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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band.

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wo, als die bewilligten Gelder nicht ausreichten, den Lehrern plötzlich die Alter¬
native gestellt wurde, entweder, bis neue Gelder bewilligt worden, umsonst
weiter zu lehren oder die Schulen zu schließen, und wo jene sich sofort für
Letzteres entschieden. Ueberhaupt ist der Gehalt der Lehrer nirgends in der
Union ein vollkommen feststehender. Mit jeden: Jahre ist ein Voranschlag
zu entwerfen, der von den Staats- oder Geineindevertretern bewilligt werden
muß und keineswegs immer bewilligt wird. So beschnitt beispielsweise für
das laufende Jahr der Vertheilnngsrath der Stadt New-Ivrk die Voranschläge
des Schulrathes um 335,352 Dollars, wobei die Lehrergehalte eine Kürzn"g
um 80,000 Dollars erfuhren, obgleich sie im Durchschnitt nur 843 Dollars
für den einzelnen Lehrer betrügen. Endlich ist die Verwendung des weiblichen
Geschlechts im Lehrfache eine viel zu starke. Der Verfechtern der Frauen-
emanzipation gegenüber, die sich in Amerika viel breiter machen und viel cm-
maßlicher auftreten als bei uns, ist zu behaupten, daß der Formalismus, der
das amerikanische Unterrichtswesen charakterisirt, das Mechanische, das seiner
Unterrichtsmethode eigen ist, und die bis zum Aeußersten getriebene, vorwiegend
ans das Aeußerliche gerichtete Disziplin durch die mehr als die Hälfte des ge-
sammten Lehrpersonals betragende Zahl der Lehrerinnen unzweifelhaft genährt
und gesteigert werden. Es fehlt auch in Amerika nicht an Stimmen, welche
diese übermäßige Verwendung weiblicher Lehrkräfte an Schulen aller Grade
nicht als Förderung des Unterrichtswesens betrachten und es tief beklagen, daß
dem "Marktpreise", der unzweifelhaft diese Erscheinung mit veranlaßt, ein zu
weit gehender Einfluß eingeräumt wird.

Mit der Lehrerfrage stehen die Normalschulen oder Seminare im innigen
Zusammenhange. Es müßte deren viel mehr geben, oder sie müßten einzeln
weit mehr Lehrer ausbilden, als dieß gegenwärtig der Fall ist. In der That
würde die Zahl der Zöglinge dieser Institute auch dann unzureichend sein.
wenn sie sich sämmtlich dem Lehrfache widmeten. Dieß ist aber nicht der Fall.
Im Staate New-Aork haben sich von den 30,209 hier angestellten Lehrern
und Lehrerinnen nur 740 in Normalschulen Zeugnisse sür ihre Befähigung
erworben. Seit dem Bestände dieser Anstalten haben nnr 3463 sich Diplome
verdient, und von diesen sind nicht mehr als etwa zwanzig Prozent Lehrer
geworden. Indeß kaun diese Thatsache nicht überraschen, da das an einer
Normalschnle erworbene Diplom für die Schulbehörden uur die Bedeutung
hat, die sie ihm freiwillig beilegen.

Die Frage der Schulbücher ist selbst da, wo der Lehrer den Unterrichts¬
gegenstand vollkommen beherrscht und, mit dem Schüler in engster Fühlung
stehend, diesen der Gedächtnißarbeit und der Nothwendigkeit des Gebrauchs
von Büchern möglichst überhebt, von nicht geringer Wichtigkeit. Sie wird dies


wo, als die bewilligten Gelder nicht ausreichten, den Lehrern plötzlich die Alter¬
native gestellt wurde, entweder, bis neue Gelder bewilligt worden, umsonst
weiter zu lehren oder die Schulen zu schließen, und wo jene sich sofort für
Letzteres entschieden. Ueberhaupt ist der Gehalt der Lehrer nirgends in der
Union ein vollkommen feststehender. Mit jeden: Jahre ist ein Voranschlag
zu entwerfen, der von den Staats- oder Geineindevertretern bewilligt werden
muß und keineswegs immer bewilligt wird. So beschnitt beispielsweise für
das laufende Jahr der Vertheilnngsrath der Stadt New-Ivrk die Voranschläge
des Schulrathes um 335,352 Dollars, wobei die Lehrergehalte eine Kürzn»g
um 80,000 Dollars erfuhren, obgleich sie im Durchschnitt nur 843 Dollars
für den einzelnen Lehrer betrügen. Endlich ist die Verwendung des weiblichen
Geschlechts im Lehrfache eine viel zu starke. Der Verfechtern der Frauen-
emanzipation gegenüber, die sich in Amerika viel breiter machen und viel cm-
maßlicher auftreten als bei uns, ist zu behaupten, daß der Formalismus, der
das amerikanische Unterrichtswesen charakterisirt, das Mechanische, das seiner
Unterrichtsmethode eigen ist, und die bis zum Aeußersten getriebene, vorwiegend
ans das Aeußerliche gerichtete Disziplin durch die mehr als die Hälfte des ge-
sammten Lehrpersonals betragende Zahl der Lehrerinnen unzweifelhaft genährt
und gesteigert werden. Es fehlt auch in Amerika nicht an Stimmen, welche
diese übermäßige Verwendung weiblicher Lehrkräfte an Schulen aller Grade
nicht als Förderung des Unterrichtswesens betrachten und es tief beklagen, daß
dem „Marktpreise", der unzweifelhaft diese Erscheinung mit veranlaßt, ein zu
weit gehender Einfluß eingeräumt wird.

