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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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der Geburt getreten war, und freilich wird die Scheffelzahl als ein unge¬
nügender Maßstab erscheinen, um militärische Verwendbarkeit und Würdigkeit
zu bürgerlichen Aemtern zu bestimmen. "Aber man bedenke, daß der Ackerbau
nach Ansicht der Alten als die einzige Beschäftigung galt, welche den Menschen
an Leib und Seele gesund, kräftig und tapfer erhielt. Der eigene Acker war
es, der mehr als alles andere den Bürger mit dem Staate unauflöslich ver¬
knüpfte und Bürgschaft gewährte, daß der Besitzer mit Gut und Blut einstehen
werde für den gemeinsamen Heerd des Vaterlandes. Wer nur auf Geldumsatz
seinen Wohlstand gründete, gehörte, und wenn er noch so reich war, in die
Klasse der Theden." -- Von Nichtbürger setzte man geradezu voraus, daß
sein Juteresse am Staate gering sei, ja, daß er, unter Umstände" wohl im
Staude sei, sich gegen denselben gebrauchen zu lassen, und deshalb vermied
man, ihm die Waffen in die Hand zu geben; die Handwerker aber galten für
körperlich vernachlässigt; man meinte: ihre sitzende Lebensweise mache sie un¬
tauglich für den Kriegsdienst. Noch Aristoteles war dieser Ansicht, "Wo es
eine große Menge von Handwerkern giebt", bemerkt er "da kann der Staat
volkreich und doch seine Kriegsmacht gering sein." Auf solcher Anschauung
beruht auch die Verachtung des Handwerks, welche den antiken Völkern eigen¬
thümlich ist, und das in einigen Staaten bestehende Gesetz, welches den Bürgern
die Ausübung eines Handwerks geradezu verbot. -- Dieser, allen Hellenen
gemeinsamen Gesichtspunkte muß man eingedenk bleiben, wenn man die solo-
nische Verfassung richtig beurtheilen will.

Natürlich war die Besteuerung der Athener nicht nach den vier Bürger-
klafseu abgestuft, und ebensowenig hatte man thatsächlich ganz auf die Kraft
der Theden verzichtet: sie bildeten vielmehr den Hauptbestandtheil der Flotten¬
mannschaft, aber als solche, sowie als Leichtbewaffnete, die im Gefolge der
Hvpliteuheere erscheinen, sind sie unzweifelhaft vom Staate besoldet worden.
Aristoteles ist der Meinung, daß man die Ruderer und Matrosen unbedenklich
aus gewordener Mannschaft wählen könne; die Seesoldateu dagegen müsse
man wie die.Landtruppen lediglich der Bürgerschaft entnehmen.

Daß Solons Verfassung nicht sofort nachdem sie gegeben war, auch schon
ihre volle Wirkung äußern konnte, läßt sich denken. Die extremen Parteien
waren in ihren Ansprüchen nicht befriedigt; neue Kämpfe brachen aus und
verschafften einem klugen und kühnen Parteiführer, dem Peisistratos, die Ge¬
legenheit, sich der Thrannis zu bemächtigen. Nachdem er sie zweimal gewonnen
und wieder verloren, behauptete er sich endlich mit Hilfe argivischer Söldner;
und es muß 'als ein bedeutsames Moment hervorgehoben werden, daß dies
erste Eingreifen des Söldnerthums in die hellenische Geschichte eben im Ge¬
folge der Thrannis anftritt. Peisistratos hinterließ die Herrschaft seinen


der Geburt getreten war, und freilich wird die Scheffelzahl als ein unge¬
nügender Maßstab erscheinen, um militärische Verwendbarkeit und Würdigkeit
zu bürgerlichen Aemtern zu bestimmen. „Aber man bedenke, daß der Ackerbau
nach Ansicht der Alten als die einzige Beschäftigung galt, welche den Menschen
an Leib und Seele gesund, kräftig und tapfer erhielt. Der eigene Acker war
es, der mehr als alles andere den Bürger mit dem Staate unauflöslich ver¬
knüpfte und Bürgschaft gewährte, daß der Besitzer mit Gut und Blut einstehen
werde für den gemeinsamen Heerd des Vaterlandes. Wer nur auf Geldumsatz
seinen Wohlstand gründete, gehörte, und wenn er noch so reich war, in die
Klasse der Theden." — Von Nichtbürger setzte man geradezu voraus, daß
sein Juteresse am Staate gering sei, ja, daß er, unter Umstände« wohl im
Staude sei, sich gegen denselben gebrauchen zu lassen, und deshalb vermied
man, ihm die Waffen in die Hand zu geben; die Handwerker aber galten für
körperlich vernachlässigt; man meinte: ihre sitzende Lebensweise mache sie un¬
tauglich für den Kriegsdienst. Noch Aristoteles war dieser Ansicht, „Wo es
eine große Menge von Handwerkern giebt", bemerkt er „da kann der Staat
volkreich und doch seine Kriegsmacht gering sein." Auf solcher Anschauung
beruht auch die Verachtung des Handwerks, welche den antiken Völkern eigen¬
thümlich ist, und das in einigen Staaten bestehende Gesetz, welches den Bürgern
die Ausübung eines Handwerks geradezu verbot. — Dieser, allen Hellenen
gemeinsamen Gesichtspunkte muß man eingedenk bleiben, wenn man die solo-
nische Verfassung richtig beurtheilen will.

Natürlich war die Besteuerung der Athener nicht nach den vier Bürger-
klafseu abgestuft, und ebensowenig hatte man thatsächlich ganz auf die Kraft
der Theden verzichtet: sie bildeten vielmehr den Hauptbestandtheil der Flotten¬
mannschaft, aber als solche, sowie als Leichtbewaffnete, die im Gefolge der
Hvpliteuheere erscheinen, sind sie unzweifelhaft vom Staate besoldet worden.
Aristoteles ist der Meinung, daß man die Ruderer und Matrosen unbedenklich
aus gewordener Mannschaft wählen könne; die Seesoldateu dagegen müsse
man wie die.Landtruppen lediglich der Bürgerschaft entnehmen.

Daß Solons Verfassung nicht sofort nachdem sie gegeben war, auch schon
ihre volle Wirkung äußern konnte, läßt sich denken. Die extremen Parteien
waren in ihren Ansprüchen nicht befriedigt; neue Kämpfe brachen aus und
verschafften einem klugen und kühnen Parteiführer, dem Peisistratos, die Ge¬
legenheit, sich der Thrannis zu bemächtigen. Nachdem er sie zweimal gewonnen
und wieder verloren, behauptete er sich endlich mit Hilfe argivischer Söldner;
und es muß 'als ein bedeutsames Moment hervorgehoben werden, daß dies
erste Eingreifen des Söldnerthums in die hellenische Geschichte eben im Ge¬
folge der Thrannis anftritt. Peisistratos hinterließ die Herrschaft seinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/103>, abgerufen am 29.05.2024.