Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

liehen Grund in der Bewaffnung. Der Heroenzeit galt nämlich die geschützte
Schildseite für die stärkere, und darum richtete man anfänglich den Angriff
womöglich auf den schildlosen rechten Flügel einer Truppe als ans deren
schwache Seite. Indem man nun auf diesen gewohnheitsmäßig angegriffene!?
Flügel, um ihn besser zu schützen, die vorzüglichsten Kräfte aufstellte, wurde
er zum Ehrenplatze. Man wußte ein für allemal, daß wie man selbst die
eigene auserlesene Mannschaft rechts habe, so ständen dieser Auswahl die
minder guten Truppen des Feindes gegenüber. Damit war aber die ganze
Sachlage verändert; der linke Flügel war nunmehr, obgleich die Schildseite,
der schwächere. Ju Folge dessen ging man von dem bisherigen Verfahren,
den rechten Flügel des Feindes als Augriffsobjekt zu wählen, ab und strebte
danach, den linken zu überflügeln. Eine solche Ueberflügelung bedingte den
Halbrechtsvormarsch, welcher zugleich den Vortheil bot, die eigene rechte, also
unbeschildete Seite dem Feinde zu versagen, d. h. von ihm abzuwenden. Nun
bleibt bei jedem Halbrechtsvormarsch erfahrungsmäßig der linke Flügel weiter
zurück als er bei rein diagonaler Durchführung der Bewegung eigentlich sollte;
für die hellenische Schlachtentaktik erwuchs hieraus aber ein Vortheil; denn je
mehr dies geschah, um so mehr wurde der Angriff nach dem "Geradeaus!" ein
eigentlicher Flankenangriff,*) -- Ist man sich auf etwa 200 Schritt genaht, so
wird das Kriegsgeschrei erhoben: "/i."^." e/i^-v; die Spieße werden gefällt,
und unter Trompetengeschmetter stürmt man aufeinander ein. Selten oder nie
kommt es übrigeus auf der ganzen Linie zum stehenden Kampfe; gewöhnlich
wirft sich sofort ein Flügel in die Flucht, ohne daß damit für den Sieger viel
gewonnen wäre. Denn fast immer liegt die Entscheidung da, wo dem feind¬
lichen rechten, überflügelnden Flügel der diesseitige linke, versagte Flügel Stand
hält; wer hier die Oberhand behält, der vermag es in den meisten Fällen,
das Gefecht ans der ganzen Linie zu seinen Gunsten durchzuführen oder zu
wenden.

Der Kampf der Reiter und Leichtbewaffneten mag indessen andauern: er
hat so wenig Werth, daß die Berichterstatter ihn kaum jemals auch nur er¬
wähnen. Uuter allen Umständen neutralisiren sich diese Waffen derart, daß
die Hoplitenphalanx agiren muß, als wären jene gar nicht vorhanden. Darum
auch deckt sie selbst sich durch die Rechtsbeweguug ihre rechte Flanke und
rechnet uicht darauf, daß dies etwa das leichte Fußvolk thue. In dieser
Rechtsbewegung liegt der Keim der weiteren eigenthümlichen Entwickelung der
griechischen Schlachtentaktik; schon jetzt aber ist das Hoplitengefecht kein bloßer
Frontalkampf mehr, fondern ein doppelter Flankenangriff.



Riisww mit Köchly! Geschichte des ariechischc" Kriegswesens.

liehen Grund in der Bewaffnung. Der Heroenzeit galt nämlich die geschützte
Schildseite für die stärkere, und darum richtete man anfänglich den Angriff
womöglich auf den schildlosen rechten Flügel einer Truppe als ans deren
schwache Seite. Indem man nun auf diesen gewohnheitsmäßig angegriffene!?
Flügel, um ihn besser zu schützen, die vorzüglichsten Kräfte aufstellte, wurde
er zum Ehrenplatze. Man wußte ein für allemal, daß wie man selbst die
eigene auserlesene Mannschaft rechts habe, so ständen dieser Auswahl die
minder guten Truppen des Feindes gegenüber. Damit war aber die ganze
Sachlage verändert; der linke Flügel war nunmehr, obgleich die Schildseite,
der schwächere. Ju Folge dessen ging man von dem bisherigen Verfahren,
den rechten Flügel des Feindes als Augriffsobjekt zu wählen, ab und strebte
danach, den linken zu überflügeln. Eine solche Ueberflügelung bedingte den
Halbrechtsvormarsch, welcher zugleich den Vortheil bot, die eigene rechte, also
unbeschildete Seite dem Feinde zu versagen, d. h. von ihm abzuwenden. Nun
bleibt bei jedem Halbrechtsvormarsch erfahrungsmäßig der linke Flügel weiter
zurück als er bei rein diagonaler Durchführung der Bewegung eigentlich sollte;
für die hellenische Schlachtentaktik erwuchs hieraus aber ein Vortheil; denn je
mehr dies geschah, um so mehr wurde der Angriff nach dem „Geradeaus!" ein
eigentlicher Flankenangriff,*) — Ist man sich auf etwa 200 Schritt genaht, so
wird das Kriegsgeschrei erhoben: «/i.«^.« e/i^-v; die Spieße werden gefällt,
und unter Trompetengeschmetter stürmt man aufeinander ein. Selten oder nie
kommt es übrigeus auf der ganzen Linie zum stehenden Kampfe; gewöhnlich
wirft sich sofort ein Flügel in die Flucht, ohne daß damit für den Sieger viel
gewonnen wäre. Denn fast immer liegt die Entscheidung da, wo dem feind¬
lichen rechten, überflügelnden Flügel der diesseitige linke, versagte Flügel Stand
hält; wer hier die Oberhand behält, der vermag es in den meisten Fällen,
das Gefecht ans der ganzen Linie zu seinen Gunsten durchzuführen oder zu
wenden.

