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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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svrmnler Gesetzniäßigkeit prüfte. Unglücklichermeise befand sich aber der stell¬
vertretende Minister des Innern in der Lage, grade nach dieser Seite hin
sich der Angriffe erfolgreich zu erwehren, ja die Angreifer selbst aufs Empfind¬
lichste blos zu stellen. Auch der korrekteste und doktrinärste Fortschrittsmann
würde nicht gewagt haben, die Regierung zu tadeln, iveil sie einer der bedenk¬
lichsten Vvlkskrankheiten gegenüber gleich in den ersten Anfängen die volle
Strenge des Gesetzes walten ließ. Mehr als dies ist aber nicht geschehen;
eine Ungesetzlichkeit ist trotz allen ultramontanen Lärms nicht nachgewiesen
worden. Was die Sache selbst anlangt, so wird das nunmehr wegen Be¬
trugs eingeleitete gerichtliche Verfahren hoffentlich volle Klarheit bringen. Die
Debatte im Abgeordnetenhause aber hat immerhin das Gute gehabt, daß durch
sie der Welt vou Neuem klar wurde, bis zu welchem Grade der moderne
Ultramontanismus die Geduld eines humanen und gebildeten Volkes auf die
Probe zu stellen sich erdreistet.

Mit einem besseren Scheine von Berechtigung trat die Zentrumspartei in
der Frage des katholische,? Religionsunterrichts in der Volksschule auf. Neu
waren die betreffenden Klagen freilich nicht mehr. Gerade vor einem Jahre
hatte der Kultusminister sie im Abgeordnetenhause bereits entkräftet; außerdem
hatten seine noch neuerdings durch deu Staatsanzeiger veröffentlichten Bescheide
auf einschlägige Petitionen den Standpunkt der Regierung klar und bündig
gekennzeichnet. Aber man kann nicht leugnen, daß die Frage selbst in liberalen
Kreisen trotz nlledem deu Gegenstand lebhafter Erörterungen bildete, hier und
da sogar nicht geringe Bedenken hervorgerufen hatte. Die Klagen beziehen
sich bekanntlich darauf, daß in den bischofslosen Diözesen der Religionsunter¬
richt in der katholischen Volksschule zum großen Theile von neu angestellten
Lehrern ertheilt werde, welche dazu nicht deu ausdrücklichen Auftrag der Kirche,
die mis8lo elmonidr, erhalten haben. Ein solcher Religionsunterricht, sagt man,
entbehre der nöthigen Garantien kirchlicher Rechtmäßigkeit und die Theilnahme
an demselben sei daher gegen das katholische Gewissen.

Das Pelidna geht demgemäß in erster Linie dahin, deu gegenwärtige:?
abnormen Zustand zu beseitigen -- natürlich durch Abschaffung der Maigesetze
--; in zweiter Linie aber dahin, in den fraglichen Fällen die Kinder katho¬
lischer Eltern wenigstens von dem Schulzwange in Bezug auf den Religions¬
unterricht zu dispensiren. Man hat dem gegenüber gut darauf hinweisen, daß
ein Grund, die kirchliche Korrektheit des vou deu um angestellten Lehrern
ertheilten Religionsunterrichts in Zweifel zu ziehen, gar nicht vorliege -- für
die große Menge der katholischen Eltern wird das denselben eingeredete Ge-
wisfensbedenken dadurch nicht beseitigt. Und man muß zugeben, daß, wenn
ein solches Gemissensbedenken, gleichviel ob mit Recht oder mit Unrecht, ein-


svrmnler Gesetzniäßigkeit prüfte. Unglücklichermeise befand sich aber der stell¬
vertretende Minister des Innern in der Lage, grade nach dieser Seite hin
sich der Angriffe erfolgreich zu erwehren, ja die Angreifer selbst aufs Empfind¬
lichste blos zu stellen. Auch der korrekteste und doktrinärste Fortschrittsmann
würde nicht gewagt haben, die Regierung zu tadeln, iveil sie einer der bedenk¬
lichsten Vvlkskrankheiten gegenüber gleich in den ersten Anfängen die volle
Strenge des Gesetzes walten ließ. Mehr als dies ist aber nicht geschehen;
eine Ungesetzlichkeit ist trotz allen ultramontanen Lärms nicht nachgewiesen
worden. Was die Sache selbst anlangt, so wird das nunmehr wegen Be¬
trugs eingeleitete gerichtliche Verfahren hoffentlich volle Klarheit bringen. Die
Debatte im Abgeordnetenhause aber hat immerhin das Gute gehabt, daß durch
sie der Welt vou Neuem klar wurde, bis zu welchem Grade der moderne
Ultramontanismus die Geduld eines humanen und gebildeten Volkes auf die
Probe zu stellen sich erdreistet.

