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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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namentlich als Postenträger und Nenigkeitensammler der kleinstaatlichen Diplo¬
matie und bemühte sich für die Ziele der Cliquen, denen er sich angeschlossen,
durch Zeitungsartikel Propaganda zu machen. Selbstverständlich -- so darf
man wohl sagen -- war er eifriger Freihändler, und ebenso selbverstündlich
arbeitete er, als die Schleswig-holsteinische Frage ihrer endgültigen Lösung ent¬
gegen ging, mit Eifer für die Augusteuburgerei. Wäre es nach seinem Sinne
gegangen, so hätte Hamburg 1866 gegen Preußen mobil gemacht und wäre
heute eine preußische Stadt. Man hätte ihm also in Berlin dankbar sein
sollen, war das aber nicht, sondern verbat sich ihn. Der Senat schickte ihn
darauf als Ministerresidenten nach London, wo seine Schwärmerei für das
Haus Augustenburg -- man erinnere sich, daß die Königin Victoria die
Schwiegermutter des Bruders des damaligen Erbprinzen, jetzigen Herzogs von
Augustenburg ist -- ihm manche Thür öffnete. Er hatte, so erzählt man,
immer Neuigkeiten zu berichten; der Senat fand indeß mit der Zeit, daß die¬
selben zu theuer zu stehen kamen, und zog die Stellung ein. Monsieur über¬
nahm hierauf ein Amt in der Verwaltung seiner Vaterstadt, scheint aber bald
selbst gefühlt zu haben, daß seine Leistungen mit seinen Ansprüchen nicht recht
im Einklang standen. So mußte anderweit sür ihn Rath geschafft werdeu,
und es wurde Rath geschafft. Seine manchesternen Grundsätze empfahlen ihn
dem damaligen Vorstande des Reichskanzleramtes, und dessen Gehülfen machten
-- Sie fehen, es gibt noch Wunder -- den verunglückten Diplomaten zum
ordentlichen Professor an der Hochschule des Reichslandes. 1875 ließ er ein
Buch fast so dick wie die Bibel vom Stapel, das sich "Staat und Kirche"
nannte. Die zur Leistung eines richtigen Professors gehörige Korpulenz war
durch eine ungefähr 600 Seiten lange oberflächliche historische Kompilation
gewonnen. Die letzten Bogen enthalten eine abfällige Kritik der Falk'schen
Gesetze, die, höflich ausgedrückt, sehr populär gehalten ist, etwa, als ob sie für
ein Damenpublikum berechnet wäre. Der eigentliche, allerdings nicht mit
dürren Worten ausgesprochne, aber deutlich zwischen den Zeilen zu lesende In¬
halt des Werkes läßt sich mit einer einzigen Zeile wiedergeben: Ich bin der
Kultusminister, wie er sein soll. Von Baden erhielt der Verfasser, wie man
ferner hört, weitere Empfehlungen, die aber in amtlichen Kreisen an der Kennt¬
niß und Würdigung seiner Vergangenheit abgeprallt sein sollen. Monsieur liest
seitdem öffentliche Kollegien über allerlei Dinge und einige andere mit poli¬
tischer Zuthat, die dem französisch gesinnten Spießbürger so gefallen, daß er
fleißig hospitirt..

Noch ein anderer Herr Professor fand den Weg über die Kehler Brücke
und in die Gegend, die man den Griff des Karlsruher Fächers nennen kann.
Ich lasse auch ihn ungenannt und sage zunächst nur, daß er zu der Couleur


Grenzboten lit. 1S77. 5

namentlich als Postenträger und Nenigkeitensammler der kleinstaatlichen Diplo¬
matie und bemühte sich für die Ziele der Cliquen, denen er sich angeschlossen,
durch Zeitungsartikel Propaganda zu machen. Selbstverständlich — so darf
man wohl sagen — war er eifriger Freihändler, und ebenso selbverstündlich
arbeitete er, als die Schleswig-holsteinische Frage ihrer endgültigen Lösung ent¬
gegen ging, mit Eifer für die Augusteuburgerei. Wäre es nach seinem Sinne
gegangen, so hätte Hamburg 1866 gegen Preußen mobil gemacht und wäre
heute eine preußische Stadt. Man hätte ihm also in Berlin dankbar sein
sollen, war das aber nicht, sondern verbat sich ihn. Der Senat schickte ihn
darauf als Ministerresidenten nach London, wo seine Schwärmerei für das
Haus Augustenburg — man erinnere sich, daß die Königin Victoria die
Schwiegermutter des Bruders des damaligen Erbprinzen, jetzigen Herzogs von
Augustenburg ist — ihm manche Thür öffnete. Er hatte, so erzählt man,
immer Neuigkeiten zu berichten; der Senat fand indeß mit der Zeit, daß die¬
selben zu theuer zu stehen kamen, und zog die Stellung ein. Monsieur über¬
nahm hierauf ein Amt in der Verwaltung seiner Vaterstadt, scheint aber bald
selbst gefühlt zu haben, daß seine Leistungen mit seinen Ansprüchen nicht recht
im Einklang standen. So mußte anderweit sür ihn Rath geschafft werdeu,
und es wurde Rath geschafft. Seine manchesternen Grundsätze empfahlen ihn
dem damaligen Vorstande des Reichskanzleramtes, und dessen Gehülfen machten
— Sie fehen, es gibt noch Wunder — den verunglückten Diplomaten zum
ordentlichen Professor an der Hochschule des Reichslandes. 1875 ließ er ein
Buch fast so dick wie die Bibel vom Stapel, das sich „Staat und Kirche"
nannte. Die zur Leistung eines richtigen Professors gehörige Korpulenz war
durch eine ungefähr 600 Seiten lange oberflächliche historische Kompilation
gewonnen. Die letzten Bogen enthalten eine abfällige Kritik der Falk'schen
Gesetze, die, höflich ausgedrückt, sehr populär gehalten ist, etwa, als ob sie für
ein Damenpublikum berechnet wäre. Der eigentliche, allerdings nicht mit
dürren Worten ausgesprochne, aber deutlich zwischen den Zeilen zu lesende In¬
halt des Werkes läßt sich mit einer einzigen Zeile wiedergeben: Ich bin der
Kultusminister, wie er sein soll. Von Baden erhielt der Verfasser, wie man
ferner hört, weitere Empfehlungen, die aber in amtlichen Kreisen an der Kennt¬
niß und Würdigung seiner Vergangenheit abgeprallt sein sollen. Monsieur liest
seitdem öffentliche Kollegien über allerlei Dinge und einige andere mit poli¬
tischer Zuthat, die dem französisch gesinnten Spießbürger so gefallen, daß er
fleißig hospitirt..