Der Kampf der Reiter und Leichtbewaffneten mag indessen andauern: er
hat so wenig Werth, daß die Berichterstatter ihn kaum jemals auch nur er¬
wähnen. Uuter allen Umständen neutralisiren sich diese Waffen derart, daß
die Hoplitenphalanx agiren muß, als wären jene gar nicht vorhanden. Darum
auch deckt sie selbst sich durch die Rechtsbeweguug ihre rechte Flanke und
rechnet uicht darauf, daß dies etwa das leichte Fußvolk thue. In dieser
Rechtsbewegung liegt der Keim der weiteren eigenthümlichen Entwickelung der
griechischen Schlachtentaktik; schon jetzt aber ist das Hoplitengefecht kein bloßer
Frontalkampf mehr, fondern ein doppelter Flankenangriff.



Riisww mit Köchly! Geschichte des ariechischc» Kriegswesens.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0135" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139428"/>
            <p xml:id="ID_388" prev="#ID_387"> liehen Grund in der Bewaffnung. Der Heroenzeit galt nämlich die geschützte<lb/>
Schildseite für die stärkere, und darum richtete man anfänglich den Angriff<lb/>
womöglich auf den schildlosen rechten Flügel einer Truppe als ans deren<lb/>
schwache Seite. Indem man nun auf diesen gewohnheitsmäßig angegriffene!?<lb/>
Flügel, um ihn besser zu schützen, die vorzüglichsten Kräfte aufstellte, wurde<lb/>
er zum Ehrenplatze. Man wußte ein für allemal, daß wie man selbst die<lb/>
eigene auserlesene Mannschaft rechts habe, so ständen dieser Auswahl die<lb/>
minder guten Truppen des Feindes gegenüber. Damit war aber die ganze<lb/>
Sachlage verändert; der linke Flügel war nunmehr, obgleich die Schildseite,<lb/>
der schwächere. Ju Folge dessen ging man von dem bisherigen Verfahren,<lb/>
den rechten Flügel des Feindes als Augriffsobjekt zu wählen, ab und strebte<lb/>
danach, den linken zu überflügeln. Eine solche Ueberflügelung bedingte den<lb/>
Halbrechtsvormarsch, welcher zugleich den Vortheil bot, die eigene rechte, also<lb/>
unbeschildete Seite dem Feinde zu versagen, d. h. von ihm abzuwenden. Nun<lb/>
bleibt bei jedem Halbrechtsvormarsch erfahrungsmäßig der linke Flügel weiter<lb/>
zurück als er bei rein diagonaler Durchführung der Bewegung eigentlich sollte;<lb/>
für die hellenische Schlachtentaktik erwuchs hieraus aber ein Vortheil; denn je<lb/>
mehr dies geschah, um so mehr wurde der Angriff nach dem &#x201E;Geradeaus!" ein<lb/>
eigentlicher Flankenangriff,*) &#x2014; Ist man sich auf etwa 200 Schritt genaht, so<lb/>
wird das Kriegsgeschrei erhoben: «/i.«^.« e/i^-v; die Spieße werden gefällt,<lb/>
und unter Trompetengeschmetter stürmt man aufeinander ein. Selten oder nie<lb/>
kommt es übrigeus auf der ganzen Linie zum stehenden Kampfe; gewöhnlich<lb/>
wirft sich sofort ein Flügel in die Flucht, ohne daß damit für den Sieger viel<lb/>
gewonnen wäre. Denn fast immer liegt die Entscheidung da, wo dem feind¬<lb/>
lichen rechten, überflügelnden Flügel der diesseitige linke, versagte Flügel Stand<lb/>
hält; wer hier die Oberhand behält, der vermag es in den meisten Fällen,<lb/>
das Gefecht ans der ganzen Linie zu seinen Gunsten durchzuführen oder zu<lb/>
wenden.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_389"> Der Kampf der Reiter und Leichtbewaffneten mag indessen andauern: er<lb/>
hat so wenig Werth, daß die Berichterstatter ihn kaum jemals auch nur er¬<lb/>
wähnen. Uuter allen Umständen neutralisiren sich diese Waffen derart, daß<lb/>
die Hoplitenphalanx agiren muß, als wären jene gar nicht vorhanden. Darum<lb/>
