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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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den ganzen Peloponnes und den Osten von Hellas u, zw. offenbar mit großer
Schnelligkeit. Es hat das seinen Grund in der Aehnlichkeit der Verhältnisse:
in der gebirgigen Natur des Geländes und in dem Umstände, daß überall an
die Stelle der Fürsten herrschende Völker traten. Ziemlich früh scheinen sogar
die Hellenen, ebenso wie spartanische Ammen und Kinderfrauen, die großen
Rufes genossen, auch spartanische Exerzirmeister und Jnstruktoreu verschrieben
zu haben, und noch häufiger erscheinen solche Männer bei barbarischen Fürsten.
Sie mögen bei diesen ähnliche Rollen gespielt haben wie europäische Offiziere
in der Türkei oder in den Reichen ostindischer Fürsten,*)

Von dem lakonischer und attischen Vorbilde weicht die Haltung zunächst
derjenigen Stämme ab, bei denen sich nicht das Uebergewicht einer haupt¬
städtischen Verfassung geltend macht. Unter solchen Banervölkern, wie die
Aetolier, Arkader und Akarnanen, hat das Bürgeranfgebot vorherrschend den
Charakter eines Landsturmes und erscheint reich an leichtbewaffnetem Fußvolk.
-- Noch größere Abweichungen stellten sich jedoch bei denjenigen Völkern heraus,
die dem Reiterthum eine hervorragende Rolle in den Kriegseinrichtungen ge¬
währten. "Wie in der Sage die Kentauren den Lapithen, barbarische eingedrungene
Nomadenvölker zu Pferde deu einfachen altpelasgischen Fußkämpfern und
Städteerbauern gegenüberstehen, so in der Geschichte die nördlichen Stämme
Griechenlands, die Böotier, Phokier, Lokrer und Thessaler, denen des Südens
und Ostens."**)

Schon der Adel Böotiens hielt eine ansehnliche Reiterei. Ohne An¬
strengung sendete er 600 bis 1000 Ritter, sammt den dazu gehörigen berittenen
Knechten in's Feld. Orchomenos besaß allein 800 Ritter, und in Theben
erhielten sich die Traditionen des Streitwagenkampfes am längsten. -- Die
eigentlich ritterliche Landschaft aber ist Thessalien. In den Niederungen
des Peneios bewahrten die Nachkommen der Einwanderer die bevorzugte
Stellung, welche sie durch die Eroberung gewonnen, mit großer Entschieden¬
heit, und es bildeten sich hier sozialpolitische Zustände heraus, welche in vielen
Stücken an die der mittelalterlichen Ritterschaft erinnern. Die Landesart
gestattete, im ausgedehntesten Maße Pferdezucht zu treiben, und manche der
thessalischen Ritter vermochten zwei- bis dreihundert ihrer Gutsgenvssen beritten
zu machen und damit ihre Fehden auf eigene Hand zu führen. In seiner
Gesammtheit stellte der thessalische Adel schon im 7. Jcchrhuudert die beste
und gefürchtetste Reiterei von Hellas. -- Dennoch hat Thessalien in der Blüthe-
zeit Griechenlands keine hervorragende Rolle gespielt, weil es nie zu fester




*) Rüstows Einleitung zu Asklepiodotes und Aelian.
") Rüstow und Kvchly: Geschichte des Griech. Kriegswesens.

den ganzen Peloponnes und den Osten von Hellas u, zw. offenbar mit großer
Schnelligkeit. Es hat das seinen Grund in der Aehnlichkeit der Verhältnisse:
in der gebirgigen Natur des Geländes und in dem Umstände, daß überall an
die Stelle der Fürsten herrschende Völker traten. Ziemlich früh scheinen sogar
die Hellenen, ebenso wie spartanische Ammen und Kinderfrauen, die großen
Rufes genossen, auch spartanische Exerzirmeister und Jnstruktoreu verschrieben
zu haben, und noch häufiger erscheinen solche Männer bei barbarischen Fürsten.
Sie mögen bei diesen ähnliche Rollen gespielt haben wie europäische Offiziere
in der Türkei oder in den Reichen ostindischer Fürsten,*)

Von dem lakonischer und attischen Vorbilde weicht die Haltung zunächst
derjenigen Stämme ab, bei denen sich nicht das Uebergewicht einer haupt¬
städtischen Verfassung geltend macht. Unter solchen Banervölkern, wie die
Aetolier, Arkader und Akarnanen, hat das Bürgeranfgebot vorherrschend den
Charakter eines Landsturmes und erscheint reich an leichtbewaffnetem Fußvolk.
— Noch größere Abweichungen stellten sich jedoch bei denjenigen Völkern heraus,
die dem Reiterthum eine hervorragende Rolle in den Kriegseinrichtungen ge¬
währten. „Wie in der Sage die Kentauren den Lapithen, barbarische eingedrungene
Nomadenvölker zu Pferde deu einfachen altpelasgischen Fußkämpfern und
Städteerbauern gegenüberstehen, so in der Geschichte die nördlichen Stämme
Griechenlands, die Böotier, Phokier, Lokrer und Thessaler, denen des Südens
und Ostens."**)

