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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Thüren und Fenstern, durch welche die ganze Nacht, vom beschneiten Olymp
herab, ein scharfer Wind über mein Bett hinsauste. Als ich am andern
Morgen erwachte, war der Olymp auch das Erste, was mir in die Au¬
gen fiel.

Nachdem ich mich an der weiten Aussicht ergötzt hatte, die man aus den
Fenstern genoß auf die schöne Thessalische Ebene und den Peneus (jetzt Sa-
lcimbria genannt), der dicht am Fuße der Anhöhe vorüberfloß, ans welcher die
Metropolis, d. h. die bischöfliche Wohnung gelegen war, suchte ich Gesellschaft.
Mit den Geistlichen der Metropolis war auffallend wenig anzufangen, doch
machte ich schon früh am Morgen die Bekanntschaft des Professors des Alt¬
griechischen (^^^05 "s-ehe-oHo-^ol?) an der Schule von Larissa, eines sehr
unterrichteten und liebenswürdigen jungen Mannes ans Epirus, der es sich
zur Pflicht machte, mich überall herumzuführen, und mir die wenigen noch
aus dem Alterthum übrigen Reste und sonstigen Merkwürdigkeiten des Ortes
zu zeigen. Vor der Stadt finden sich einige antike Inschriften auf türkischen
Begräbnißplätzen. Als ich hineinging, um sie zu lesen, konnte ich nur durch
vieles Zureden den jungen Griechen bewegen, mir zu folgen, so sehr fürchtete
er die Türken. Wir fanden einen Schäfer, der dort zwischen den Grabsteinen
seine Schafe weidete, und als er sah, daß ich mich um die alten Inschriften
bekümmerte, erzählte er mir von den Ruinen einer alten Stadt am Olymp¬
gebirge. Ich erklärte ihm darauf, daß ich den Olymp zu besteige" gedenke,
worauf er mir fehr willkommene Auskunft über den einzuschlagenden Weg
gab, den er genau kannte. Er beschrieb mir einen gangbaren Paß, der an
den südlichen Gipfeln des Olymp vorbei nach dem Meere hinführe, in wel¬
ches der Peneus sich ergieße; ähnliche Pfade seien auch ans der anderen Seite
des Flusses durch das Ossa-Gebirge, auf ihnen könne man das Thal Tempe
umgehen. Als ich ihn nach den Räubern des Olymp fragte, meinte er mit
heiterer Miene, es werde dort damit jedenfalls nicht schlimmer stehen, als im
Thal Tempe und durch dieses müsse ich ja doch wieder reisen, wenn ich nicht
den Weg über den Ossa nehmen wolle. Darauf ging ich mit dem jungen
Griechen, meinem gefälligen Begleiter, an das Ufer des Peneus, und mehr
der Merkwürdigkeit wegen, als um mich abzukühlen, schwamm ich über den
breiten und reißenden Fluß und wieder zurück, unter den Augen einer großen
Anzahl Eingeborner, die sich höchlich verwunderten, als ich ihnen sagte, daß
bei uns fast Jeder schwimmen könne, da sie, wie alle Griechen des Binnenlandes,
kalte Bäder ganz und gar nicht lieben und ihnen das Schwimmen im Strom
ein durchaus neues Schauspiel war. Sie hegten daher auch die bestimmte
Ueberzeugung, mich bei diesen Künsten in den Fluthen des Stromes versinken
zu sehen.


Thüren und Fenstern, durch welche die ganze Nacht, vom beschneiten Olymp
herab, ein scharfer Wind über mein Bett hinsauste. Als ich am andern
Morgen erwachte, war der Olymp auch das Erste, was mir in die Au¬
gen fiel.

