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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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digsteu Götter durch Wortwich uib Blut befleckte. Eine Revolution stand
bevor, als die Weisheit und Entschlossenheit eines Abkömmlings der alten
Königsfamilie jener schrecklichen Entwickelung Halt gebot. Solon übernahm
die Vertheidigung der Sache des Volkes. Mit 500 Freiwilligen, ohne Unter¬
stützung der Regierung, eroberte er Salamis zurück und wurde nun zum ersten
Archon gewählt und mit der Friedensstiftuug zwischen Adel und Volk betraut.
Seine weisen und maßvollen, doch auch kräftig durchgreifenden Maßregeln
führten die Emanzipation der Tagelöhner und Handwerker, die Freilassung
und den Rückkauf der Sklaven herbei, und überzeugt, daß die innere Einigung
des Volkes nicht besser herbeizuführen sei, als durch gemeinsame Waffenthaten,
führte er Athen in einen Kampf, der gleichzeitig ein Gottesdienst war, in den
Krieg zur Befreiung des delphischen Tempels. -- So trat Mika plötzlich auf
den Schauplatz der nationalen Geschichte; es erschien als das führende Land
der Jonier und hatte für den delphischen Krieg eine Eidgenossenschaft gebildet,
die sich vom Peloponnes bis nach Thessalien erstreckte und Staaten einschloß,
welche in offener Feindschaft zu Sparta standen. -- Die Spartiaten erkannten,
daß ihnen zum erstenmale eine ebenbürtige Macht gegenüber getreten sei, und
Athen mußte darauf gefaßt sein, die neu gewonnene Stellung im Kampfe zu
behaupten.

Wie wenig jedoch war es dazu gerüstet! Die beiden wichtigsten Grund¬
lagen für jede kriegerische Machtstellung: innere Einheit und gesetzlich geregelte
Wehrverfassung fehlten. Aber Solon war da. Jetzt wendete sich ihm das
großartigste Vertrauen zu, indem er mit absoluter Machtvollkommenheit zum
Ordner der Verfassung und zum Gesetzgeber ernannt wurde.

Eine Lösung dieser großartigen Aufgabe hatte vor allen Dingen die Ver¬
hältnisse der Kriegsverfassung völliger Neubegründung zu unterzieh". -- Die
Uebernahme der Kriegführung hatte dem Adel einst seine bevorzugte Stellung
eingetragen; längst aber reichte" seine Kräfte für dieselbe nicht mehr ans.
Solon beschloß, Kriegsdienst und Steuer nach dem Vermögen zu reguliren.
Er ließ den gesammten Grundbesitz aufnehmen und in ein Kataster eintragen.
Alle Bauern, welche ohne Gespann wirthschafteten und deren Acker keinen
größeren Betrag als 150 Medimnen*) an Korn oder 150 Metreten^) an Oel
oder Wein trug, sollten vom Kriegsdienst wie von der Steuer befreit sein;
denn ein einziger Feldzug war hinlänglich, solche "Theden" (Tagelöhner) in
Noth und Schulden zu stürzen. Diese Befreiten bildeten die vierte Klasse der
Bevölkerung; zu ihr wurden jedoch auch alle diejenigen geschlagen, welche




") 1 Medimnos -- Is'/, Metze.
**) 1 Metrctcs -- 83 Quart.

digsteu Götter durch Wortwich uib Blut befleckte. Eine Revolution stand
bevor, als die Weisheit und Entschlossenheit eines Abkömmlings der alten
Königsfamilie jener schrecklichen Entwickelung Halt gebot. Solon übernahm
die Vertheidigung der Sache des Volkes. Mit 500 Freiwilligen, ohne Unter¬
stützung der Regierung, eroberte er Salamis zurück und wurde nun zum ersten
Archon gewählt und mit der Friedensstiftuug zwischen Adel und Volk betraut.
Seine weisen und maßvollen, doch auch kräftig durchgreifenden Maßregeln
führten die Emanzipation der Tagelöhner und Handwerker, die Freilassung
und den Rückkauf der Sklaven herbei, und überzeugt, daß die innere Einigung
des Volkes nicht besser herbeizuführen sei, als durch gemeinsame Waffenthaten,
führte er Athen in einen Kampf, der gleichzeitig ein Gottesdienst war, in den
Krieg zur Befreiung des delphischen Tempels. — So trat Mika plötzlich auf
den Schauplatz der nationalen Geschichte; es erschien als das führende Land
der Jonier und hatte für den delphischen Krieg eine Eidgenossenschaft gebildet,
die sich vom Peloponnes bis nach Thessalien erstreckte und Staaten einschloß,
welche in offener Feindschaft zu Sparta standen. — Die Spartiaten erkannten,
daß ihnen zum erstenmale eine ebenbürtige Macht gegenüber getreten sei, und
Athen mußte darauf gefaßt sein, die neu gewonnene Stellung im Kampfe zu
behaupten.

