Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

desselben, in welchen sich der Kampf zwischen absterbenden und neu aufstre-
benden Geistesrichtungen darstellt.

Wir sind nicht in der Lage, dein religionsphilosvphischen Standpunkt
Zeller's unsere Zustimmung zu geben, fühlen uns vielmehr verpflichtet, in
mehrfacher Hinsicht demselben zu widersprechen. Und so müssen wir auch den
ihn hier vertretenden Abhandlungen gegenüber unsere entgegengesetzte Auffassung
zur Geltung bringen.

Desto ungetheilter ist unsere Wertschätzung der übrigen Aufsätze, und da
es dem Referenten angenehmer ist, anzuerkennen als auszusetzen, so ziehen wir
es vor, in unserer Berichterstattung mit jenem zu beginnen, und mit diesem zu
beschließen. Auf die der Politik gewidmeten Darstellungen richten wir unsere
Aufmerksamkeit zuerst.

Es siud drei Abhandlungen, die ihr gewidmet sind, allein gleichem Maße
beachtenswert!), alle dem Interesse der Gegenwart dienend, das innere Recht
dessen zu erweisen, was als Thatsache aus praktischem Bedürfniß und dem
Impuls des nationalen Bewußtseins hervorgegangen ist.

"Die Politik in ihrem Verhältniß zum Recht" bildet das Thema eines
Aussatzes aus dem Jahr 1868, und wir irren wohl nicht, wenn wir den An¬
laß desselben in den Angriffen suchen, denen die Preußische Regierung in Folge
der Annexionen von 18<>6 ausgesetzt war, und die sich darin zusammenfaßten,
daß jene Handlungsweise eine Untergrabung der ethischen Basis sei, auf der
alles Recht ruhen müsse. Das Problem, daß die geschichtliche Entwickelung
mit innerer Nothwendigkeit auch die Beseitigung und zwar die gewaltsame Be¬
seitigung bestehender Gesetze und Rechtsordnungen herbei führen könne, löst
Zeller, und wir stimmen ihm darin vollkommen bei, indem er daran erinnert,
daß das positive Recht keineswegs immer mit dem natürlichen Recht in Ein¬
klang stehe; daß es kein Unrecht gebe, das nicht einmal irgendwo Recht ge¬
wesen sei; daß Gesetze, die durchaus zweckentsprechend waren, als sie entstan¬
den, in Folge veränderter Verhältnisse aufhörten, es zu sein; daß Verträge
zwischen Staaten, ursprünglich ein Gewinn für beide Theile, mit der Zeit für
sie oder einen von ihnen zur Hemmung werdeu können. Was soll nnn ge¬
schehen, wenn die durch das positive Gesetz geschaffenen Zustände unerträglich
geworden sind und doch ein Faktor, ohne dessen Mitwirkung eine Aenderung
ans dem Wege des Gesetzes nicht eintreten kann, sie hartnäckig versagt, weil
seine individuellen Interessen bei den gegenwärtigen Verhältnissen ihre Befrie¬
digung finden? Es bleibt nichts anderes übrig, als mit Gewalt nicht das
Recht zu zerstören, sondern vielmehr im Namen des natürlichen Rechts das
Positive Recht, welches ihm widerstreitet, aufzuheben. Daß dies nnr geschehen
darf, wenn es sich um die Heiligthümer des Volkes handelt; daß eine leicht-


desselben, in welchen sich der Kampf zwischen absterbenden und neu aufstre-
benden Geistesrichtungen darstellt.

Wir sind nicht in der Lage, dein religionsphilosvphischen Standpunkt
Zeller's unsere Zustimmung zu geben, fühlen uns vielmehr verpflichtet, in
mehrfacher Hinsicht demselben zu widersprechen. Und so müssen wir auch den
ihn hier vertretenden Abhandlungen gegenüber unsere entgegengesetzte Auffassung
zur Geltung bringen.

Desto ungetheilter ist unsere Wertschätzung der übrigen Aufsätze, und da
es dem Referenten angenehmer ist, anzuerkennen als auszusetzen, so ziehen wir
es vor, in unserer Berichterstattung mit jenem zu beginnen, und mit diesem zu
beschließen. Auf die der Politik gewidmeten Darstellungen richten wir unsere
Aufmerksamkeit zuerst.

Es siud drei Abhandlungen, die ihr gewidmet sind, allein gleichem Maße
beachtenswert!), alle dem Interesse der Gegenwart dienend, das innere Recht
dessen zu erweisen, was als Thatsache aus praktischem Bedürfniß und dem
Impuls des nationalen Bewußtseins hervorgegangen ist.