Mit der Lehrerfrage stehen die Normalschulen oder Seminare im innigen
Zusammenhange. Es müßte deren viel mehr geben, oder sie müßten einzeln
weit mehr Lehrer ausbilden, als dieß gegenwärtig der Fall ist. In der That
würde die Zahl der Zöglinge dieser Institute auch dann unzureichend sein.
wenn sie sich sämmtlich dem Lehrfache widmeten. Dieß ist aber nicht der Fall.
Im Staate New-Aork haben sich von den 30,209 hier angestellten Lehrern
und Lehrerinnen nur 740 in Normalschulen Zeugnisse sür ihre Befähigung
erworben. Seit dem Bestände dieser Anstalten haben nnr 3463 sich Diplome
verdient, und von diesen sind nicht mehr als etwa zwanzig Prozent Lehrer
geworden. Indeß kaun diese Thatsache nicht überraschen, da das an einer
Normalschnle erworbene Diplom für die Schulbehörden uur die Bedeutung
hat, die sie ihm freiwillig beilegen.

Die Frage der Schulbücher ist selbst da, wo der Lehrer den Unterrichts¬
gegenstand vollkommen beherrscht und, mit dem Schüler in engster Fühlung
stehend, diesen der Gedächtnißarbeit und der Nothwendigkeit des Gebrauchs
von Büchern möglichst überhebt, von nicht geringer Wichtigkeit. Sie wird dies


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[0507] wo, als die bewilligten Gelder nicht ausreichten, den Lehrern plötzlich die Alter¬ native gestellt wurde, entweder, bis neue Gelder bewilligt worden, umsonst weiter zu lehren oder die Schulen zu schließen, und wo jene sich sofort für Letzteres entschieden. Ueberhaupt ist der Gehalt der Lehrer nirgends in der Union ein vollkommen feststehender. Mit jeden: Jahre ist ein Voranschlag zu entwerfen, der von den Staats- oder Geineindevertretern bewilligt werden muß und keineswegs immer bewilligt wird. So beschnitt beispielsweise für das laufende Jahr der Vertheilnngsrath der Stadt New-Ivrk die Voranschläge des Schulrathes um 335,352 Dollars, wobei die Lehrergehalte eine Kürzn»g um 80,000 Dollars erfuhren, obgleich sie im Durchschnitt nur 843 Dollars für den einzelnen Lehrer betrügen. Endlich ist die Verwendung des weiblichen Geschlechts im Lehrfache eine viel zu starke. Der Verfechtern der Frauen- emanzipation gegenüber, die sich in Amerika viel breiter machen und viel cm- maßlicher auftreten als bei uns, ist zu behaupten, daß der Formalismus, der das amerikanische Unterrichtswesen charakterisirt, das Mechanische, das seiner Unterrichtsmethode eigen ist, und die bis zum Aeußersten getriebene, vorwiegend ans das Aeußerliche gerichtete Disziplin durch die mehr als die Hälfte des ge- sammten Lehrpersonals betragende Zahl der Lehrerinnen unzweifelhaft genährt und gesteigert werden. Es fehlt auch in Amerika nicht an Stimmen, welche diese übermäßige Verwendung weiblicher Lehrkräfte an Schulen aller Grade nicht als Förderung des Unterrichtswesens betrachten und es tief beklagen, daß dem „Marktpreise", der unzweifelhaft diese Erscheinung mit veranlaßt, ein zu weit gehender Einfluß eingeräumt wird. Mit der Lehrerfrage stehen die Normalschulen oder Seminare im innigen Zusammenhange. Es müßte deren viel mehr geben, oder sie müßten einzeln weit mehr Lehrer ausbilden, als dieß gegenwärtig der Fall ist. In der That würde die Zahl der Zöglinge dieser Institute auch dann unzureichend sein. wenn sie sich sämmtlich dem Lehrfache widmeten. Dieß ist aber nicht der Fall. Im Staate New-Aork haben sich von den 30,209 hier angestellten Lehrern und Lehrerinnen nur 740 in Normalschulen Zeugnisse sür ihre Befähigung erworben. Seit dem Bestände dieser Anstalten haben nnr 3463 sich Diplome verdient, und von diesen sind nicht mehr als etwa zwanzig Prozent Lehrer geworden. Indeß kaun diese Thatsache nicht überraschen, da das an einer Normalschnle erworbene Diplom für die Schulbehörden uur die Bedeutung hat, die sie ihm freiwillig beilegen. Die Frage der Schulbücher ist selbst da, wo der Lehrer den Unterrichts¬ gegenstand vollkommen beherrscht und, mit dem Schüler in engster Fühlung stehend, diesen der Gedächtnißarbeit und der Nothwendigkeit des Gebrauchs von Büchern möglichst überhebt, von nicht geringer Wichtigkeit. Sie wird dies

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157647/507>, abgerufen am 12.06.2024.