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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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War die Abfahrt der Flotte bestimmt, so schmückte man die Schiffe
mit Kranzgewinden und Blumen, opferte den Göttern der See und richtete
Gebete an sie, auf daß die Unternehmung gelinge. Dann erfolgte vom Admiral¬
schiffe aus bei Tage mit Trompetenschall, bei Nacht mit Fackeln das Zeichen
des Aufbruchs. Die kleineren Fahrzeuge schwammen voraus; die großen,
kampfgerüsteten Hauptschiffe folgten, und ihnen schlössen sich in genau be¬
stimmter Ordnung die Last- und Proviantschiffe sowie Alles, was sonst noch
an Kähnen zur Flotte gehören mochte, an.

Stand eine Schlacht in Aussicht, so wurden die großen Segel des
Hauptmastes als Hindernisse herab genommen, ja zuweilen irgendwo auf dem
Lande zurückgelassen. Auch der Hauptmast wurde in der Schlacht niederge¬
lassen; dagegen zog man das kleine Segel des Vordermastes auf, um zu
fliehen oder zu verfolgen. Zuweilen entfernte man fogar die Wahrzeichen der
Schiffe, um den Feind irre zu führen, ein Verfahren, das z. B. Chabrias,
der Athener, gegenüber den Spartanern bei Naxos in Anwendung brachte.

Die Seetaktik war ziemlich einfacher Natur.*) Wesentlich sind es zwei
Manöver, welche in Anwendung kommen. Das erste besteht darin, daß man
den Feind zu rannen suchte, d. h. daß man dem gegnerischen Fahrzeuge
die Flanke abzugewinnen strebte und ihm dann, plötzlich mit aller Macht vor¬
wärtsschießend, den metallenen Schiffsschnabel in die Seite rannte. Das zweite
Manöver bezweckt, den Feind seiner Ruder zu berauben und ihn dadurch
unbeweglich zu machen. Zu dem Ende fuhr man, selbst rechtzeitig die Ruder
beilegend, mit höchster Kraft so unmittelbar an einem feindlichen Schiffe vor¬
bei, daß diesem die Gewalt der Fahrt die Ruder abstreifte. Zuerst erwähnt
Herodot ein solches Verfahren bei dem Aufstande der ionischen Griechen. Es
wurde in allen späteren Seeschlachten wiederholt. In Bezug auf Artemision
sagt Herodot z. B.: "Die Hellenen fuhren auf die Barbaren los, um sich mit
ihnen zu versuchen in ihrer Kampfweise und der Zwischen durch fahrt.
Auf eine solche, d. h. auf das geschickte wirkungsvolle Durchfahren zwischen
zwei feindlichen Schiffen, kam nämlich in der geschlossenen Schlacht jener
Versuch des Ruderabstreifeus stets hinaus. ^ Um nnn einen solchen Durch¬
bruch zu hindern, ordnete man entweder seine Schiffe in zwei Treffen hinter¬
einander an, oder man ließ die Schiffe ganz dicht neben einander fahren, in¬
dem man zugleich die Front bogenförmig gestaltete. Der "Halbmond", der
feine Hörner dem Feinde entgegenstreckte, oder die "Sichel", deren äußere Bie¬



der Aeginete Polukritos des attischen Schiffes ansichtig ward, erkannte er es am Wahrzeichen
für das Feldherrnschiff, rief den Themistokles beim Namen und spottete seiner."
"
*) Vergl. hiezu Rast "Einleitung in die griech. Kriegsalterthümer, Göll a. a. O, und
Lullier "Dsss.i "ur I'Kistou's as lo. tÄoll<las in>,viUv," Paris 18S7.
Grenzboten I. 187L. 1s

War die Abfahrt der Flotte bestimmt, so schmückte man die Schiffe
mit Kranzgewinden und Blumen, opferte den Göttern der See und richtete
Gebete an sie, auf daß die Unternehmung gelinge. Dann erfolgte vom Admiral¬
schiffe aus bei Tage mit Trompetenschall, bei Nacht mit Fackeln das Zeichen
des Aufbruchs. Die kleineren Fahrzeuge schwammen voraus; die großen,
kampfgerüsteten Hauptschiffe folgten, und ihnen schlössen sich in genau be¬
stimmter Ordnung die Last- und Proviantschiffe sowie Alles, was sonst noch
an Kähnen zur Flotte gehören mochte, an.

Stand eine Schlacht in Aussicht, so wurden die großen Segel des
Hauptmastes als Hindernisse herab genommen, ja zuweilen irgendwo auf dem
Lande zurückgelassen. Auch der Hauptmast wurde in der Schlacht niederge¬
lassen; dagegen zog man das kleine Segel des Vordermastes auf, um zu
fliehen oder zu verfolgen. Zuweilen entfernte man fogar die Wahrzeichen der
Schiffe, um den Feind irre zu führen, ein Verfahren, das z. B. Chabrias,
der Athener, gegenüber den Spartanern bei Naxos in Anwendung brachte.

Die Seetaktik war ziemlich einfacher Natur.*) Wesentlich sind es zwei
Manöver, welche in Anwendung kommen. Das erste besteht darin, daß man
den Feind zu rannen suchte, d. h. daß man dem gegnerischen Fahrzeuge
die Flanke abzugewinnen strebte und ihm dann, plötzlich mit aller Macht vor¬
wärtsschießend, den metallenen Schiffsschnabel in die Seite rannte. Das zweite
Manöver bezweckt, den Feind seiner Ruder zu berauben und ihn dadurch
unbeweglich zu machen. Zu dem Ende fuhr man, selbst rechtzeitig die Ruder
beilegend, mit höchster Kraft so unmittelbar an einem feindlichen Schiffe vor¬
bei, daß diesem die Gewalt der Fahrt die Ruder abstreifte. Zuerst erwähnt
Herodot ein solches Verfahren bei dem Aufstande der ionischen Griechen. Es
wurde in allen späteren Seeschlachten wiederholt. In Bezug auf Artemision
sagt Herodot z. B.: „Die Hellenen fuhren auf die Barbaren los, um sich mit
ihnen zu versuchen in ihrer Kampfweise und der Zwischen durch fahrt.
Auf eine solche, d. h. auf das geschickte wirkungsvolle Durchfahren zwischen
zwei feindlichen Schiffen, kam nämlich in der geschlossenen Schlacht jener
Versuch des Ruderabstreifeus stets hinaus. ^ Um nnn einen solchen Durch¬
bruch zu hindern, ordnete man entweder seine Schiffe in zwei Treffen hinter¬
einander an, oder man ließ die Schiffe ganz dicht neben einander fahren, in¬
dem man zugleich die Front bogenförmig gestaltete. Der „Halbmond", der
feine Hörner dem Feinde entgegenstreckte, oder die „Sichel", deren äußere Bie¬



der Aeginete Polukritos des attischen Schiffes ansichtig ward, erkannte er es am Wahrzeichen
für das Feldherrnschiff, rief den Themistokles beim Namen und spottete seiner."
"
*) Vergl. hiezu Rast „Einleitung in die griech. Kriegsalterthümer, Göll a. a. O, und
Lullier „Dsss.i «ur I'Kistou's as lo. tÄoll<las in>,viUv," Paris 18S7.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/145>, abgerufen am 30.05.2024.