auch deckt sie selbst sich durch die Rechtsbeweguug ihre rechte Flanke und<lb/>
rechnet uicht darauf, daß dies etwa das leichte Fußvolk thue. In dieser<lb/>
Rechtsbewegung liegt der Keim der weiteren eigenthümlichen Entwickelung der<lb/>
griechischen Schlachtentaktik; schon jetzt aber ist das Hoplitengefecht kein bloßer<lb/>
Frontalkampf mehr, fondern ein doppelter Flankenangriff.</p><lb/>
            <note xml:id="FID_57" place="foot"> Riisww mit Köchly! Geschichte des ariechischc» Kriegswesens.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0135] liehen Grund in der Bewaffnung. Der Heroenzeit galt nämlich die geschützte Schildseite für die stärkere, und darum richtete man anfänglich den Angriff womöglich auf den schildlosen rechten Flügel einer Truppe als ans deren schwache Seite. Indem man nun auf diesen gewohnheitsmäßig angegriffene!? Flügel, um ihn besser zu schützen, die vorzüglichsten Kräfte aufstellte, wurde er zum Ehrenplatze. Man wußte ein für allemal, daß wie man selbst die eigene auserlesene Mannschaft rechts habe, so ständen dieser Auswahl die minder guten Truppen des Feindes gegenüber. Damit war aber die ganze Sachlage verändert; der linke Flügel war nunmehr, obgleich die Schildseite, der schwächere. Ju Folge dessen ging man von dem bisherigen Verfahren, den rechten Flügel des Feindes als Augriffsobjekt zu wählen, ab und strebte danach, den linken zu überflügeln. Eine solche Ueberflügelung bedingte den Halbrechtsvormarsch, welcher zugleich den Vortheil bot, die eigene rechte, also unbeschildete Seite dem Feinde zu versagen, d. h. von ihm abzuwenden. Nun bleibt bei jedem Halbrechtsvormarsch erfahrungsmäßig der linke Flügel weiter zurück als er bei rein diagonaler Durchführung der Bewegung eigentlich sollte; für die hellenische Schlachtentaktik erwuchs hieraus aber ein Vortheil; denn je mehr dies geschah, um so mehr wurde der Angriff nach dem „Geradeaus!" ein eigentlicher Flankenangriff,*) — Ist man sich auf etwa 200 Schritt genaht, so wird das Kriegsgeschrei erhoben: «/i.«^.« e/i^-v; die Spieße werden gefällt, und unter Trompetengeschmetter stürmt man aufeinander ein. Selten oder nie kommt es übrigeus auf der ganzen Linie zum stehenden Kampfe; gewöhnlich wirft sich sofort ein Flügel in die Flucht, ohne daß damit für den Sieger viel gewonnen wäre. Denn fast immer liegt die Entscheidung da, wo dem feind¬ lichen rechten, überflügelnden Flügel der diesseitige linke, versagte Flügel Stand hält; wer hier die Oberhand behält, der vermag es in den meisten Fällen, das Gefecht ans der ganzen Linie zu seinen Gunsten durchzuführen oder zu wenden. Der Kampf der Reiter und Leichtbewaffneten mag indessen andauern: er hat so wenig Werth, daß die Berichterstatter ihn kaum jemals auch nur er¬ wähnen. Uuter allen Umständen neutralisiren sich diese Waffen derart, daß die Hoplitenphalanx agiren muß, als wären jene gar nicht vorhanden. Darum auch deckt sie selbst sich durch die Rechtsbeweguug ihre rechte Flanke und rechnet uicht darauf, daß dies etwa das leichte Fußvolk thue. In dieser Rechtsbewegung liegt der Keim der weiteren eigenthümlichen Entwickelung der griechischen Schlachtentaktik; schon jetzt aber ist das Hoplitengefecht kein bloßer Frontalkampf mehr, fondern ein doppelter Flankenangriff. Riisww mit Köchly! Geschichte des ariechischc» Kriegswesens.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/135
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/135>, abgerufen am 15.05.2024.