Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Centrifugalkraft, welche letztere wieder von der Schnelligkeit abhängt, mit der
sich die Erde um ihre Achse und um die Sonne dreht. Nehmen wir an, daß
die Abplattung von Anfang an bis hente dieselbe gewesen, so können wir be¬
rechnen, um wie viel die Umdrehung geschwinder werden dürfte, ohne eine
stärkere Abplattung zu erzeugen. Man hat herausgefunden, daß die Umdre¬
hung nicht weniger als 17 Stunden 6 Minuten betragen konnte, wenn die
Erde an deu Polen durch sie so weit abgeplattet worden sein soll, wie sie das
jetzt ist. Ferner aber wissen wir, um wie viel die Schnelligkeit der Umdre¬
hung in einem Jahrhundert abnimmt, und daraus ist wieder leicht zu ersehen,
vor wie viel Jahrhunderten die Umdrehung der Erde wirklich nur 17 Stunden
6 Minuten gedauert hat.

Zur Bestimmung dieser Aenderung in der Dauer der Rotation der Erde
hat man nun die Dauer des Mondumlaufs benutzt. So gut man nämlich
die Zeit der Umdrehung der Erde um ihre Achse als Zeitmaß verwenden
kann, kann man anch die Dauer des Mondumlaufs dazu benutzen und dann
beide, wie zwei Uhren, mit einander vergleichen. Mit andern Worten: zur
Kontrolirung der Zeit oder unsrer Zeitmesser kann uns ganz ebenso wohl der
Mond als die Erde dienen, ebenso wohl ein Monat als ein Tag. Aenderte
sich weder die Umlaufszeit des Mondes um die Erde uoch die Dauer der
Umdrehung der letzteren um sich selbst, so müßten die Monats- und die
Tageslänge unverändert in demselben Verhältnisse zu einander stehen. Nun
hat mau aber beobachtet, daß dieses Verhältniß sich stetig etwas ändert. Ver¬
gleichen wir zwei Uhren von verschiedener Größe mit einander und finden wir
dabei, daß die kleinere etwas schneller als die andere geht, so können wir,
falls uns kein anderes Mittel zur Kontrole zur Hand ist, durchaus nicht
wissen, welche von beiden falsch geht; denn es bleibt sich in der Wirkung ja
gleich, ob wir die kleinere Uhr sür zu schnell oder ob wir die größere für zu
langsam gehend ansehen. So war es denn auch mit der Beurtheilung der
Thatsache, daß der Gang des Mondes mit der Umdrehung der Erde nicht
stimmte. Zuerst erklärte man sich dies mit einer zunehmenden Beschleunigung
des ersteren, später aber hielt man den Mond sür die richtig gehende Uhr, in¬
dem man erkannte, daß Ebbe und Muth die Umdrehung der Erde stetig lang¬
samer werden ließen.

Wie viel dieses Langsamerwerden in einem Jahrhundert beträgt, ist noch
nicht festgestellt. Anfangs nahm mau 1,0 Sekunden, jetzt nimmt man nach
Delaunay's Untersuchungen 434 Sekunden an. Ans der letzteren Zahl ergäbe
sich aber, daß die Rotation der Erde vor ungefähr zwei Millionen Jahren 17
Stunden 6 Minuten betragen habe. Die ganze Zeit von dem Momente an,
in welchem unser Planet seine heutige Abplattung angenommen hätte, bis jetzt


Centrifugalkraft, welche letztere wieder von der Schnelligkeit abhängt, mit der
sich die Erde um ihre Achse und um die Sonne dreht. Nehmen wir an, daß
die Abplattung von Anfang an bis hente dieselbe gewesen, so können wir be¬
rechnen, um wie viel die Umdrehung geschwinder werden dürfte, ohne eine
stärkere Abplattung zu erzeugen. Man hat herausgefunden, daß die Umdre¬
hung nicht weniger als 17 Stunden 6 Minuten betragen konnte, wenn die
Erde an deu Polen durch sie so weit abgeplattet worden sein soll, wie sie das
jetzt ist. Ferner aber wissen wir, um wie viel die Schnelligkeit der Umdre¬
hung in einem Jahrhundert abnimmt, und daraus ist wieder leicht zu ersehen,
vor wie viel Jahrhunderten die Umdrehung der Erde wirklich nur 17 Stunden
6 Minuten gedauert hat.