Noch ein anderer Herr Professor fand den Weg über die Kehler Brücke
und in die Gegend, die man den Griff des Karlsruher Fächers nennen kann.
Ich lasse auch ihn ungenannt und sage zunächst nur, daß er zu der Couleur


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[0041] namentlich als Postenträger und Nenigkeitensammler der kleinstaatlichen Diplo¬ matie und bemühte sich für die Ziele der Cliquen, denen er sich angeschlossen, durch Zeitungsartikel Propaganda zu machen. Selbstverständlich — so darf man wohl sagen — war er eifriger Freihändler, und ebenso selbverstündlich arbeitete er, als die Schleswig-holsteinische Frage ihrer endgültigen Lösung ent¬ gegen ging, mit Eifer für die Augusteuburgerei. Wäre es nach seinem Sinne gegangen, so hätte Hamburg 1866 gegen Preußen mobil gemacht und wäre heute eine preußische Stadt. Man hätte ihm also in Berlin dankbar sein sollen, war das aber nicht, sondern verbat sich ihn. Der Senat schickte ihn darauf als Ministerresidenten nach London, wo seine Schwärmerei für das Haus Augustenburg — man erinnere sich, daß die Königin Victoria die Schwiegermutter des Bruders des damaligen Erbprinzen, jetzigen Herzogs von Augustenburg ist — ihm manche Thür öffnete. Er hatte, so erzählt man, immer Neuigkeiten zu berichten; der Senat fand indeß mit der Zeit, daß die¬ selben zu theuer zu stehen kamen, und zog die Stellung ein. Monsieur über¬ nahm hierauf ein Amt in der Verwaltung seiner Vaterstadt, scheint aber bald selbst gefühlt zu haben, daß seine Leistungen mit seinen Ansprüchen nicht recht im Einklang standen. So mußte anderweit sür ihn Rath geschafft werdeu, und es wurde Rath geschafft. Seine manchesternen Grundsätze empfahlen ihn dem damaligen Vorstande des Reichskanzleramtes, und dessen Gehülfen machten — Sie fehen, es gibt noch Wunder — den verunglückten Diplomaten zum ordentlichen Professor an der Hochschule des Reichslandes. 1875 ließ er ein Buch fast so dick wie die Bibel vom Stapel, das sich „Staat und Kirche" nannte. Die zur Leistung eines richtigen Professors gehörige Korpulenz war durch eine ungefähr 600 Seiten lange oberflächliche historische Kompilation gewonnen. Die letzten Bogen enthalten eine abfällige Kritik der Falk'schen Gesetze, die, höflich ausgedrückt, sehr populär gehalten ist, etwa, als ob sie für ein Damenpublikum berechnet wäre. Der eigentliche, allerdings nicht mit dürren Worten ausgesprochne, aber deutlich zwischen den Zeilen zu lesende In¬ halt des Werkes läßt sich mit einer einzigen Zeile wiedergeben: Ich bin der Kultusminister, wie er sein soll. Von Baden erhielt der Verfasser, wie man ferner hört, weitere Empfehlungen, die aber in amtlichen Kreisen an der Kennt¬ niß und Würdigung seiner Vergangenheit abgeprallt sein sollen. Monsieur liest seitdem öffentliche Kollegien über allerlei Dinge und einige andere mit poli¬ tischer Zuthat, die dem französisch gesinnten Spießbürger so gefallen, daß er fleißig hospitirt.. Noch ein anderer Herr Professor fand den Weg über die Kehler Brücke und in die Gegend, die man den Griff des Karlsruher Fächers nennen kann. Ich lasse auch ihn ungenannt und sage zunächst nur, daß er zu der Couleur Grenzboten lit. 1S77. 5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/41>, abgerufen am 20.05.2024.