Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Zahl derer, welche jene glanzvolle Epoche der deutschen Kunstgeschichte
inangurirten und werkthätig durchlebten, wird kleiner und kleiner. Noch jüngst
betrauerten wir das Hinscheiden Philipp Veith, der nach Overbeck Cornelius
am nächsten stand. Gering ist auch die Zahl der Männer, die noch heute
durch Wort und Schrift bemüht sind, die Erinnerung an jene große Zeit unter
den Gebildeten der Nation und im Volke rege zu erhalten. Einer der thätigsten
unter ihnen ist Dr. Max Jordan, der Direktor der Berliner Nationalgalerie.
Die seiner Obhut anvertraute Sammlung hat er gewissermaßen zu einem
Heiligthum der neueren deutschen Kunst gemacht, zu einem Heiligthum, wo die
Kartons des Cornelius eine bleibende Stätte gefunden haben. Seit zwei
Jahren veranstaltet er in dein obersten Stockwerk der Nationalgalerie perio¬
dische Ausstellungen, durch welche er vorzugsweise das Verständniß für die
Meister jener Zeit in weitere Kreisen zu tragen sucht. Seinen Bemühungen
war es gelungen, aus Rethels Nachlaß, aus den Mappen der Sammler, aus
öffentlichen Galerien eine erstaunliche Menge von Handzeichnungen, Studien
und Skizzen des großen Historienmalers zu einer Gesammtausstellung zu ver¬
einigen, die uns einen vollständigen Ueberblick über die künstlerische Entwicklung
und das Schaffen des Meisters gewährte. Ein ähnliches gelang ihm mit
Ftthrich und Overbeck, jetzt hat er den Freunden der Kunst eine Ausstellung
von Gemälden, Aquarellen, Zeichnungen, Skizzen und Studien Julius
Schmorr's von Carolsfeld eröffnet, die nicht weniger als 450 Nummern
umfaßt und uns einen willkommenen Anlaß und zugleich das zuverlässigste
Material zu einer Charakteristik des Meisters bietet.

Julius Schmorr ergänzte in mehr als einer Hinsicht den strengen, ein¬
seitigen, gegen fremde Einflüsse abgeschlossenen Cornelius. Sein mildes, nach¬
giebiges Temperament neigte mehr dem Romantischen und Poetischen zu. Die
Herbheit der Formen, die Cornelius eigenthümlich ist, ist ihm fremd. Er hat
einen empfänglichen Sinn für weibliche Schönheit und bildet anmuthige Frauen,
wo Cornelius ernste Heroinen schuf. Sein erstes größeres Werk, eine Reihe
von Fresken nach Ariostos rasendem Roland, entsprach ebenso sehr seiner
geistigen Richtung als es von nachhaltigem Einfluß auf seinen künstlerischen
Charakter war. Er ist ein ritterlicher Romantiker, auf dessen Banner das
Jdealschöne in zauberischer Klarheit prangt. Daneben fehlt ihm keineswegs
der Sinn für das Erhabene und die Fähigkeit, es darzustellen. Seit Dürer
hat es wohl kein deutscher Meister verstanden, die Majestät Gottes in so er¬
habener, ehrfurchtgebietender Weise und doch so echt menschlich zu verkörpern,
wie es Schmorr in den Illustrationen zur Bibel gethan. Wo Cornelius den
strengen, zürnenden Richter bildet, läßt uns Schmorr die Gnade des liebenden
Vaters leuchten. Er beherrscht das idyllische Element ebenso sicher wie das


Die Zahl derer, welche jene glanzvolle Epoche der deutschen Kunstgeschichte
inangurirten und werkthätig durchlebten, wird kleiner und kleiner. Noch jüngst
betrauerten wir das Hinscheiden Philipp Veith, der nach Overbeck Cornelius
am nächsten stand. Gering ist auch die Zahl der Männer, die noch heute
durch Wort und Schrift bemüht sind, die Erinnerung an jene große Zeit unter
den Gebildeten der Nation und im Volke rege zu erhalten. Einer der thätigsten
unter ihnen ist Dr. Max Jordan, der Direktor der Berliner Nationalgalerie.
Die seiner Obhut anvertraute Sammlung hat er gewissermaßen zu einem
Heiligthum der neueren deutschen Kunst gemacht, zu einem Heiligthum, wo die
Kartons des Cornelius eine bleibende Stätte gefunden haben. Seit zwei
Jahren veranstaltet er in dein obersten Stockwerk der Nationalgalerie perio¬
dische Ausstellungen, durch welche er vorzugsweise das Verständniß für die
Meister jener Zeit in weitere Kreisen zu tragen sucht. Seinen Bemühungen
war es gelungen, aus Rethels Nachlaß, aus den Mappen der Sammler, aus
öffentlichen Galerien eine erstaunliche Menge von Handzeichnungen, Studien
und Skizzen des großen Historienmalers zu einer Gesammtausstellung zu ver¬
einigen, die uns einen vollständigen Ueberblick über die künstlerische Entwicklung
und das Schaffen des Meisters gewährte. Ein ähnliches gelang ihm mit
Ftthrich und Overbeck, jetzt hat er den Freunden der Kunst eine Ausstellung
von Gemälden, Aquarellen, Zeichnungen, Skizzen und Studien Julius
Schmorr's von Carolsfeld eröffnet, die nicht weniger als 450 Nummern
umfaßt und uns einen willkommenen Anlaß und zugleich das zuverlässigste
Material zu einer Charakteristik des Meisters bietet.