„Die Politik in ihrem Verhältniß zum Recht" bildet das Thema eines
Aussatzes aus dem Jahr 1868, und wir irren wohl nicht, wenn wir den An¬
laß desselben in den Angriffen suchen, denen die Preußische Regierung in Folge
der Annexionen von 18<>6 ausgesetzt war, und die sich darin zusammenfaßten,
daß jene Handlungsweise eine Untergrabung der ethischen Basis sei, auf der
alles Recht ruhen müsse. Das Problem, daß die geschichtliche Entwickelung
mit innerer Nothwendigkeit auch die Beseitigung und zwar die gewaltsame Be¬
seitigung bestehender Gesetze und Rechtsordnungen herbei führen könne, löst
Zeller, und wir stimmen ihm darin vollkommen bei, indem er daran erinnert,
daß das positive Recht keineswegs immer mit dem natürlichen Recht in Ein¬
klang stehe; daß es kein Unrecht gebe, das nicht einmal irgendwo Recht ge¬
wesen sei; daß Gesetze, die durchaus zweckentsprechend waren, als sie entstan¬
den, in Folge veränderter Verhältnisse aufhörten, es zu sein; daß Verträge
zwischen Staaten, ursprünglich ein Gewinn für beide Theile, mit der Zeit für
sie oder einen von ihnen zur Hemmung werdeu können. Was soll nnn ge¬
schehen, wenn die durch das positive Gesetz geschaffenen Zustände unerträglich
geworden sind und doch ein Faktor, ohne dessen Mitwirkung eine Aenderung
ans dem Wege des Gesetzes nicht eintreten kann, sie hartnäckig versagt, weil
seine individuellen Interessen bei den gegenwärtigen Verhältnissen ihre Befrie¬
digung finden? Es bleibt nichts anderes übrig, als mit Gewalt nicht das
Recht zu zerstören, sondern vielmehr im Namen des natürlichen Rechts das
Positive Recht, welches ihm widerstreitet, aufzuheben. Daß dies nnr geschehen
darf, wenn es sich um die Heiligthümer des Volkes handelt; daß eine leicht-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0219" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/139512"/>
          <p xml:id="ID_620" prev="#ID_619"> desselben, in welchen sich der Kampf zwischen absterbenden und neu aufstre-<lb/>
benden Geistesrichtungen darstellt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_621"> Wir sind nicht in der Lage, dein religionsphilosvphischen Standpunkt<lb/>
Zeller's unsere Zustimmung zu geben, fühlen uns vielmehr verpflichtet, in<lb/>
mehrfacher Hinsicht demselben zu widersprechen. Und so müssen wir auch den<lb/>
ihn hier vertretenden Abhandlungen gegenüber unsere entgegengesetzte Auffassung<lb/>
zur Geltung bringen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_622"> Desto ungetheilter ist unsere Wertschätzung der übrigen Aufsätze, und da<lb/>
es dem Referenten angenehmer ist, anzuerkennen als auszusetzen, so ziehen wir<lb/>
es vor, in unserer Berichterstattung mit jenem zu beginnen, und mit diesem zu<lb/>
beschließen. Auf die der Politik gewidmeten Darstellungen richten wir unsere<lb/>
Aufmerksamkeit zuerst.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_623"> Es siud drei Abhandlungen, die ihr gewidmet sind, allein gleichem Maße<lb/>
beachtenswert!), alle dem Interesse der Gegenwart dienend, das innere Recht<lb/>
dessen zu erweisen, was als Thatsache aus praktischem Bedürfniß und dem<lb/>
Impuls des nationalen Bewußtseins hervorgegangen ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_624" next="#ID_625"> &#x201E;Die Politik in ihrem Verhältniß zum Recht" bildet das Thema eines<lb/>
Aussatzes aus dem Jahr 1868, und wir irren wohl nicht, wenn wir den An¬<lb/>
laß desselben in den Angriffen suchen, denen die Preußische Regierung in Folge<lb/>
der Annexionen von 18&lt;&gt;6 ausgesetzt war, und die sich darin zusammenfaßten,<lb/>
daß jene Handlungsweise eine Untergrabung der ethischen Basis sei, auf der<lb/>
alles Recht ruhen müsse. Das Problem, daß die geschichtliche Entwickelung<lb/>
mit innerer Nothwendigkeit auch die Beseitigung und zwar die gewaltsame Be¬<lb/>
seitigung bestehender Gesetze und Rechtsordnungen herbei führen könne, löst<lb/>
Zeller, und wir stimmen ihm darin vollkommen bei, indem er daran erinnert,<lb/>
daß das positive Recht keineswegs immer mit dem natürlichen Recht in Ein¬<lb/>