Schon der Adel Böotiens hielt eine ansehnliche Reiterei. Ohne An¬
strengung sendete er 600 bis 1000 Ritter, sammt den dazu gehörigen berittenen
Knechten in's Feld. Orchomenos besaß allein 800 Ritter, und in Theben
erhielten sich die Traditionen des Streitwagenkampfes am längsten. — Die
eigentlich ritterliche Landschaft aber ist Thessalien. In den Niederungen
des Peneios bewahrten die Nachkommen der Einwanderer die bevorzugte
Stellung, welche sie durch die Eroberung gewonnen, mit großer Entschieden¬
heit, und es bildeten sich hier sozialpolitische Zustände heraus, welche in vielen
Stücken an die der mittelalterlichen Ritterschaft erinnern. Die Landesart
gestattete, im ausgedehntesten Maße Pferdezucht zu treiben, und manche der
thessalischen Ritter vermochten zwei- bis dreihundert ihrer Gutsgenvssen beritten
zu machen und damit ihre Fehden auf eigene Hand zu führen. In seiner
Gesammtheit stellte der thessalische Adel schon im 7. Jcchrhuudert die beste
und gefürchtetste Reiterei von Hellas. — Dennoch hat Thessalien in der Blüthe-
zeit Griechenlands keine hervorragende Rolle gespielt, weil es nie zu fester




*) Rüstows Einleitung zu Asklepiodotes und Aelian.
") Rüstow und Kvchly: Geschichte des Griech. Kriegswesens.
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[0108] den ganzen Peloponnes und den Osten von Hellas u, zw. offenbar mit großer Schnelligkeit. Es hat das seinen Grund in der Aehnlichkeit der Verhältnisse: in der gebirgigen Natur des Geländes und in dem Umstände, daß überall an die Stelle der Fürsten herrschende Völker traten. Ziemlich früh scheinen sogar die Hellenen, ebenso wie spartanische Ammen und Kinderfrauen, die großen Rufes genossen, auch spartanische Exerzirmeister und Jnstruktoreu verschrieben zu haben, und noch häufiger erscheinen solche Männer bei barbarischen Fürsten. Sie mögen bei diesen ähnliche Rollen gespielt haben wie europäische Offiziere in der Türkei oder in den Reichen ostindischer Fürsten,*) Von dem lakonischer und attischen Vorbilde weicht die Haltung zunächst derjenigen Stämme ab, bei denen sich nicht das Uebergewicht einer haupt¬ städtischen Verfassung geltend macht. Unter solchen Banervölkern, wie die Aetolier, Arkader und Akarnanen, hat das Bürgeranfgebot vorherrschend den Charakter eines Landsturmes und erscheint reich an leichtbewaffnetem Fußvolk. — Noch größere Abweichungen stellten sich jedoch bei denjenigen Völkern heraus, die dem Reiterthum eine hervorragende Rolle in den Kriegseinrichtungen ge¬ währten. „Wie in der Sage die Kentauren den Lapithen, barbarische eingedrungene Nomadenvölker zu Pferde deu einfachen altpelasgischen Fußkämpfern und Städteerbauern gegenüberstehen, so in der Geschichte die nördlichen Stämme Griechenlands, die Böotier, Phokier, Lokrer und Thessaler, denen des Südens und Ostens."**) Schon der Adel Böotiens hielt eine ansehnliche Reiterei. Ohne An¬ strengung sendete er 600 bis 1000 Ritter, sammt den dazu gehörigen berittenen Knechten in's Feld. Orchomenos besaß allein 800 Ritter, und in Theben erhielten sich die Traditionen des Streitwagenkampfes am längsten. — Die eigentlich ritterliche Landschaft aber ist Thessalien. In den Niederungen des Peneios bewahrten die Nachkommen der Einwanderer die bevorzugte Stellung, welche sie durch die Eroberung gewonnen, mit großer Entschieden¬ heit, und es bildeten sich hier sozialpolitische Zustände heraus, welche in vielen Stücken an die der mittelalterlichen Ritterschaft erinnern. Die Landesart gestattete, im ausgedehntesten Maße Pferdezucht zu treiben, und manche der thessalischen Ritter vermochten zwei- bis dreihundert ihrer Gutsgenvssen beritten zu machen und damit ihre Fehden auf eigene Hand zu führen. In seiner Gesammtheit stellte der thessalische Adel schon im 7. Jcchrhuudert die beste und gefürchtetste Reiterei von Hellas. — Dennoch hat Thessalien in der Blüthe- zeit Griechenlands keine hervorragende Rolle gespielt, weil es nie zu fester *) Rüstows Einleitung zu Asklepiodotes und Aelian. ") Rüstow und Kvchly: Geschichte des Griech. Kriegswesens.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/108>, abgerufen am 15.05.2024.