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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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schloß, denen ausgezeichnete Thaten oder großer Reichthum besonderen, fürst¬
lichen Glanz verliehen. Um dieselbe Zeit streben die einander befehdenden
Stämme, sich feste Zufluchtsorte zu verschaffen, und es beginnt der Burgenbau,
dessen urciltest ehrwürdige Denkmäler die Akropolen von Tiryns, Orchomenos
und Mykene sind.

Indem sich so die ersten Ansiedler gegenüber den räuberischen, noch noma-
disirenden Stammverwandten behaupteten, brachte sie die See, welche an den
beackerten Boden schlug, in Verbindung mit den meerbefahrenden Völkern jen¬
seits des ägäischen Meeres. Tyrus und Sidon tauschten gegen die Rohprodukte
des griechischen Bodens ihre Schätze ans, und unter vielen anderen guten
Dingen, sind es namentlich auch Rüstungen und Waffen, welche die Griechen
von den Phönikern empfangen. Assyrische Typen sind in der älteren Bewaff¬
nung der Griechen unverkennbar.

Allmählig faßten die Phöniker auf den Inseln und den Ostküsten der
griechischen Halbinsel Fuß. Die Gefahr, sich selbst zu verlieren, welche den
jungen einheimischen Aussiedlungen bisher vom Gebirge gedroht, trat ihnen jetzt
von der See her nahe. Es bedürfte einer strafferen Handhabung der fürst¬
lichen Lokalgewalten, um die Griechen zu ausreichendem kriegerischen Widerstande
zu befähigen. Die erbliche Autorität erlauchter Heldengeschlechter kommt dem
entgegen. Die Göttersöhne, die Zeusentsprossenen, sind die natürlichen Führer
des Volks. Königsherrschaften von bedeutender Macht kommen empor; ein
bewegtes waffenfreudiges Leben regt sich überall; der Mann, der sich dem
Kampf entzieht, wird "der Erd unnütze Belastung" genannt. Im 12. oder
11. Jahrhundert werden die Phöniker wieder von den eüropäschen Ufern ver¬
trieben, im 10. Jahrhundert die Inseln des ägäischen Meeres und die klein-
nsiatische Küste erobert. In diese Zeiten fallen die Kämpfe, welche den histo¬
rischen Kern der Sagen von Ilion bilden, die etwa zwei Jahrhunderte später
(um 850) Homers unsterbliches Gedicht verherrlicht hat. Bei den Einleitungen
zum trojanischen Kriege werden die ersten Spuren allgemeiner Wehrverpflichtnng
erkennbar. Jedes Haus scheint wenigstens einen Mann gestellt zu haben, und
nur wo mehre Söhne waren, entschied wohl das Loos. So sagt Hermes, in¬
dem er sich sür einen Sohn des Myrmidonen Polyktor ausgiebt, daß ihn
unter seinen 7 Brüdern das Loos getroffen habe, dem Achilleus nach Troja
zu folgen. Unerhört scheint übrigens auch der Loskauf nicht gewesen zu sein;
denn die Jliade erzählt, daß ein reicher Sikyonier dem Agamemnon eine Stute
geschenkt habe, um von der Theilnahme an der Heerfahrt befreit zu werden.
Plutarch freilich erblickt in diesem Zuge nur einen Beweis für die Klugheit
des Königs gegenüber einem Feiglinge. -- Die zusammengefaßte Volkskraft
der Achaier war es, welche den Kampf gegen Asien glücklich zu Ende führte.


schloß, denen ausgezeichnete Thaten oder großer Reichthum besonderen, fürst¬
lichen Glanz verliehen. Um dieselbe Zeit streben die einander befehdenden
Stämme, sich feste Zufluchtsorte zu verschaffen, und es beginnt der Burgenbau,
dessen urciltest ehrwürdige Denkmäler die Akropolen von Tiryns, Orchomenos
und Mykene sind.

Indem sich so die ersten Ansiedler gegenüber den räuberischen, noch noma-
disirenden Stammverwandten behaupteten, brachte sie die See, welche an den
beackerten Boden schlug, in Verbindung mit den meerbefahrenden Völkern jen¬
seits des ägäischen Meeres. Tyrus und Sidon tauschten gegen die Rohprodukte
des griechischen Bodens ihre Schätze ans, und unter vielen anderen guten
Dingen, sind es namentlich auch Rüstungen und Waffen, welche die Griechen
von den Phönikern empfangen. Assyrische Typen sind in der älteren Bewaff¬
nung der Griechen unverkennbar.

