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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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allerdings geistig und sittlich höher stand, wie heutzutage, mit viel zu freund¬
lichen Augen betrachteten und in den hohlen Rodomontaden der gewerbsmäßigen
Demagogen in der That die ersten mündigen Worte eines neuen Geschlechts zu
hören vermeinten. Sie fehlten endlich und zumeist darin, daß sie unter dem Banner
des Kathedersoeialismus Einer für Alle und Alle für Einen standen, ein Schntz-
und Trutzbündniß gegen die Feinde ringsum schlössen, das nur in der Negative,
aber nicht in der Positive eine Wahrheit war. Die Einen befaßten sich wirk¬
lich mit dem Sozialismus der strengen Observanz und unterschieden sich von
Lassalle und Marx höchstens im Grade, aber nicht in der Art, während die
Anderen nur nach mehr oder minder tief eingreifenden Reformen innerhalb
der wirthschaftlichen Ordnung von heute verlangten, diese Ordnung aber an
sich aufrecht erhalten wollten. Die Wagner, Sander, Schönberg entdeckten
allerlei gesunde Bestrebungen in der "Internationalen Arbeiterassoziation"
von Marx, sie forderten mehr oder minder umfassendes Gemeineigenthum am
Grund und Boden und ähnliche schöne Dinge, wenn anch immer noch mit allerlei
"Wenn" und "Aber" verbrämt, während die Schmoller, Brentano, Held, Nasse
in der Hitze des Gefechts sich wohl zu manchem großen Worte verleiten lie¬
ßen, das gefährlicher klang, als es gemeint war, aber im Wesentlichen auf dem
wissenschaftlichen Boden der Freihandelstheorie blieben und nur gegenüber den
Ausschreitungen des abstrakt-einseitigen Prinzips des Gehenlassens die sittlichen
Schranken betonten, die wie allem menschlichen Dasein, so auch dem freien
Treiben des wirthschaftlichen Marktes gezogen sind. Der linke Flügel der
Kathedersozialisten stand der sozialdemokratischen Partei viel näher, wie dem
rechten Flügel, während der rechte Flügel sich in allem Wesentlichen mit den
wissenschaftlichen Vertretern der Freihandelstheorie nahe berührte, ihnen jeden¬
falls verwandter war, als diese ihrerseits den Heißspornen des Manchester-
thums.

Im Laufe von fünf Jahren hat sich das trübe Durcheinander verschieden¬
artigster Elemente, das Anfangs im "Vereine für Sozialpolitik" und seinen
jährlichen Generalversammlungen, vulgo Kathedersozialisten-Kongressen, zn-
sammenrann, einigermaßen geklärt und gesetzt. Diese Entwickelung im Ein¬
zelnen zu verfolgen, würde an dieser Stelle zu weit führen; genug, die sozia¬
listischen Velleitäten traten von Jahr zu Jahr zurück, und in demselben Maße
gewannen die praktischen Sozialreformer die Oberhand. Und da ihn ähnlicher
Weise unter den harten Lehren der wirthschaftlichen Krisis die extremen Aus¬
wüchse der Freihaudelsschule verschwanden, so trat immer klarer und unzwei¬
deutiger die Erkenntniß hervor, daß die beiden Richtungen der wissenschaftlichen
Nationalökonomie in Deutschland nicht die Aufgabe haben, sich zu bekämpfen,
zu verdächtigen, zu zerfleischen, sondern sich zu ergänzen, zu stütze", sich ge-


allerdings geistig und sittlich höher stand, wie heutzutage, mit viel zu freund¬
lichen Augen betrachteten und in den hohlen Rodomontaden der gewerbsmäßigen
Demagogen in der That die ersten mündigen Worte eines neuen Geschlechts zu
hören vermeinten. Sie fehlten endlich und zumeist darin, daß sie unter dem Banner
des Kathedersoeialismus Einer für Alle und Alle für Einen standen, ein Schntz-
und Trutzbündniß gegen die Feinde ringsum schlössen, das nur in der Negative,
aber nicht in der Positive eine Wahrheit war. Die Einen befaßten sich wirk¬
lich mit dem Sozialismus der strengen Observanz und unterschieden sich von
Lassalle und Marx höchstens im Grade, aber nicht in der Art, während die
Anderen nur nach mehr oder minder tief eingreifenden Reformen innerhalb
der wirthschaftlichen Ordnung von heute verlangten, diese Ordnung aber an
sich aufrecht erhalten wollten. Die Wagner, Sander, Schönberg entdeckten
allerlei gesunde Bestrebungen in der „Internationalen Arbeiterassoziation"
von Marx, sie forderten mehr oder minder umfassendes Gemeineigenthum am
Grund und Boden und ähnliche schöne Dinge, wenn anch immer noch mit allerlei
„Wenn" und „Aber" verbrämt, während die Schmoller, Brentano, Held, Nasse
in der Hitze des Gefechts sich wohl zu manchem großen Worte verleiten lie¬
ßen, das gefährlicher klang, als es gemeint war, aber im Wesentlichen auf dem
wissenschaftlichen Boden der Freihandelstheorie blieben und nur gegenüber den
Ausschreitungen des abstrakt-einseitigen Prinzips des Gehenlassens die sittlichen
Schranken betonten, die wie allem menschlichen Dasein, so auch dem freien
Treiben des wirthschaftlichen Marktes gezogen sind. Der linke Flügel der
Kathedersozialisten stand der sozialdemokratischen Partei viel näher, wie dem
rechten Flügel, während der rechte Flügel sich in allem Wesentlichen mit den
wissenschaftlichen Vertretern der Freihandelstheorie nahe berührte, ihnen jeden¬
falls verwandter war, als diese ihrerseits den Heißspornen des Manchester-
thums.