Wie wenig jedoch war es dazu gerüstet! Die beiden wichtigsten Grund¬
lagen für jede kriegerische Machtstellung: innere Einheit und gesetzlich geregelte
Wehrverfassung fehlten. Aber Solon war da. Jetzt wendete sich ihm das
großartigste Vertrauen zu, indem er mit absoluter Machtvollkommenheit zum
Ordner der Verfassung und zum Gesetzgeber ernannt wurde.

Eine Lösung dieser großartigen Aufgabe hatte vor allen Dingen die Ver¬
hältnisse der Kriegsverfassung völliger Neubegründung zu unterzieh». — Die
Uebernahme der Kriegführung hatte dem Adel einst seine bevorzugte Stellung
eingetragen; längst aber reichte« seine Kräfte für dieselbe nicht mehr ans.
Solon beschloß, Kriegsdienst und Steuer nach dem Vermögen zu reguliren.
Er ließ den gesammten Grundbesitz aufnehmen und in ein Kataster eintragen.
Alle Bauern, welche ohne Gespann wirthschafteten und deren Acker keinen
größeren Betrag als 150 Medimnen*) an Korn oder 150 Metreten^) an Oel
oder Wein trug, sollten vom Kriegsdienst wie von der Steuer befreit sein;
denn ein einziger Feldzug war hinlänglich, solche „Theden" (Tagelöhner) in
Noth und Schulden zu stürzen. Diese Befreiten bildeten die vierte Klasse der
Bevölkerung; zu ihr wurden jedoch auch alle diejenigen geschlagen, welche




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**) 1 Metrctcs — 83 Quart.
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[0101] digsteu Götter durch Wortwich uib Blut befleckte. Eine Revolution stand bevor, als die Weisheit und Entschlossenheit eines Abkömmlings der alten Königsfamilie jener schrecklichen Entwickelung Halt gebot. Solon übernahm die Vertheidigung der Sache des Volkes. Mit 500 Freiwilligen, ohne Unter¬ stützung der Regierung, eroberte er Salamis zurück und wurde nun zum ersten Archon gewählt und mit der Friedensstiftuug zwischen Adel und Volk betraut. Seine weisen und maßvollen, doch auch kräftig durchgreifenden Maßregeln führten die Emanzipation der Tagelöhner und Handwerker, die Freilassung und den Rückkauf der Sklaven herbei, und überzeugt, daß die innere Einigung des Volkes nicht besser herbeizuführen sei, als durch gemeinsame Waffenthaten, führte er Athen in einen Kampf, der gleichzeitig ein Gottesdienst war, in den Krieg zur Befreiung des delphischen Tempels. — So trat Mika plötzlich auf den Schauplatz der nationalen Geschichte; es erschien als das führende Land der Jonier und hatte für den delphischen Krieg eine Eidgenossenschaft gebildet, die sich vom Peloponnes bis nach Thessalien erstreckte und Staaten einschloß, welche in offener Feindschaft zu Sparta standen. — Die Spartiaten erkannten, daß ihnen zum erstenmale eine ebenbürtige Macht gegenüber getreten sei, und Athen mußte darauf gefaßt sein, die neu gewonnene Stellung im Kampfe zu behaupten. Wie wenig jedoch war es dazu gerüstet! Die beiden wichtigsten Grund¬ lagen für jede kriegerische Machtstellung: innere Einheit und gesetzlich geregelte Wehrverfassung fehlten. Aber Solon war da. Jetzt wendete sich ihm das großartigste Vertrauen zu, indem er mit absoluter Machtvollkommenheit zum Ordner der Verfassung und zum Gesetzgeber ernannt wurde. Eine Lösung dieser großartigen Aufgabe hatte vor allen Dingen die Ver¬ hältnisse der Kriegsverfassung völliger Neubegründung zu unterzieh». — Die Uebernahme der Kriegführung hatte dem Adel einst seine bevorzugte Stellung eingetragen; längst aber reichte« seine Kräfte für dieselbe nicht mehr ans. Solon beschloß, Kriegsdienst und Steuer nach dem Vermögen zu reguliren. Er ließ den gesammten Grundbesitz aufnehmen und in ein Kataster eintragen. Alle Bauern, welche ohne Gespann wirthschafteten und deren Acker keinen größeren Betrag als 150 Medimnen*) an Korn oder 150 Metreten^) an Oel oder Wein trug, sollten vom Kriegsdienst wie von der Steuer befreit sein; denn ein einziger Feldzug war hinlänglich, solche „Theden" (Tagelöhner) in Noth und Schulden zu stürzen. Diese Befreiten bildeten die vierte Klasse der Bevölkerung; zu ihr wurden jedoch auch alle diejenigen geschlagen, welche ») 1 Medimnos — Is'/, Metze. **) 1 Metrctcs — 83 Quart.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/101>, abgerufen am 29.05.2024.