dem Urheber der That ist schließlich der einzige
klare Gedanke in dem Chaos seiner Gefühle. Die Rache aber, wie er sie
fordern will, mit dem Schwerte, suchen Alle ihm auszureden: Getön, den er
als Kuppler zurückstößt, Melitta, größer als je in ihrem gefaßten Schmerz
über den harten Rathschluß der Götter, die Ephoren selbst, die den König
rein erklären von dem Verbrechen des Mordes, absichtlicher Tödtung. Aber
sie ergreifen begierig die trotz alledem unerloschene Rachelust des jungen Krie¬
gers. Nur leiten sie sie in andere Bahnen. Chares soll der Verräther des
Verräthers werden, den Brief ausliefern, den er von Xerxes zur Antwort an
Pausanias bringt. Treu und Ehre sträuben sich in ihm dagegen. Der Ge¬
danke, daß Pauscinias, wenn er unschuldig sei, in dem Briefe den besten Beweis
seiner Unschuld besitze, veranlaßt ihn schließlich zur Auslieferung. Begierig
erbrechen die Ephoren das königliche Siegel und entnehmen dem Schreiben,
daß Pauscinias auf seinen Wunsch der Eidam des Perserserkönigs werden soll-
Ueber seine eigentlichen Plane aber spricht der Brief nnr in Andeutungen.
Es gilt, auch diese zu erkunden. Man kommt überein, daß Chares hierüber
den König vertraulich ausforschen soll, nachdem er ihm den Brief des Xerxes,
wieder verschlossen, eingehändigt. Die Ephoren sollen ihren König dabei be¬
lauschen. Melitta gibt das Versteck dazu her, das Gemach, in dem ihrer
Tochter Blut geflossen, das der König seit der unglücklichen That nicht mehr
betreten mag. So unwahrscheinlich die Szene, so abgenutzt das Motiv des Be-
lauschens erscheint, historisch steht fest, daß nur durch diese List die Ueber¬
führung des Pausanias gelang. Wir sehen die Szene vor uns sich abspielen.
Pausanias, entzückt und überströmend in Worten und Gefühlen, enthüllt die
ganze Größe und Gefährlichkeit seiner Pläne: er hat schon von Artabazos,
dem Satrapen in Bithynien viele Kisten Goldes erhalten und damit "manchen
Freund sich schon gemacht." Truppen und Schiffe von Xerxes sind schon
unterwegs, um das Bündniß zu bethätigen. Der Perserkönig soll zum Ober¬
herrn von Sparta, von Hellas, ganz Enropa werden. Aber der stolze König
will dafür sorgen, daß der Name nur ein Name bleibe. Als Chares fragt,
ob der König nicht fürchte, daß der junge Krieger sein Geheimniß verrathen
könne und der König ihm stolz entgegnet: Alles sei ohne Zeugen vorgegangen,
treten die Ephoren und die Eltern des Mädchens von Byzanz aus ihrem
Versteck hervor.

Die Tragödie naht sich ihrem Ende. Als der letzte Akt beginnt, ist Pau¬
sanias bereits dem Verschmachten nahe, im Tempel der Athene eingemauert.
Die Ephoren erzählen sich, daß seine Mutter den ersten Stein herbeitrug, um
dem Volk zu zeigen, was es thun solle. Nun aber, da das Ende des Königs


