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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Uebertreibung sagen, daß der neue Verein ein Jmbroglio aller antiliberalen
und antinationalen Bestrebungen ist; in erlesenen Vertretern Präsentiren sich
Agrarier, Pietisten, politische Reaktionäre, Schutzzöllner, Partiknlaristen, Sozia¬
listen. Es fehlt nur uoch eine letzte Farbe in der bunten Musterkarte, die
schwarze Kouleur des Wramontcmismus. Allein diesem Mangel ist einigermaßen
durch die freundliche Bereitwilligkeit abgeholfen, mit welcher die "Germania"
Pathenstelle an dein neugeborenen Kinde übernahm; mit dem praktisch klaren
und umsichtigen Blicke, der ihr unstreitig eigen ist, erkannte sie zwar die ganze
Unklarheit und Verschwommenheit des seltsamen Beginnens, allein gerade darin
sah sie .ein tröstliches Zeichen, daß die Pfade des Centralvereins wohl oder
übel in die Wege münden müßten, welche nach Rom führen.

Seit dem halben Monate ihres Bestehens hat diese neue, sozialpolitische
Vereinigung eine Regsamkeit und eine Versatilität entfaltet, die wirklich wenn
nicht bewunderns-, so doch staunenswerth ist. Kaleidoskopisch schwirren Namen,
Anschauungen, Forderungen, Wünsche durcheinander. Kaum hatten sich die
neuesten Weltverbesserer als "Staatssozialisten" getauft, als sie sich bereits
selbst wieder in "Christlich-Soziale" nmtanften, und eben brüten sie auch schon
über einem neuen Namen für ihr Blatt. In keinem positiven Punkte haben
sie ein gemeinsames Programm: einig sind sie nur in dem weißglühenden, bis¬
weilen wirklich nicht mehr zurechnungsfähigen Hasse gegen die liberale Ord¬
nung der Dinge in Gesellschaft und Staat. Wenn die Redaktion des "Staats-
svzialist" folgende Auskunft über die Intentionen der Mitglieder des Central¬
vereins giebt: "Fast ohne Ausnahme Mitglieder der besitzenden Klassen, haben
sie gleichwohl eine größere Furcht vor den verschiedenen Enteignungen, welche
das herrschende Bankerottsystem bewirkt, als vor den Expropriationen, mit
welchen der Staatssozialismus droht. Sie erblicken in dem regellos toben¬
den Konkurrenzkampfe von hente nichts als ein durch Eigenthumsillusionen
verhülltes Expropriativnssystem . . . Doch beschränken sich die Enteignungen
und Besitzvertreibungen dieses Systems keineswegs ans die ökonomischen Dinge.
Auch die moralischen, religiösen, politischen werden davon betroffen. Der
rasende Konkurrenzkrieg wirft die Menschheit ans dem Besitze aller ihrer
Heiligthümer. Es giebt keine Ruhe des Geistes, keinen Frieden der Seele
mehr. Ueberall Enteignung! Der Mann verliert seine Würde, das Weib seine
Ehre" -- so scheinen diese Brand- und Hetzphrasen aus irgend einer wüthenden
Deklamation eines untergeordneten Blattes der Sozialdemokratie abgeschrieben
zu sein, allein die letztere kann bei der Verbreitung solcher Ansichten
wenigstens für sich geltend machen, daß sie ein wirksames Rezept radikaler
Reform fix und fertig in der Tasche zu haben glaubt, was beim "Staats¬
sozialist" ganz und gar nicht der Fall ist. Er weiß in absolut keinem kom-


Uebertreibung sagen, daß der neue Verein ein Jmbroglio aller antiliberalen
und antinationalen Bestrebungen ist; in erlesenen Vertretern Präsentiren sich
Agrarier, Pietisten, politische Reaktionäre, Schutzzöllner, Partiknlaristen, Sozia¬
listen. Es fehlt nur uoch eine letzte Farbe in der bunten Musterkarte, die
schwarze Kouleur des Wramontcmismus. Allein diesem Mangel ist einigermaßen
durch die freundliche Bereitwilligkeit abgeholfen, mit welcher die „Germania"
Pathenstelle an dein neugeborenen Kinde übernahm; mit dem praktisch klaren
und umsichtigen Blicke, der ihr unstreitig eigen ist, erkannte sie zwar die ganze
Unklarheit und Verschwommenheit des seltsamen Beginnens, allein gerade darin
sah sie .ein tröstliches Zeichen, daß die Pfade des Centralvereins wohl oder
übel in die Wege münden müßten, welche nach Rom führen.

Seit dem halben Monate ihres Bestehens hat diese neue, sozialpolitische
Vereinigung eine Regsamkeit und eine Versatilität entfaltet, die wirklich wenn
nicht bewunderns-, so doch staunenswerth ist. Kaleidoskopisch schwirren Namen,
Anschauungen, Forderungen, Wünsche durcheinander. Kaum hatten sich die
neuesten Weltverbesserer als „Staatssozialisten" getauft, als sie sich bereits
selbst wieder in „Christlich-Soziale" nmtanften, und eben brüten sie auch schon
über einem neuen Namen für ihr Blatt. In keinem positiven Punkte haben
sie ein gemeinsames Programm: einig sind sie nur in dem weißglühenden, bis¬
weilen wirklich nicht mehr zurechnungsfähigen Hasse gegen die liberale Ord¬
nung der Dinge in Gesellschaft und Staat. Wenn die Redaktion des „Staats-
svzialist" folgende Auskunft über die Intentionen der Mitglieder des Central¬
vereins giebt: „Fast ohne Ausnahme Mitglieder der besitzenden Klassen, haben
sie gleichwohl eine größere Furcht vor den verschiedenen Enteignungen, welche
das herrschende Bankerottsystem bewirkt, als vor den Expropriationen, mit
welchen der Staatssozialismus droht. Sie erblicken in dem regellos toben¬
den Konkurrenzkampfe von hente nichts als ein durch Eigenthumsillusionen
verhülltes Expropriativnssystem . . . Doch beschränken sich die Enteignungen
und Besitzvertreibungen dieses Systems keineswegs ans die ökonomischen Dinge.
Auch die moralischen, religiösen, politischen werden davon betroffen. Der
rasende Konkurrenzkrieg wirft die Menschheit ans dem Besitze aller ihrer
Heiligthümer. Es giebt keine Ruhe des Geistes, keinen Frieden der Seele
mehr. Ueberall Enteignung! Der Mann verliert seine Würde, das Weib seine
Ehre" — so scheinen diese Brand- und Hetzphrasen aus irgend einer wüthenden
Deklamation eines untergeordneten Blattes der Sozialdemokratie abgeschrieben
zu sein, allein die letztere kann bei der Verbreitung solcher Ansichten
wenigstens für sich geltend machen, daß sie ein wirksames Rezept radikaler
Reform fix und fertig in der Tasche zu haben glaubt, was beim „Staats¬
sozialist" ganz und gar nicht der Fall ist. Er weiß in absolut keinem kom-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/189>, abgerufen am 09.06.2024.