Allmählig faßten die Phöniker auf den Inseln und den Ostküsten der
griechischen Halbinsel Fuß. Die Gefahr, sich selbst zu verlieren, welche den
jungen einheimischen Aussiedlungen bisher vom Gebirge gedroht, trat ihnen jetzt
von der See her nahe. Es bedürfte einer strafferen Handhabung der fürst¬
lichen Lokalgewalten, um die Griechen zu ausreichendem kriegerischen Widerstande
zu befähigen. Die erbliche Autorität erlauchter Heldengeschlechter kommt dem
entgegen. Die Göttersöhne, die Zeusentsprossenen, sind die natürlichen Führer
des Volks. Königsherrschaften von bedeutender Macht kommen empor; ein
bewegtes waffenfreudiges Leben regt sich überall; der Mann, der sich dem
Kampf entzieht, wird „der Erd unnütze Belastung" genannt. Im 12. oder
11. Jahrhundert werden die Phöniker wieder von den eüropäschen Ufern ver¬
trieben, im 10. Jahrhundert die Inseln des ägäischen Meeres und die klein-
nsiatische Küste erobert. In diese Zeiten fallen die Kämpfe, welche den histo¬
rischen Kern der Sagen von Ilion bilden, die etwa zwei Jahrhunderte später
(um 850) Homers unsterbliches Gedicht verherrlicht hat. Bei den Einleitungen
zum trojanischen Kriege werden die ersten Spuren allgemeiner Wehrverpflichtnng
erkennbar. Jedes Haus scheint wenigstens einen Mann gestellt zu haben, und
nur wo mehre Söhne waren, entschied wohl das Loos. So sagt Hermes, in¬
dem er sich sür einen Sohn des Myrmidonen Polyktor ausgiebt, daß ihn
unter seinen 7 Brüdern das Loos getroffen habe, dem Achilleus nach Troja
zu folgen. Unerhört scheint übrigens auch der Loskauf nicht gewesen zu sein;
denn die Jliade erzählt, daß ein reicher Sikyonier dem Agamemnon eine Stute
geschenkt habe, um von der Theilnahme an der Heerfahrt befreit zu werden.
Plutarch freilich erblickt in diesem Zuge nur einen Beweis für die Klugheit
des Königs gegenüber einem Feiglinge. — Die zusammengefaßte Volkskraft
der Achaier war es, welche den Kampf gegen Asien glücklich zu Ende führte.


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[0014] schloß, denen ausgezeichnete Thaten oder großer Reichthum besonderen, fürst¬ lichen Glanz verliehen. Um dieselbe Zeit streben die einander befehdenden Stämme, sich feste Zufluchtsorte zu verschaffen, und es beginnt der Burgenbau, dessen urciltest ehrwürdige Denkmäler die Akropolen von Tiryns, Orchomenos und Mykene sind. Indem sich so die ersten Ansiedler gegenüber den räuberischen, noch noma- disirenden Stammverwandten behaupteten, brachte sie die See, welche an den beackerten Boden schlug, in Verbindung mit den meerbefahrenden Völkern jen¬ seits des ägäischen Meeres. Tyrus und Sidon tauschten gegen die Rohprodukte des griechischen Bodens ihre Schätze ans, und unter vielen anderen guten Dingen, sind es namentlich auch Rüstungen und Waffen, welche die Griechen von den Phönikern empfangen. Assyrische Typen sind in der älteren Bewaff¬ nung der Griechen unverkennbar. Allmählig faßten die Phöniker auf den Inseln und den Ostküsten der griechischen Halbinsel Fuß. Die Gefahr, sich selbst zu verlieren, welche den jungen einheimischen Aussiedlungen bisher vom Gebirge gedroht, trat ihnen jetzt von der See her nahe. Es bedürfte einer strafferen Handhabung der fürst¬ lichen Lokalgewalten, um die Griechen zu ausreichendem kriegerischen Widerstande zu befähigen. Die erbliche Autorität erlauchter Heldengeschlechter kommt dem entgegen. Die Göttersöhne, die Zeusentsprossenen, sind die natürlichen Führer des Volks. Königsherrschaften von bedeutender Macht kommen empor; ein bewegtes waffenfreudiges Leben regt sich überall; der Mann, der sich dem Kampf entzieht, wird „der Erd unnütze Belastung" genannt. Im 12. oder 11. Jahrhundert werden die Phöniker wieder von den eüropäschen Ufern ver¬ trieben, im 10. Jahrhundert die Inseln des ägäischen Meeres und die klein- nsiatische Küste erobert. In diese Zeiten fallen die Kämpfe, welche den histo¬ rischen Kern der Sagen von Ilion bilden, die etwa zwei Jahrhunderte später (um 850) Homers unsterbliches Gedicht verherrlicht hat. Bei den Einleitungen zum trojanischen Kriege werden die ersten Spuren allgemeiner Wehrverpflichtnng erkennbar. Jedes Haus scheint wenigstens einen Mann gestellt zu haben, und nur wo mehre Söhne waren, entschied wohl das Loos. So sagt Hermes, in¬ dem er sich sür einen Sohn des Myrmidonen Polyktor ausgiebt, daß ihn unter seinen 7 Brüdern das Loos getroffen habe, dem Achilleus nach Troja zu folgen. Unerhört scheint übrigens auch der Loskauf nicht gewesen zu sein; denn die Jliade erzählt, daß ein reicher Sikyonier dem Agamemnon eine Stute geschenkt habe, um von der Theilnahme an der Heerfahrt befreit zu werden. Plutarch freilich erblickt in diesem Zuge nur einen Beweis für die Klugheit des Königs gegenüber einem Feiglinge. — Die zusammengefaßte Volkskraft der Achaier war es, welche den Kampf gegen Asien glücklich zu Ende führte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/14>, abgerufen am 14.05.2024.