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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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auch einige Personen von Weißenfels aufgetrieben. Er eröffnete sein Theater
und siehe da! er selbst, das leibhaftige Gegentheil vom kleinen gewandten Harlekin
erschien in der lnstigmachenden Jacke: worinnen er noch um die Hälfte hölzerner
und schwerfälliger aussah, als er schon wirklich war. Man kann sich leicht
einbilden, wenn man anders Neubern gekannt hat, daß er dieser lustigen Person
wenig Ehre wird gemacht haben. Inzwischen so schlecht ihm auch sein Unter¬
nehmen gelang, so wollte er sich doch nicht entschließen, diesen wichtigen Posten
mit einem würdigeren Subjecte zu besetzen. Warum das? weil er an Hof¬
manns Exempel gelernt hatte, daß der Harlekin allezeit Herr von der Bande
und ihrem Haupte sei, und ihm trotzen könnte, wann er wollte. Aus Furcht
also, über seine eigene Bande bei irgend einer künftigen Zwistigkeit nicht Herr
zu sein, wagte es Reuber den Harlekin ganz abzuschaffen." Hieraus gehe
hervor, meint der Verfasser der Briefe, daß Reuber's eigner Nutzen alles
gethan, was man Gottsched zuschreibe. Gottsched und andere Freunde des
guten Geschmacks hätten diesen kühnen Schritt mehr gewünscht als gehofft, und
Mit all ihren Rathschlägen und allen aufgewandten Mühen würden sie das
uicht erreicht haben, was der Eigennutz hier so leicht bewerkstelligt habe. "Die
feierliche Abdankung dieser Hauptperson gehörte also einzig und allein dem
Reuber'schen Witze zu, ohne daß Hr. Prof. G--d einen andern Anspruch darau
Zu macheu hat, als daß er solche längst gewünscht, dazu gerathen und die Voll-
ziehung mit Vergnügen gesehen. Denn eben so unverhofft und schlau, als
er in dieser ihm schlechterdings nicht angemessenen Maske das Theater betreten,
"ahn er auch wieder von demselben seinen Abschied, und um zu zeigen, daß
diese Maske künftig niemals wieder darauf erscheinen sollte, ließ er sich von
seinen eignen Leuten recht heroisch daraus vertreiben."

Welche von diesen beiden Darstellungen den wahren Sachverhalt bietet,
wird sich schwerlich mit Sicherheit entscheiden lassen. Der Verfasser der
"Briefe" erweckt allerdings durch die Details, die er beibringt, so sehr den
Anschein, gut unterrichtet zu sein, daß man sich nur schwer entschließt, in seine
Angaben Zweifel zu setzen. Wenn aber der Leipziger Rost, der die Vorgänge
doch auch init durchlebt hatte, in seinem 1742 erschienenen kleinen satirischen
Epos "Das Vorspiel" schreibt:


Ich singe von der Frau, die um den Pleiszenstrand
Den deutschen Harlekin aus ihrer Zunft verbannt

so scheint dies eher eine Bestätigung der ersten Tradition zu sein. Und mehr
Noch spricht für sie, daß auch Lessing, der während seiner Leipziger Studenten¬
zeit (1746--1748) vielfach mit der Neuberin in persönliche Berührung kam, an
sie geglaubt zu haben scheint. Wenigstens berichtet auch er im 18. Stück
seiner "Hamburgischen Dramaturgie" (1767) mit ironischer Feierlichkeit, daß


auch einige Personen von Weißenfels aufgetrieben. Er eröffnete sein Theater
und siehe da! er selbst, das leibhaftige Gegentheil vom kleinen gewandten Harlekin
erschien in der lnstigmachenden Jacke: worinnen er noch um die Hälfte hölzerner
und schwerfälliger aussah, als er schon wirklich war. Man kann sich leicht
einbilden, wenn man anders Neubern gekannt hat, daß er dieser lustigen Person
wenig Ehre wird gemacht haben. Inzwischen so schlecht ihm auch sein Unter¬
nehmen gelang, so wollte er sich doch nicht entschließen, diesen wichtigen Posten
mit einem würdigeren Subjecte zu besetzen. Warum das? weil er an Hof¬
manns Exempel gelernt hatte, daß der Harlekin allezeit Herr von der Bande
und ihrem Haupte sei, und ihm trotzen könnte, wann er wollte. Aus Furcht
also, über seine eigene Bande bei irgend einer künftigen Zwistigkeit nicht Herr
zu sein, wagte es Reuber den Harlekin ganz abzuschaffen." Hieraus gehe
hervor, meint der Verfasser der Briefe, daß Reuber's eigner Nutzen alles
gethan, was man Gottsched zuschreibe. Gottsched und andere Freunde des
guten Geschmacks hätten diesen kühnen Schritt mehr gewünscht als gehofft, und
Mit all ihren Rathschlägen und allen aufgewandten Mühen würden sie das
uicht erreicht haben, was der Eigennutz hier so leicht bewerkstelligt habe. „Die
feierliche Abdankung dieser Hauptperson gehörte also einzig und allein dem
Reuber'schen Witze zu, ohne daß Hr. Prof. G—d einen andern Anspruch darau
Zu macheu hat, als daß er solche längst gewünscht, dazu gerathen und die Voll-
ziehung mit Vergnügen gesehen. Denn eben so unverhofft und schlau, als
er in dieser ihm schlechterdings nicht angemessenen Maske das Theater betreten,
»ahn er auch wieder von demselben seinen Abschied, und um zu zeigen, daß
diese Maske künftig niemals wieder darauf erscheinen sollte, ließ er sich von
seinen eignen Leuten recht heroisch daraus vertreiben."