Julius Schmorr ergänzte in mehr als einer Hinsicht den strengen, ein¬
seitigen, gegen fremde Einflüsse abgeschlossenen Cornelius. Sein mildes, nach¬
giebiges Temperament neigte mehr dem Romantischen und Poetischen zu. Die
Herbheit der Formen, die Cornelius eigenthümlich ist, ist ihm fremd. Er hat
einen empfänglichen Sinn für weibliche Schönheit und bildet anmuthige Frauen,
wo Cornelius ernste Heroinen schuf. Sein erstes größeres Werk, eine Reihe
von Fresken nach Ariostos rasendem Roland, entsprach ebenso sehr seiner
geistigen Richtung als es von nachhaltigem Einfluß auf seinen künstlerischen
Charakter war. Er ist ein ritterlicher Romantiker, auf dessen Banner das
Jdealschöne in zauberischer Klarheit prangt. Daneben fehlt ihm keineswegs
der Sinn für das Erhabene und die Fähigkeit, es darzustellen. Seit Dürer
hat es wohl kein deutscher Meister verstanden, die Majestät Gottes in so er¬
habener, ehrfurchtgebietender Weise und doch so echt menschlich zu verkörpern,
wie es Schmorr in den Illustrationen zur Bibel gethan. Wo Cornelius den
strengen, zürnenden Richter bildet, läßt uns Schmorr die Gnade des liebenden
Vaters leuchten. Er beherrscht das idyllische Element ebenso sicher wie das