Bahre der Getödteten bricht der Schmerz des jungen Mannes in den tiefsten
Naturlauten aus. Rache an dem Urheber der That ist schließlich der einzige
klare Gedanke in dem Chaos seiner Gefühle. Die Rache aber, wie er sie
fordern will, mit dem Schwerte, suchen Alle ihm auszureden: Getön, den er
als Kuppler zurückstößt, Melitta, größer als je in ihrem gefaßten Schmerz
über den harten Rathschluß der Götter, die Ephoren selbst, die den König
rein erklären von dem Verbrechen des Mordes, absichtlicher Tödtung. Aber
sie ergreifen begierig die trotz alledem unerloschene Rachelust des jungen Krie¬
gers. Nur leiten sie sie in andere Bahnen. Chares soll der Verräther des
Verräthers werden, den Brief ausliefern, den er von Xerxes zur Antwort an
Pausanias bringt. Treu und Ehre sträuben sich in ihm dagegen. Der Ge¬
danke, daß Pauscinias, wenn er unschuldig sei, in dem Briefe den besten Beweis
seiner Unschuld besitze, veranlaßt ihn schließlich zur Auslieferung. Begierig
erbrechen die Ephoren das königliche Siegel und entnehmen dem Schreiben,
daß Pauscinias auf seinen Wunsch der Eidam des Perserserkönigs werden soll-
Ueber seine eigentlichen Plane aber spricht der Brief nnr in Andeutungen.
Es gilt, auch diese zu erkunden. Man kommt überein, daß Chares hierüber
den König vertraulich ausforschen soll, nachdem er ihm den Brief des Xerxes,
wieder verschlossen, eingehändigt. Die Ephoren sollen ihren König dabei be¬
lauschen. Melitta gibt das Versteck dazu her, das Gemach, in dem ihrer
Tochter Blut geflossen, das der König seit der unglücklichen That nicht mehr
betreten mag. So unwahrscheinlich die Szene, so abgenutzt das Motiv des Be-
lauschens erscheint, historisch steht fest, daß nur durch diese List die Ueber¬
führung des Pausanias gelang. Wir sehen die Szene vor uns sich abspielen.
Pausanias, entzückt und überströmend in Worten und Gefühlen, enthüllt die
ganze Größe und Gefährlichkeit seiner Pläne: er hat schon von Artabazos,
dem Satrapen in Bithynien viele Kisten Goldes erhalten und damit „manchen
Freund sich schon gemacht." Truppen und Schiffe von Xerxes sind schon
unterwegs, um das Bündniß zu bethätigen. Der Perserkönig soll zum Ober¬
herrn von Sparta, von Hellas, ganz Enropa werden. Aber der stolze König
will dafür sorgen, daß der Name nur ein Name bleibe. Als Chares fragt,
ob der König nicht fürchte, daß der junge Krieger sein Geheimniß verrathen
könne und der König ihm stolz entgegnet: Alles sei ohne Zeugen vorgegangen,
treten die Ephoren und die Eltern des Mädchens von Byzanz aus ihrem
Versteck hervor.

Die Tragödie naht sich ihrem Ende. Als der letzte Akt beginnt, ist Pau¬
sanias bereits dem Verschmachten nahe, im Tempel der Athene eingemauert.
Die Ephoren erzählen sich, daß seine Mutter den ersten Stein herbeitrug, um
dem Volk zu zeigen, was es thun solle. Nun aber, da das Ende des Königs