Im Laufe von fünf Jahren hat sich das trübe Durcheinander verschieden¬
artigster Elemente, das Anfangs im „Vereine für Sozialpolitik" und seinen
jährlichen Generalversammlungen, vulgo Kathedersozialisten-Kongressen, zn-
sammenrann, einigermaßen geklärt und gesetzt. Diese Entwickelung im Ein¬
zelnen zu verfolgen, würde an dieser Stelle zu weit führen; genug, die sozia¬
listischen Velleitäten traten von Jahr zu Jahr zurück, und in demselben Maße
gewannen die praktischen Sozialreformer die Oberhand. Und da ihn ähnlicher
Weise unter den harten Lehren der wirthschaftlichen Krisis die extremen Aus¬
wüchse der Freihaudelsschule verschwanden, so trat immer klarer und unzwei¬
deutiger die Erkenntniß hervor, daß die beiden Richtungen der wissenschaftlichen
Nationalökonomie in Deutschland nicht die Aufgabe haben, sich zu bekämpfen,
zu verdächtigen, zu zerfleischen, sondern sich zu ergänzen, zu stütze», sich ge-


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[0182] allerdings geistig und sittlich höher stand, wie heutzutage, mit viel zu freund¬ lichen Augen betrachteten und in den hohlen Rodomontaden der gewerbsmäßigen Demagogen in der That die ersten mündigen Worte eines neuen Geschlechts zu hören vermeinten. Sie fehlten endlich und zumeist darin, daß sie unter dem Banner des Kathedersoeialismus Einer für Alle und Alle für Einen standen, ein Schntz- und Trutzbündniß gegen die Feinde ringsum schlössen, das nur in der Negative, aber nicht in der Positive eine Wahrheit war. Die Einen befaßten sich wirk¬ lich mit dem Sozialismus der strengen Observanz und unterschieden sich von Lassalle und Marx höchstens im Grade, aber nicht in der Art, während die Anderen nur nach mehr oder minder tief eingreifenden Reformen innerhalb der wirthschaftlichen Ordnung von heute verlangten, diese Ordnung aber an sich aufrecht erhalten wollten. Die Wagner, Sander, Schönberg entdeckten allerlei gesunde Bestrebungen in der „Internationalen Arbeiterassoziation" von Marx, sie forderten mehr oder minder umfassendes Gemeineigenthum am Grund und Boden und ähnliche schöne Dinge, wenn anch immer noch mit allerlei „Wenn" und „Aber" verbrämt, während die Schmoller, Brentano, Held, Nasse in der Hitze des Gefechts sich wohl zu manchem großen Worte verleiten lie¬ ßen, das gefährlicher klang, als es gemeint war, aber im Wesentlichen auf dem wissenschaftlichen Boden der Freihandelstheorie blieben und nur gegenüber den Ausschreitungen des abstrakt-einseitigen Prinzips des Gehenlassens die sittlichen Schranken betonten, die wie allem menschlichen Dasein, so auch dem freien Treiben des wirthschaftlichen Marktes gezogen sind. Der linke Flügel der Kathedersozialisten stand der sozialdemokratischen Partei viel näher, wie dem rechten Flügel, während der rechte Flügel sich in allem Wesentlichen mit den wissenschaftlichen Vertretern der Freihandelstheorie nahe berührte, ihnen jeden¬ falls verwandter war, als diese ihrerseits den Heißspornen des Manchester- thums. Im Laufe von fünf Jahren hat sich das trübe Durcheinander verschieden¬ artigster Elemente, das Anfangs im „Vereine für Sozialpolitik" und seinen jährlichen Generalversammlungen, vulgo Kathedersozialisten-Kongressen, zn- sammenrann, einigermaßen geklärt und gesetzt. Diese Entwickelung im Ein¬ zelnen zu verfolgen, würde an dieser Stelle zu weit führen; genug, die sozia¬ listischen Velleitäten traten von Jahr zu Jahr zurück, und in demselben Maße gewannen die praktischen Sozialreformer die Oberhand. Und da ihn ähnlicher Weise unter den harten Lehren der wirthschaftlichen Krisis die extremen Aus¬ wüchse der Freihaudelsschule verschwanden, so trat immer klarer und unzwei¬ deutiger die Erkenntniß hervor, daß die beiden Richtungen der wissenschaftlichen Nationalökonomie in Deutschland nicht die Aufgabe haben, sich zu bekämpfen, zu verdächtigen, zu zerfleischen, sondern sich zu ergänzen, zu stütze», sich ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/182>, abgerufen am 14.05.2024.