Zur Bestimmung dieser Aenderung in der Dauer der Rotation der Erde
hat man nun die Dauer des Mondumlaufs benutzt. So gut man nämlich
die Zeit der Umdrehung der Erde um ihre Achse als Zeitmaß verwenden
kann, kann man anch die Dauer des Mondumlaufs dazu benutzen und dann
beide, wie zwei Uhren, mit einander vergleichen. Mit andern Worten: zur
Kontrolirung der Zeit oder unsrer Zeitmesser kann uns ganz ebenso wohl der
Mond als die Erde dienen, ebenso wohl ein Monat als ein Tag. Aenderte
sich weder die Umlaufszeit des Mondes um die Erde uoch die Dauer der
Umdrehung der letzteren um sich selbst, so müßten die Monats- und die
Tageslänge unverändert in demselben Verhältnisse zu einander stehen. Nun
hat mau aber beobachtet, daß dieses Verhältniß sich stetig etwas ändert. Ver¬
gleichen wir zwei Uhren von verschiedener Größe mit einander und finden wir
dabei, daß die kleinere etwas schneller als die andere geht, so können wir,
falls uns kein anderes Mittel zur Kontrole zur Hand ist, durchaus nicht
wissen, welche von beiden falsch geht; denn es bleibt sich in der Wirkung ja
gleich, ob wir die kleinere Uhr sür zu schnell oder ob wir die größere für zu
langsam gehend ansehen. So war es denn auch mit der Beurtheilung der
Thatsache, daß der Gang des Mondes mit der Umdrehung der Erde nicht
stimmte. Zuerst erklärte man sich dies mit einer zunehmenden Beschleunigung
des ersteren, später aber hielt man den Mond sür die richtig gehende Uhr, in¬
dem man erkannte, daß Ebbe und Muth die Umdrehung der Erde stetig lang¬
samer werden ließen.

Wie viel dieses Langsamerwerden in einem Jahrhundert beträgt, ist noch
nicht festgestellt. Anfangs nahm mau 1,0 Sekunden, jetzt nimmt man nach
Delaunay's Untersuchungen 434 Sekunden an. Ans der letzteren Zahl ergäbe
sich aber, daß die Rotation der Erde vor ungefähr zwei Millionen Jahren 17
Stunden 6 Minuten betragen habe. Die ganze Zeit von dem Momente an,
in welchem unser Planet seine heutige Abplattung angenommen hätte, bis jetzt