Nachdem ich mich an der weiten Aussicht ergötzt hatte, die man aus den
Fenstern genoß auf die schöne Thessalische Ebene und den Peneus (jetzt Sa-
lcimbria genannt), der dicht am Fuße der Anhöhe vorüberfloß, ans welcher die
Metropolis, d. h. die bischöfliche Wohnung gelegen war, suchte ich Gesellschaft.
Mit den Geistlichen der Metropolis war auffallend wenig anzufangen, doch
machte ich schon früh am Morgen die Bekanntschaft des Professors des Alt¬
griechischen (^^^05 «s-ehe-oHo-^ol?) an der Schule von Larissa, eines sehr
unterrichteten und liebenswürdigen jungen Mannes ans Epirus, der es sich
zur Pflicht machte, mich überall herumzuführen, und mir die wenigen noch
aus dem Alterthum übrigen Reste und sonstigen Merkwürdigkeiten des Ortes
zu zeigen. Vor der Stadt finden sich einige antike Inschriften auf türkischen
Begräbnißplätzen. Als ich hineinging, um sie zu lesen, konnte ich nur durch
vieles Zureden den jungen Griechen bewegen, mir zu folgen, so sehr fürchtete
er die Türken. Wir fanden einen Schäfer, der dort zwischen den Grabsteinen
seine Schafe weidete, und als er sah, daß ich mich um die alten Inschriften
bekümmerte, erzählte er mir von den Ruinen einer alten Stadt am Olymp¬
gebirge. Ich erklärte ihm darauf, daß ich den Olymp zu besteige« gedenke,
worauf er mir fehr willkommene Auskunft über den einzuschlagenden Weg
gab, den er genau kannte. Er beschrieb mir einen gangbaren Paß, der an
den südlichen Gipfeln des Olymp vorbei nach dem Meere hinführe, in wel¬
ches der Peneus sich ergieße; ähnliche Pfade seien auch ans der anderen Seite
des Flusses durch das Ossa-Gebirge, auf ihnen könne man das Thal Tempe
umgehen. Als ich ihn nach den Räubern des Olymp fragte, meinte er mit
heiterer Miene, es werde dort damit jedenfalls nicht schlimmer stehen, als im
Thal Tempe und durch dieses müsse ich ja doch wieder reisen, wenn ich nicht
den Weg über den Ossa nehmen wolle. Darauf ging ich mit dem jungen
Griechen, meinem gefälligen Begleiter, an das Ufer des Peneus, und mehr
der Merkwürdigkeit wegen, als um mich abzukühlen, schwamm ich über den
breiten und reißenden Fluß und wieder zurück, unter den Augen einer großen
Anzahl Eingeborner, die sich höchlich verwunderten, als ich ihnen sagte, daß
bei uns fast Jeder schwimmen könne, da sie, wie alle Griechen des Binnenlandes,
kalte Bäder ganz und gar nicht lieben und ihnen das Schwimmen im Strom
ein durchaus neues Schauspiel war. Sie hegten daher auch die bestimmte
Ueberzeugung, mich bei diesen Künsten in den Fluthen des Stromes versinken
zu sehen.


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[0236] Thüren und Fenstern, durch welche die ganze Nacht, vom beschneiten Olymp herab, ein scharfer Wind über mein Bett hinsauste. Als ich am andern Morgen erwachte, war der Olymp auch das Erste, was mir in die Au¬ gen fiel. Nachdem ich mich an der weiten Aussicht ergötzt hatte, die man aus den Fenstern genoß auf die schöne Thessalische Ebene und den Peneus (jetzt Sa- lcimbria genannt), der dicht am Fuße der Anhöhe vorüberfloß, ans welcher die Metropolis, d. h. die bischöfliche Wohnung gelegen war, suchte ich Gesellschaft. Mit den Geistlichen der Metropolis war auffallend wenig anzufangen, doch machte ich schon früh am Morgen die Bekanntschaft des Professors des Alt¬ griechischen (^^^05 «s-ehe-oHo-^ol?) an der Schule von Larissa, eines sehr unterrichteten und liebenswürdigen jungen Mannes ans Epirus, der es sich zur Pflicht machte, mich überall herumzuführen, und mir die wenigen noch aus dem Alterthum übrigen Reste und sonstigen Merkwürdigkeiten des Ortes zu zeigen. Vor der Stadt finden sich einige antike Inschriften auf türkischen Begräbnißplätzen. Als ich hineinging, um sie zu lesen, konnte ich nur durch vieles Zureden den jungen Griechen bewegen, mir zu folgen, so sehr fürchtete er die Türken. Wir fanden einen Schäfer, der dort zwischen den Grabsteinen seine Schafe weidete, und als er sah, daß ich mich um die alten Inschriften bekümmerte, erzählte er mir von den Ruinen einer alten Stadt am Olymp¬ gebirge. Ich erklärte ihm darauf, daß ich den Olymp zu besteige« gedenke, worauf er mir fehr willkommene Auskunft über den einzuschlagenden Weg gab, den er genau kannte. Er beschrieb mir einen gangbaren Paß, der an den südlichen Gipfeln des Olymp vorbei nach dem Meere hinführe, in wel¬ ches der Peneus sich ergieße; ähnliche Pfade seien auch ans der anderen Seite des Flusses durch das Ossa-Gebirge, auf ihnen könne man das Thal Tempe umgehen. Als ich ihn nach den Räubern des Olymp fragte, meinte er mit heiterer Miene, es werde dort damit jedenfalls nicht schlimmer stehen, als im Thal Tempe und durch dieses müsse ich ja doch wieder reisen, wenn ich nicht den Weg über den Ossa nehmen wolle. Darauf ging ich mit dem jungen Griechen, meinem gefälligen Begleiter, an das Ufer des Peneus, und mehr der Merkwürdigkeit wegen, als um mich abzukühlen, schwamm ich über den breiten und reißenden Fluß und wieder zurück, unter den Augen einer großen Anzahl Eingeborner, die sich höchlich verwunderten, als ich ihnen sagte, daß bei uns fast Jeder schwimmen könne, da sie, wie alle Griechen des Binnenlandes, kalte Bäder ganz und gar nicht lieben und ihnen das Schwimmen im Strom ein durchaus neues Schauspiel war. Sie hegten daher auch die bestimmte Ueberzeugung, mich bei diesen Künsten in den Fluthen des Stromes versinken zu sehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/236>, abgerufen am 04.06.2024.