Mit einem besseren Scheine von Berechtigung trat die Zentrumspartei in
der Frage des katholische,? Religionsunterrichts in der Volksschule auf. Neu
waren die betreffenden Klagen freilich nicht mehr. Gerade vor einem Jahre
hatte der Kultusminister sie im Abgeordnetenhause bereits entkräftet; außerdem
hatten seine noch neuerdings durch deu Staatsanzeiger veröffentlichten Bescheide
auf einschlägige Petitionen den Standpunkt der Regierung klar und bündig
gekennzeichnet. Aber man kann nicht leugnen, daß die Frage selbst in liberalen
Kreisen trotz nlledem deu Gegenstand lebhafter Erörterungen bildete, hier und
da sogar nicht geringe Bedenken hervorgerufen hatte. Die Klagen beziehen
sich bekanntlich darauf, daß in den bischofslosen Diözesen der Religionsunter¬
richt in der katholischen Volksschule zum großen Theile von neu angestellten
Lehrern ertheilt werde, welche dazu nicht deu ausdrücklichen Auftrag der Kirche,
die mis8lo elmonidr, erhalten haben. Ein solcher Religionsunterricht, sagt man,
entbehre der nöthigen Garantien kirchlicher Rechtmäßigkeit und die Theilnahme
an demselben sei daher gegen das katholische Gewissen.

Das Pelidna geht demgemäß in erster Linie dahin, deu gegenwärtige:?
abnormen Zustand zu beseitigen — natürlich durch Abschaffung der Maigesetze
—; in zweiter Linie aber dahin, in den fraglichen Fällen die Kinder katho¬
lischer Eltern wenigstens von dem Schulzwange in Bezug auf den Religions¬
unterricht zu dispensiren. Man hat dem gegenüber gut darauf hinweisen, daß
ein Grund, die kirchliche Korrektheit des vou deu um angestellten Lehrern
ertheilten Religionsunterrichts in Zweifel zu ziehen, gar nicht vorliege — für
die große Menge der katholischen Eltern wird das denselben eingeredete Ge-
wisfensbedenken dadurch nicht beseitigt. Und man muß zugeben, daß, wenn
ein solches Gemissensbedenken, gleichviel ob mit Recht oder mit Unrecht, ein-


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[0243] svrmnler Gesetzniäßigkeit prüfte. Unglücklichermeise befand sich aber der stell¬ vertretende Minister des Innern in der Lage, grade nach dieser Seite hin sich der Angriffe erfolgreich zu erwehren, ja die Angreifer selbst aufs Empfind¬ lichste blos zu stellen. Auch der korrekteste und doktrinärste Fortschrittsmann würde nicht gewagt haben, die Regierung zu tadeln, iveil sie einer der bedenk¬ lichsten Vvlkskrankheiten gegenüber gleich in den ersten Anfängen die volle Strenge des Gesetzes walten ließ. Mehr als dies ist aber nicht geschehen; eine Ungesetzlichkeit ist trotz allen ultramontanen Lärms nicht nachgewiesen worden. Was die Sache selbst anlangt, so wird das nunmehr wegen Be¬ trugs eingeleitete gerichtliche Verfahren hoffentlich volle Klarheit bringen. Die Debatte im Abgeordnetenhause aber hat immerhin das Gute gehabt, daß durch sie der Welt vou Neuem klar wurde, bis zu welchem Grade der moderne Ultramontanismus die Geduld eines humanen und gebildeten Volkes auf die Probe zu stellen sich erdreistet. Mit einem besseren Scheine von Berechtigung trat die Zentrumspartei in der Frage des katholische,? Religionsunterrichts in der Volksschule auf. Neu waren die betreffenden Klagen freilich nicht mehr. Gerade vor einem Jahre hatte der Kultusminister sie im Abgeordnetenhause bereits entkräftet; außerdem hatten seine noch neuerdings durch deu Staatsanzeiger veröffentlichten Bescheide auf einschlägige Petitionen den Standpunkt der Regierung klar und bündig gekennzeichnet. Aber man kann nicht leugnen, daß die Frage selbst in liberalen Kreisen trotz nlledem deu Gegenstand lebhafter Erörterungen bildete, hier und da sogar nicht geringe Bedenken hervorgerufen hatte. Die Klagen beziehen sich bekanntlich darauf, daß in den bischofslosen Diözesen der Religionsunter¬ richt in der katholischen Volksschule zum großen Theile von neu angestellten Lehrern ertheilt werde, welche dazu nicht deu ausdrücklichen Auftrag der Kirche, die mis8lo elmonidr, erhalten haben. Ein solcher Religionsunterricht, sagt man, entbehre der nöthigen Garantien kirchlicher Rechtmäßigkeit und die Theilnahme an demselben sei daher gegen das katholische Gewissen. Das Pelidna geht demgemäß in erster Linie dahin, deu gegenwärtige:? abnormen Zustand zu beseitigen — natürlich durch Abschaffung der Maigesetze —; in zweiter Linie aber dahin, in den fraglichen Fällen die Kinder katho¬ lischer Eltern wenigstens von dem Schulzwange in Bezug auf den Religions¬ unterricht zu dispensiren. Man hat dem gegenüber gut darauf hinweisen, daß ein Grund, die kirchliche Korrektheit des vou deu um angestellten Lehrern ertheilten Religionsunterrichts in Zweifel zu ziehen, gar nicht vorliege — für die große Menge der katholischen Eltern wird das denselben eingeredete Ge- wisfensbedenken dadurch nicht beseitigt. Und man muß zugeben, daß, wenn ein solches Gemissensbedenken, gleichviel ob mit Recht oder mit Unrecht, ein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/243>, abgerufen am 15.05.2024.