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0011" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138242"/>
          <p xml:id="ID_6" prev="#ID_5"> Centrifugalkraft, welche letztere wieder von der Schnelligkeit abhängt, mit der<lb/>
sich die Erde um ihre Achse und um die Sonne dreht. Nehmen wir an, daß<lb/>
die Abplattung von Anfang an bis hente dieselbe gewesen, so können wir be¬<lb/>
rechnen, um wie viel die Umdrehung geschwinder werden dürfte, ohne eine<lb/>
stärkere Abplattung zu erzeugen. Man hat herausgefunden, daß die Umdre¬<lb/>
hung nicht weniger als 17 Stunden 6 Minuten betragen konnte, wenn die<lb/>
Erde an deu Polen durch sie so weit abgeplattet worden sein soll, wie sie das<lb/>
jetzt ist. Ferner aber wissen wir, um wie viel die Schnelligkeit der Umdre¬<lb/>
hung in einem Jahrhundert abnimmt, und daraus ist wieder leicht zu ersehen,<lb/>
vor wie viel Jahrhunderten die Umdrehung der Erde wirklich nur 17 Stunden<lb/>
6 Minuten gedauert hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_7"> Zur Bestimmung dieser Aenderung in der Dauer der Rotation der Erde<lb/>
hat man nun die Dauer des Mondumlaufs benutzt. So gut man nämlich<lb/>
die Zeit der Umdrehung der Erde um ihre Achse als Zeitmaß verwenden<lb/>
kann, kann man anch die Dauer des Mondumlaufs dazu benutzen und dann<lb/>
beide, wie zwei Uhren, mit einander vergleichen. Mit andern Worten: zur<lb/>
Kontrolirung der Zeit oder unsrer Zeitmesser kann uns ganz ebenso wohl der<lb/>
Mond als die Erde dienen, ebenso wohl ein Monat als ein Tag. Aenderte<lb/>
sich weder die Umlaufszeit des Mondes um die Erde uoch die Dauer der<lb/>
Umdrehung der letzteren um sich selbst, so müßten die Monats- und die<lb/>
Tageslänge unverändert in demselben Verhältnisse zu einander stehen. Nun<lb/>
hat mau aber beobachtet, daß dieses Verhältniß sich stetig etwas ändert. Ver¬<lb/>
gleichen wir zwei Uhren von verschiedener Größe mit einander und finden wir<lb/>
dabei, daß die kleinere etwas schneller als die andere geht, so können wir,<lb/>
falls uns kein anderes Mittel zur Kontrole zur Hand ist, durchaus nicht<lb/>
wissen, welche von beiden falsch geht; denn es bleibt sich in der Wirkung ja<lb/>
gleich, ob wir die kleinere Uhr sür zu schnell oder ob wir die größere für zu<lb/>
langsam gehend ansehen. So war es denn auch mit der Beurtheilung der<lb/>
Thatsache, daß der Gang des Mondes mit der Umdrehung der Erde nicht<lb/>
stimmte. Zuerst erklärte man sich dies mit einer zunehmenden Beschleunigung<lb/>
des ersteren, später aber hielt man den Mond sür die richtig gehende Uhr, in¬<lb/>
dem man erkannte, daß Ebbe und Muth die Umdrehung der Erde stetig lang¬<lb/>
samer werden ließen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_8" next="#ID_9"> Wie viel dieses Langsamerwerden in einem Jahrhundert beträgt, ist noch<lb/>
nicht festgestellt. Anfangs nahm mau 1,0 Sekunden, jetzt nimmt man nach<lb/>
Delaunay's Untersuchungen 434 Sekunden an. Ans der letzteren Zahl ergäbe<lb/>
sich aber, daß die Rotation der Erde vor ungefähr zwei Millionen Jahren 17<lb/>
Stunden 6 Minuten betragen habe. Die ganze Zeit von dem Momente an,<lb/>
in welchem unser Planet seine heutige Abplattung angenommen hätte, bis jetzt</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0011] Centrifugalkraft, welche letztere wieder von der Schnelligkeit abhängt, mit der sich die Erde um ihre Achse und um die Sonne dreht. Nehmen wir an, daß die Abplattung von Anfang an bis hente dieselbe gewesen, so können wir be¬ rechnen, um wie viel die Umdrehung geschwinder werden dürfte, ohne eine stärkere Abplattung zu erzeugen. Man hat herausgefunden, daß die Umdre¬ hung nicht weniger als 17 Stunden 6 Minuten betragen konnte, wenn die Erde an deu Polen durch sie so weit abgeplattet worden sein soll, wie sie das jetzt ist. Ferner aber wissen wir, um wie viel die Schnelligkeit der Umdre¬ hung in einem Jahrhundert abnimmt, und daraus ist wieder leicht zu ersehen, vor wie viel Jahrhunderten die Umdrehung der Erde wirklich nur 17 Stunden 6 Minuten gedauert hat. Zur Bestimmung dieser Aenderung in der Dauer der Rotation der Erde hat man nun die Dauer des Mondumlaufs benutzt. So gut man nämlich die Zeit der Umdrehung der Erde um ihre Achse als Zeitmaß verwenden kann, kann man anch die Dauer des Mondumlaufs dazu benutzen und dann beide, wie zwei Uhren, mit einander vergleichen. Mit andern Worten: zur Kontrolirung der Zeit oder unsrer Zeitmesser kann uns ganz ebenso wohl der Mond als die Erde dienen, ebenso wohl ein Monat als ein Tag. Aenderte sich weder die Umlaufszeit des Mondes um die Erde uoch die Dauer der Umdrehung der letzteren um sich selbst, so müßten die Monats- und die Tageslänge unverändert in demselben Verhältnisse zu einander stehen. Nun hat mau aber beobachtet, daß dieses Verhältniß sich stetig etwas ändert. Ver¬ gleichen wir zwei Uhren von verschiedener Größe mit einander und finden wir dabei, daß die kleinere etwas schneller als die andere geht, so können wir, falls uns kein anderes Mittel zur Kontrole zur Hand ist, durchaus nicht wissen, welche von beiden falsch geht; denn es bleibt sich in der Wirkung ja gleich, ob wir die kleinere Uhr sür zu schnell oder ob wir die größere für zu langsam gehend ansehen. So war es denn auch mit der Beurtheilung der Thatsache, daß der Gang des Mondes mit der Umdrehung der Erde nicht stimmte. Zuerst erklärte man sich dies mit einer zunehmenden Beschleunigung des ersteren, später aber hielt man den Mond sür die richtig gehende Uhr, in¬ dem man erkannte, daß Ebbe und Muth die Umdrehung der Erde stetig lang¬ samer werden ließen. Wie viel dieses Langsamerwerden in einem Jahrhundert beträgt, ist noch nicht festgestellt. Anfangs nahm mau 1,0 Sekunden, jetzt nimmt man nach Delaunay's Untersuchungen 434 Sekunden an. Ans der letzteren Zahl ergäbe sich aber, daß die Rotation der Erde vor ungefähr zwei Millionen Jahren 17 Stunden 6 Minuten betragen habe. Die ganze Zeit von dem Momente an, in welchem unser Planet seine heutige Abplattung angenommen hätte, bis jetzt

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/11
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/11>, abgerufen am 17.05.2024.