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0362" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139121"/>
          <p xml:id="ID_1055" prev="#ID_1054"> Bahre der Getödteten bricht der Schmerz des jungen Mannes in den tiefsten<lb/>
Naturlauten aus. Rache an dem Urheber der That ist schließlich der einzige<lb/>
klare Gedanke in dem Chaos seiner Gefühle. Die Rache aber, wie er sie<lb/>
fordern will, mit dem Schwerte, suchen Alle ihm auszureden: Getön, den er<lb/>
als Kuppler zurückstößt, Melitta, größer als je in ihrem gefaßten Schmerz<lb/>
über den harten Rathschluß der Götter, die Ephoren selbst, die den König<lb/>
rein erklären von dem Verbrechen des Mordes, absichtlicher Tödtung. Aber<lb/>
sie ergreifen begierig die trotz alledem unerloschene Rachelust des jungen Krie¬<lb/>
gers. Nur leiten sie sie in andere Bahnen. Chares soll der Verräther des<lb/>
Verräthers werden, den Brief ausliefern, den er von Xerxes zur Antwort an<lb/>
Pausanias bringt. Treu und Ehre sträuben sich in ihm dagegen. Der Ge¬<lb/>
danke, daß Pauscinias, wenn er unschuldig sei, in dem Briefe den besten Beweis<lb/>
seiner Unschuld besitze, veranlaßt ihn schließlich zur Auslieferung. Begierig<lb/>
erbrechen die Ephoren das königliche Siegel und entnehmen dem Schreiben,<lb/>
daß Pauscinias auf seinen Wunsch der Eidam des Perserserkönigs werden soll-<lb/>
Ueber seine eigentlichen Plane aber spricht der Brief nnr in Andeutungen.<lb/>
Es gilt, auch diese zu erkunden. Man kommt überein, daß Chares hierüber<lb/>
den König vertraulich ausforschen soll, nachdem er ihm den Brief des Xerxes,<lb/>
wieder verschlossen, eingehändigt. Die Ephoren sollen ihren König dabei be¬<lb/>
lauschen. Melitta gibt das Versteck dazu her, das Gemach, in dem ihrer<lb/>
Tochter Blut geflossen, das der König seit der unglücklichen That nicht mehr<lb/>
betreten mag. So unwahrscheinlich die Szene, so abgenutzt das Motiv des Be-<lb/>
lauschens erscheint, historisch steht fest, daß nur durch diese List die Ueber¬<lb/>
führung des Pausanias gelang. Wir sehen die Szene vor uns sich abspielen.<lb/>
Pausanias, entzückt und überströmend in Worten und Gefühlen, enthüllt die<lb/>
ganze Größe und Gefährlichkeit seiner Pläne: er hat schon von Artabazos,<lb/>
dem Satrapen in Bithynien viele Kisten Goldes erhalten und damit &#x201E;manchen<lb/>
Freund sich schon gemacht." Truppen und Schiffe von Xerxes sind schon<lb/>
unterwegs, um das Bündniß zu bethätigen. Der Perserkönig soll zum Ober¬<lb/>
herrn von Sparta, von Hellas, ganz Enropa werden. Aber der stolze König<lb/>
will dafür sorgen, daß der Name nur ein Name bleibe. Als Chares fragt,<lb/>
ob der König nicht fürchte, daß der junge Krieger sein Geheimniß verrathen<lb/>
könne und der König ihm stolz entgegnet: Alles sei ohne Zeugen vorgegangen,<lb/>
treten die Ephoren und die Eltern des Mädchens von Byzanz aus ihrem<lb/>
Versteck hervor.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1056" next="#ID_1057"> Die Tragödie naht sich ihrem Ende. Als der letzte Akt beginnt, ist Pau¬<lb/>
sanias bereits dem Verschmachten nahe, im Tempel der Athene eingemauert.<lb/>
Die Ephoren erzählen sich, daß seine Mutter den ersten Stein herbeitrug, um<lb/>
dem Volk zu zeigen, was es thun solle. Nun aber, da das Ende des Königs</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0362] Bahre der Getödteten bricht der Schmerz des jungen Mannes in den tiefsten Naturlauten aus. Rache an dem Urheber der That ist schließlich der einzige klare Gedanke in dem Chaos seiner Gefühle. Die Rache aber, wie er sie fordern will, mit dem Schwerte, suchen Alle ihm auszureden: Getön, den er als Kuppler zurückstößt, Melitta, größer als je in ihrem gefaßten Schmerz über den harten Rathschluß der Götter, die Ephoren selbst, die den König rein erklären von dem Verbrechen des Mordes, absichtlicher Tödtung. Aber sie ergreifen begierig die trotz alledem unerloschene Rachelust des jungen Krie¬ gers. Nur leiten sie sie in andere Bahnen. Chares soll der Verräther des Verräthers werden, den Brief ausliefern, den er von Xerxes zur Antwort an Pausanias bringt. Treu und Ehre sträuben sich in ihm dagegen. Der Ge¬ danke, daß Pauscinias, wenn er unschuldig sei, in dem Briefe den besten Beweis seiner Unschuld besitze, veranlaßt ihn schließlich zur Auslieferung. Begierig erbrechen die Ephoren das königliche Siegel und entnehmen dem Schreiben, daß Pauscinias auf seinen Wunsch der Eidam des Perserserkönigs werden soll- Ueber seine eigentlichen Plane aber spricht der Brief nnr in Andeutungen. Es gilt, auch diese zu erkunden. Man kommt überein, daß Chares hierüber den König vertraulich ausforschen soll, nachdem er ihm den Brief des Xerxes, wieder verschlossen, eingehändigt. Die Ephoren sollen ihren König dabei be¬ lauschen. Melitta gibt das Versteck dazu her, das Gemach, in dem ihrer Tochter Blut geflossen, das der König seit der unglücklichen That nicht mehr betreten mag. So unwahrscheinlich die Szene, so abgenutzt das Motiv des Be- lauschens erscheint, historisch steht fest, daß nur durch diese List die Ueber¬ führung des Pausanias gelang. Wir sehen die Szene vor uns sich abspielen. Pausanias, entzückt und überströmend in Worten und Gefühlen, enthüllt die ganze Größe und Gefährlichkeit seiner Pläne: er hat schon von Artabazos, dem Satrapen in Bithynien viele Kisten Goldes erhalten und damit „manchen Freund sich schon gemacht." Truppen und Schiffe von Xerxes sind schon unterwegs, um das Bündniß zu bethätigen. Der Perserkönig soll zum Ober¬ herrn von Sparta, von Hellas, ganz Enropa werden. Aber der stolze König will dafür sorgen, daß der Name nur ein Name bleibe. Als Chares fragt, ob der König nicht fürchte, daß der junge Krieger sein Geheimniß verrathen könne und der König ihm stolz entgegnet: Alles sei ohne Zeugen vorgegangen, treten die Ephoren und die Eltern des Mädchens von Byzanz aus ihrem Versteck hervor. Die Tragödie naht sich ihrem Ende. Als der letzte Akt beginnt, ist Pau¬ sanias bereits dem Verschmachten nahe, im Tempel der Athene eingemauert. Die Ephoren erzählen sich, daß seine Mutter den ersten Stein herbeitrug, um dem Volk zu zeigen, was es thun solle. Nun aber, da das Ende des Königs

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/362
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157645/362>, abgerufen am 18.05.2024.