Welche von diesen beiden Darstellungen den wahren Sachverhalt bietet,
wird sich schwerlich mit Sicherheit entscheiden lassen. Der Verfasser der
»Briefe" erweckt allerdings durch die Details, die er beibringt, so sehr den
Anschein, gut unterrichtet zu sein, daß man sich nur schwer entschließt, in seine
Angaben Zweifel zu setzen. Wenn aber der Leipziger Rost, der die Vorgänge
doch auch init durchlebt hatte, in seinem 1742 erschienenen kleinen satirischen
Epos „Das Vorspiel" schreibt:


Ich singe von der Frau, die um den Pleiszenstrand
Den deutschen Harlekin aus ihrer Zunft verbannt

so scheint dies eher eine Bestätigung der ersten Tradition zu sein. Und mehr
Noch spricht für sie, daß auch Lessing, der während seiner Leipziger Studenten¬
zeit (1746—1748) vielfach mit der Neuberin in persönliche Berührung kam, an
sie geglaubt zu haben scheint. Wenigstens berichtet auch er im 18. Stück
seiner „Hamburgischen Dramaturgie" (1767) mit ironischer Feierlichkeit, daß


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[0491] auch einige Personen von Weißenfels aufgetrieben. Er eröffnete sein Theater und siehe da! er selbst, das leibhaftige Gegentheil vom kleinen gewandten Harlekin erschien in der lnstigmachenden Jacke: worinnen er noch um die Hälfte hölzerner und schwerfälliger aussah, als er schon wirklich war. Man kann sich leicht einbilden, wenn man anders Neubern gekannt hat, daß er dieser lustigen Person wenig Ehre wird gemacht haben. Inzwischen so schlecht ihm auch sein Unter¬ nehmen gelang, so wollte er sich doch nicht entschließen, diesen wichtigen Posten mit einem würdigeren Subjecte zu besetzen. Warum das? weil er an Hof¬ manns Exempel gelernt hatte, daß der Harlekin allezeit Herr von der Bande und ihrem Haupte sei, und ihm trotzen könnte, wann er wollte. Aus Furcht also, über seine eigene Bande bei irgend einer künftigen Zwistigkeit nicht Herr zu sein, wagte es Reuber den Harlekin ganz abzuschaffen." Hieraus gehe hervor, meint der Verfasser der Briefe, daß Reuber's eigner Nutzen alles gethan, was man Gottsched zuschreibe. Gottsched und andere Freunde des guten Geschmacks hätten diesen kühnen Schritt mehr gewünscht als gehofft, und Mit all ihren Rathschlägen und allen aufgewandten Mühen würden sie das uicht erreicht haben, was der Eigennutz hier so leicht bewerkstelligt habe. „Die feierliche Abdankung dieser Hauptperson gehörte also einzig und allein dem Reuber'schen Witze zu, ohne daß Hr. Prof. G—d einen andern Anspruch darau Zu macheu hat, als daß er solche längst gewünscht, dazu gerathen und die Voll- ziehung mit Vergnügen gesehen. Denn eben so unverhofft und schlau, als er in dieser ihm schlechterdings nicht angemessenen Maske das Theater betreten, »ahn er auch wieder von demselben seinen Abschied, und um zu zeigen, daß diese Maske künftig niemals wieder darauf erscheinen sollte, ließ er sich von seinen eignen Leuten recht heroisch daraus vertreiben." Welche von diesen beiden Darstellungen den wahren Sachverhalt bietet, wird sich schwerlich mit Sicherheit entscheiden lassen. Der Verfasser der »Briefe" erweckt allerdings durch die Details, die er beibringt, so sehr den Anschein, gut unterrichtet zu sein, daß man sich nur schwer entschließt, in seine Angaben Zweifel zu setzen. Wenn aber der Leipziger Rost, der die Vorgänge doch auch init durchlebt hatte, in seinem 1742 erschienenen kleinen satirischen Epos „Das Vorspiel" schreibt: Ich singe von der Frau, die um den Pleiszenstrand Den deutschen Harlekin aus ihrer Zunft verbannt so scheint dies eher eine Bestätigung der ersten Tradition zu sein. Und mehr Noch spricht für sie, daß auch Lessing, der während seiner Leipziger Studenten¬ zeit (1746—1748) vielfach mit der Neuberin in persönliche Berührung kam, an sie geglaubt zu haben scheint. Wenigstens berichtet auch er im 18. Stück seiner „Hamburgischen Dramaturgie" (1767) mit ironischer Feierlichkeit, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/491>, abgerufen am 20.05.2024.