klang stehe; daß es kein Unrecht gebe, das nicht einmal irgendwo Recht ge¬<lb/>
wesen sei; daß Gesetze, die durchaus zweckentsprechend waren, als sie entstan¬<lb/>
den, in Folge veränderter Verhältnisse aufhörten, es zu sein; daß Verträge<lb/>
zwischen Staaten, ursprünglich ein Gewinn für beide Theile, mit der Zeit für<lb/>
sie oder einen von ihnen zur Hemmung werdeu können. Was soll nnn ge¬<lb/>
schehen, wenn die durch das positive Gesetz geschaffenen Zustände unerträglich<lb/>
geworden sind und doch ein Faktor, ohne dessen Mitwirkung eine Aenderung<lb/>
ans dem Wege des Gesetzes nicht eintreten kann, sie hartnäckig versagt, weil<lb/>
seine individuellen Interessen bei den gegenwärtigen Verhältnissen ihre Befrie¬<lb/>
digung finden? Es bleibt nichts anderes übrig, als mit Gewalt nicht das<lb/>
Recht zu zerstören, sondern vielmehr im Namen des natürlichen Rechts das<lb/>
Positive Recht, welches ihm widerstreitet, aufzuheben. Daß dies nnr geschehen<lb/>
darf, wenn es sich um die Heiligthümer des Volkes handelt; daß eine leicht-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0219] desselben, in welchen sich der Kampf zwischen absterbenden und neu aufstre- benden Geistesrichtungen darstellt. Wir sind nicht in der Lage, dein religionsphilosvphischen Standpunkt Zeller's unsere Zustimmung zu geben, fühlen uns vielmehr verpflichtet, in mehrfacher Hinsicht demselben zu widersprechen. Und so müssen wir auch den ihn hier vertretenden Abhandlungen gegenüber unsere entgegengesetzte Auffassung zur Geltung bringen. Desto ungetheilter ist unsere Wertschätzung der übrigen Aufsätze, und da es dem Referenten angenehmer ist, anzuerkennen als auszusetzen, so ziehen wir es vor, in unserer Berichterstattung mit jenem zu beginnen, und mit diesem zu beschließen. Auf die der Politik gewidmeten Darstellungen richten wir unsere Aufmerksamkeit zuerst. Es siud drei Abhandlungen, die ihr gewidmet sind, allein gleichem Maße beachtenswert!), alle dem Interesse der Gegenwart dienend, das innere Recht dessen zu erweisen, was als Thatsache aus praktischem Bedürfniß und dem Impuls des nationalen Bewußtseins hervorgegangen ist. „Die Politik in ihrem Verhältniß zum Recht" bildet das Thema eines Aussatzes aus dem Jahr 1868, und wir irren wohl nicht, wenn wir den An¬ laß desselben in den Angriffen suchen, denen die Preußische Regierung in Folge der Annexionen von 18<>6 ausgesetzt war, und die sich darin zusammenfaßten, daß jene Handlungsweise eine Untergrabung der ethischen Basis sei, auf der alles Recht ruhen müsse. Das Problem, daß die geschichtliche Entwickelung mit innerer Nothwendigkeit auch die Beseitigung und zwar die gewaltsame Be¬ seitigung bestehender Gesetze und Rechtsordnungen herbei führen könne, löst Zeller, und wir stimmen ihm darin vollkommen bei, indem er daran erinnert, daß das positive Recht keineswegs immer mit dem natürlichen Recht in Ein¬ klang stehe; daß es kein Unrecht gebe, das nicht einmal irgendwo Recht ge¬ wesen sei; daß Gesetze, die durchaus zweckentsprechend waren, als sie entstan¬ den, in Folge veränderter Verhältnisse aufhörten, es zu sein; daß Verträge zwischen Staaten, ursprünglich ein Gewinn für beide Theile, mit der Zeit für sie oder einen von ihnen zur Hemmung werdeu können. Was soll nnn ge¬ schehen, wenn die durch das positive Gesetz geschaffenen Zustände unerträglich geworden sind und doch ein Faktor, ohne dessen Mitwirkung eine Aenderung ans dem Wege des Gesetzes nicht eintreten kann, sie hartnäckig versagt, weil seine individuellen Interessen bei den gegenwärtigen Verhältnissen ihre Befrie¬ digung finden? Es bleibt nichts anderes übrig, als mit Gewalt nicht das Recht zu zerstören, sondern vielmehr im Namen des natürlichen Rechts das Positive Recht, welches ihm widerstreitet, aufzuheben. Daß dies nnr geschehen darf, wenn es sich um die Heiligthümer des Volkes handelt; daß eine leicht-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/219
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/219>, abgerufen am 15.05.2024.