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0148" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139441"/>
          <p xml:id="ID_434"> Die Zahl derer, welche jene glanzvolle Epoche der deutschen Kunstgeschichte<lb/>
inangurirten und werkthätig durchlebten, wird kleiner und kleiner. Noch jüngst<lb/>
betrauerten wir das Hinscheiden Philipp Veith, der nach Overbeck Cornelius<lb/>
am nächsten stand. Gering ist auch die Zahl der Männer, die noch heute<lb/>
durch Wort und Schrift bemüht sind, die Erinnerung an jene große Zeit unter<lb/>
den Gebildeten der Nation und im Volke rege zu erhalten. Einer der thätigsten<lb/>
unter ihnen ist Dr. Max Jordan, der Direktor der Berliner Nationalgalerie.<lb/>
Die seiner Obhut anvertraute Sammlung hat er gewissermaßen zu einem<lb/>
Heiligthum der neueren deutschen Kunst gemacht, zu einem Heiligthum, wo die<lb/>
Kartons des Cornelius eine bleibende Stätte gefunden haben. Seit zwei<lb/>
Jahren veranstaltet er in dein obersten Stockwerk der Nationalgalerie perio¬<lb/>
dische Ausstellungen, durch welche er vorzugsweise das Verständniß für die<lb/>
Meister jener Zeit in weitere Kreisen zu tragen sucht. Seinen Bemühungen<lb/>
war es gelungen, aus Rethels Nachlaß, aus den Mappen der Sammler, aus<lb/>
öffentlichen Galerien eine erstaunliche Menge von Handzeichnungen, Studien<lb/>
und Skizzen des großen Historienmalers zu einer Gesammtausstellung zu ver¬<lb/>
einigen, die uns einen vollständigen Ueberblick über die künstlerische Entwicklung<lb/>
und das Schaffen des Meisters gewährte. Ein ähnliches gelang ihm mit<lb/>
Ftthrich und Overbeck, jetzt hat er den Freunden der Kunst eine Ausstellung<lb/>
von Gemälden, Aquarellen, Zeichnungen, Skizzen und Studien Julius<lb/>
Schmorr's von Carolsfeld eröffnet, die nicht weniger als 450 Nummern<lb/>
umfaßt und uns einen willkommenen Anlaß und zugleich das zuverlässigste<lb/>
Material zu einer Charakteristik des Meisters bietet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_435" next="#ID_436"> Julius Schmorr ergänzte in mehr als einer Hinsicht den strengen, ein¬<lb/>
seitigen, gegen fremde Einflüsse abgeschlossenen Cornelius. Sein mildes, nach¬<lb/>
giebiges Temperament neigte mehr dem Romantischen und Poetischen zu. Die<lb/>
Herbheit der Formen, die Cornelius eigenthümlich ist, ist ihm fremd. Er hat<lb/>
einen empfänglichen Sinn für weibliche Schönheit und bildet anmuthige Frauen,<lb/>
wo Cornelius ernste Heroinen schuf. Sein erstes größeres Werk, eine Reihe<lb/>
von Fresken nach Ariostos rasendem Roland, entsprach ebenso sehr seiner<lb/>
geistigen Richtung als es von nachhaltigem Einfluß auf seinen künstlerischen<lb/>
Charakter war. Er ist ein ritterlicher Romantiker, auf dessen Banner das<lb/>
Jdealschöne in zauberischer Klarheit prangt. Daneben fehlt ihm keineswegs<lb/>
der Sinn für das Erhabene und die Fähigkeit, es darzustellen. Seit Dürer<lb/>
hat es wohl kein deutscher Meister verstanden, die Majestät Gottes in so er¬<lb/>
habener, ehrfurchtgebietender Weise und doch so echt menschlich zu verkörpern,<lb/>
wie es Schmorr in den Illustrationen zur Bibel gethan. Wo Cornelius den<lb/>
strengen, zürnenden Richter bildet, läßt uns Schmorr die Gnade des liebenden<lb/>
Vaters leuchten. Er beherrscht das idyllische Element ebenso sicher wie das</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0148] Die Zahl derer, welche jene glanzvolle Epoche der deutschen Kunstgeschichte inangurirten und werkthätig durchlebten, wird kleiner und kleiner. Noch jüngst betrauerten wir das Hinscheiden Philipp Veith, der nach Overbeck Cornelius am nächsten stand. Gering ist auch die Zahl der Männer, die noch heute durch Wort und Schrift bemüht sind, die Erinnerung an jene große Zeit unter den Gebildeten der Nation und im Volke rege zu erhalten. Einer der thätigsten unter ihnen ist Dr. Max Jordan, der Direktor der Berliner Nationalgalerie. Die seiner Obhut anvertraute Sammlung hat er gewissermaßen zu einem Heiligthum der neueren deutschen Kunst gemacht, zu einem Heiligthum, wo die Kartons des Cornelius eine bleibende Stätte gefunden haben. Seit zwei Jahren veranstaltet er in dein obersten Stockwerk der Nationalgalerie perio¬ dische Ausstellungen, durch welche er vorzugsweise das Verständniß für die Meister jener Zeit in weitere Kreisen zu tragen sucht. Seinen Bemühungen war es gelungen, aus Rethels Nachlaß, aus den Mappen der Sammler, aus öffentlichen Galerien eine erstaunliche Menge von Handzeichnungen, Studien und Skizzen des großen Historienmalers zu einer Gesammtausstellung zu ver¬ einigen, die uns einen vollständigen Ueberblick über die künstlerische Entwicklung und das Schaffen des Meisters gewährte. Ein ähnliches gelang ihm mit Ftthrich und Overbeck, jetzt hat er den Freunden der Kunst eine Ausstellung von Gemälden, Aquarellen, Zeichnungen, Skizzen und Studien Julius Schmorr's von Carolsfeld eröffnet, die nicht weniger als 450 Nummern umfaßt und uns einen willkommenen Anlaß und zugleich das zuverlässigste Material zu einer Charakteristik des Meisters bietet. Julius Schmorr ergänzte in mehr als einer Hinsicht den strengen, ein¬ seitigen, gegen fremde Einflüsse abgeschlossenen Cornelius. Sein mildes, nach¬ giebiges Temperament neigte mehr dem Romantischen und Poetischen zu. Die Herbheit der Formen, die Cornelius eigenthümlich ist, ist ihm fremd. Er hat einen empfänglichen Sinn für weibliche Schönheit und bildet anmuthige Frauen, wo Cornelius ernste Heroinen schuf. Sein erstes größeres Werk, eine Reihe von Fresken nach Ariostos rasendem Roland, entsprach ebenso sehr seiner geistigen Richtung als es von nachhaltigem Einfluß auf seinen künstlerischen Charakter war. Er ist ein ritterlicher Romantiker, auf dessen Banner das Jdealschöne in zauberischer Klarheit prangt. Daneben fehlt ihm keineswegs der Sinn für das Erhabene und die Fähigkeit, es darzustellen. Seit Dürer hat es wohl kein deutscher Meister verstanden, die Majestät Gottes in so er¬ habener, ehrfurchtgebietender Weise und doch so echt menschlich zu verkörpern, wie es Schmorr in den Illustrationen zur Bibel gethan. Wo Cornelius den strengen, zürnenden Richter bildet, läßt uns Schmorr die Gnade des liebenden Vaters leuchten. Er beherrscht das idyllische Element ebenso sicher wie das

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/148
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/148>, abgerufen am 14.05.2024.